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Das Gesetz für den Radverkehr ist da

Am 11.04. wurde der finale Stand zum „Gesetz zur Förderung des Radverkehrs in Berlin” (RadG) dem Senat zur Kostenschätzung übergeben, damit voraussichtlich ab Mai mit dem Sammeln der Unterstützerunterschriften begonnen werden kann. Ich habe mich dem Team zum Volksentscheid angeschlossen. Dort war ich im Team der Gesetzesschreiber – und meine Prämisse und Motivation war dabei, dass dabei möglichst gute Paragrafen herauskommen.

Ich möchte kein weiteres Gesetz im Stile des Tempelhofer-Feld-Gesetzes (Gutes Anliegen mit übervorsichtigem Ansatz führte zu grauenhaften Paragrafen. Nun soll Lollapalooza im Treptower Park stattfinden). Von daher dient dieser Beitrag dazu, dieses nun entstandene Gesetz mit meiner gesetzten Prämisse abzugleichen.

Um die Zusammenfassung vorwegzunehmen: Im großen und ganzen stehe ich hinter diesen nun entstandenen Paragrafen. Gerade die Paragrafen zu den Fahrradstraßen und Radschnellwegen sind stark geworden. Aber es gibt auch einzelne Abschnitte, mit denen ich noch Sorgen und teilweise auch Änderungsbedarf sehe.

Bis zur offiziellen Ankündigung im Amtsblatt für die zweite Phase sind Änderungen noch möglich. Im besten Falle kommt es aber gar nicht erst zur zweiten Etappe, weil der Gesetzgeber die überwiegenden Teile übernehmen möchte.

Ich liste nachfolgend die Punkte auf, bei denen ich noch Verbesserungspotential sehe. Die Titel der Abschnitte sind jeweils plakativ.

Planung im Rekordtempo, Bürgerbeteiligung auf Sparflamme

Der Berliner Senat soll binnen eines Jahres ein Netz planen:

§3 (1) Der Senat erarbeitet innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes in Abstimmung mit den Bezirken, den Interessenverbänden des Radverkehrs und der Öffentlichkeit den Entwurf eines Umsetzungs- und Budgetplan zur Umsetzung der Maßnahmen nach §§ 4 bis 11 zur Schaffung, Vervollständigung und Verbesserung des Berliner Radverkehrsnetzes. Der Senat legt diesen Umsetzungs- und Budgetplan dem Abgeordnetenhaus zur Zustimmung vor. Das Land Berlin setzt diesen Umsetzungs- und Budgetplan fristgerecht um.

Ich hatte mich stark gemacht, dass die Planung eines Netzes Bestandteil des Gesetzes wird. Aber die Frist von einem Jahr ist unrealistisch kurz.

Zumindest wenn man die notwendigen und auch wünschenswerten Schritte beachtet, bis am Ende so ein Netz mit den entsprechenden Plänen verabschiedet werden kann. Neben der eigentlichen Planung kostet allein schon die Behördenabstimmungen und die Beteiligungsverfahren Zeit. Es soll die Öffentlichkeit beteiligt werden – im Minimum sind das schon 5 Wochen. Aber besser ist, sie werden nicht nur am Ende einbezogen, sondern auch in Form von Planungsworkshops. Der Senat muss sich mit einer Vielzahl von Behörden und Institutionen auseinandersetzen. Tiefbauämter aller 12 Bezirke. BVG. VLB. Für die Radschnellwege an Kanalrändern sogar mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt. ADFC, VCD, ADAC. Und auch das Abgeordnetenhaus soll dieses Ergebnis nicht nur abnicken, sondern beraten. Für ein Konzept für das gesamte Land Berlin?

Bei dieser Forderung werden wir vermutlich eins bekommen: kein zufriedenstellendes Ergebnis. Daher: mehr Zeit. Zwei Jahre halte ich für das Minimum.

Zudem ist für die Umsetzung nicht nur der Senat, sondern auch die Bezirke zuständig (wenn nicht das Zuständigkeitsgewimmel in Berlin noch schlimmer werden soll, hier wurde der Bezirk im finalen Stand noch aus der Verantwortung genommen).

Die Angstklausel („Berlin soll fristgerecht umsetzen”) ist entbehrlich.

Hinzu kommt, dass ein Plan nicht nur entwickelt, sondern auch fortgeschrieben werden muss. Unsere Stadt entwickelt sich schließlich auch weiter. Mit ihr auch die Unfallschwerpunkte. Wo heute noch eine Brache ist, kann in fünf Jahren eine Schule stehen. Oder umgekehrt. Diese Kritik ist in §21 Abs. 2 eingeflossen.

Fazit: Angemessene Frist und Fortschreibung

Poller und Geländer an Hauptstraßen

Bei den Radverkehrsanlagen an Hauptstraßen scheiden sich die Geister der Fahrradfahrer: Radwege separieren oder nicht? Glücklicherweise wird im Gesetz keine Präferenz für eine Art vorgegeben. Allerdings schränkt dieser Absatz die Optionen ungemein ein:

§7 (2) Die Radverkehrsanlagen sollen so gestaltet werden, dass unzulässiges Befahren und Halten effektiv verhindert wird.

So sehr sich viele Menschen verständlicherweise über Radwegparker ärgern und es im Netz schon ganze Bildergalerien gibt und auch dieses Gesetz an anderen Stellen dafür Kontrollen und Sensibilisierung einfordert, so schwer ist es, effektiven Schutz baulich sicherzustellen. Oder anders: Du kannst gar nicht so bescheuert denken, wie einzelne Unikate handeln.

Also die Radwege mit Geländer oder Poller absichern? Poller können mitunter sehr weh tun. An Geländer werden sehr bald Fahrräder angeschlossen sein, die den Radfahrraum einengen. Sofern der Straßenquerschnitt es zulässt, kann der Radweg auch hinter einem Grünstreifen oder bereits parkenden Autos platziert werden.

Und spätesten dann begegnet dir der erste, der in der Auffahrt eines baulichen Radweges steht (letztens im Groß-Berliner-Damm erlebt).

Legt man diesen Paragrafen auf die Goldwaage, gibt es noch einen anderen Ansatz: Schutzstreifen dürfen zulässigerweise befahren werden und es darf auch zulässigerweise auf ihnen gehalten werden.

Fazit: Es ist eine Soll-Regelung, Besser: streichen.

Straßen sind endlos breit

Radverkehrsanlagen an Hauptstraßen sollen so eingerichtet werden, dass der bestehende Raum für zu Fuß Gehende nicht verringert wird. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn der verbleibende Raum für zu Fuß Gehende auf dem Gehweg eine Breite von 3,5 m nicht unterschreitet.

Der §7 zu den Hautstraßen versucht – sehr löblich – auch den Interessen anderer Verkehrsteilnehmer Rechnung zu tragen. Für die Schaffung der Radwege sollen die Fußwege (sofern unter 3,50 Meter Breite) nicht beschnitten werden. In der Regel ist die Breite des Straßenraumes durch Grundstücksgrenzen begrenzt.

Natürlich wird mit dem Gesetz zunächst der parkende Verkehr geopfert, ggf. auch der eine oder andere Fahrstreifen. Doch wenn weder Fahrstreifen noch Gehweg reduziert werden können, werden andere Bereiche reduziert werden müssen: so bspw. Grünstreifen und Straßenbäume – oder die Aufhebung von separaten Spuren für Bus und Straßenbahn.

Ich habe mit dem Paragrafen noch kein Gefühl, welche genauen Auswirkungen eintreten werden. Diese Debatte sollte am besten mit konkreten Beispielen geführt werden. Konkret geht es um die Straßen, die in dieser Karte vermerkt sind:

Fazit: Straßen evaluieren, ggf. abmildern. Sperre einbauen.

Keine Radstellplätze, wo sie benötigt werden

§11 (7) Abstellmöglichkeiten dürfen nur auf Gehwegen platziert werden, wenn eine Gehwegbreite von mindestens 3,5 m erhalten bleibt. Vorrangig sollen Bereiche des ruhenden Verkehrs am Fahrbahnrand genutzt werden.

Mit anderen Worten: anders als bisher dürfen Fahrradständer nur noch dann errichtet werden, wenn der verbleibende Fußweg mind. 3,50 Meter beträgt.

Auch wenn ich selbst diesen Aspekt noch nicht abschließend geprüft habe, habe ich die Befürchtung, dass an einigen Stellen, wo wir gerne und dringend Fahrradstellplätze benötigen, diese verhindert werden.

Fazit: Mit offenen Augen durch Berlin laufen und bei Fahrradständern auf Gehwegen schauen, ob diese künftig auch noch da stehen dürfen bzw. ob diese am Fahrbahnrand auch errichtet werden können.

Experimentierfeld Grüne Welle

Ich gestehe: Ich bin bei den Forderungen der Grünen Welle für den Radverkehr skeptisch (und bisher auch zurückhaltend gewesen). Anders als bei Autofahrern, die durch die jeweils geltende Höchstgeschwindigkeit exakt geplant werden können, ist die Streu bei Radfahrern extrem weit:

Als sich ein Team der Technischen Universität (TU) mit Messgeräten auf die Mühlenstraße in Friedrichshain stellte, traf es auf Radler, die mit Tempo 7 dahin schlichen, während andere mit Tempo 27 fast rasten.

(via Berliner Zeitung).

Zudem spielen externe Faktoren (Regen, Windstärke und Windrichtung) eine große Bedeutung. Für welche Geschwindigkeit soll dies gelten? Viele Menschen denken sofort an 20km/h, auch das Land Berlin richtete erst kürzlich eine solche Strecke über sieben Kreuzungen ein. Der, der 22 km/h fährt, wird ggf. etwas ausgebremst. Der mit 18km/h könnte demotiviert vor vor ihm auf Rot schaltenden Ampeln warten.

Das Gesetz macht es sich sehr einfach und legt fest, dass

mindestens 85% des Radverkehrs ohne Halt mindestens drei aufeinanderfolgende Lichtzeichenanlagen mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in Geradeaus-Richtung passieren können

Wann wird diese Bedingung erfüllt sein? Es wird Mathematiker auf den Plan rufen, Kreuzungen zu finden, zwischen denen eine Grüne Welle für eine gewisse Streuung (15 bis 25?) an Geschwindigkeiten möglich ist. Ob dabei die Kreuzungen herauskommen, die dem Radverkehr nützlich ist?

Hinzu kommt die Forderung, bei der Einrichtung entsprechender Grüner Wellen den Vorrang für ÖPNV zu gewähren. Wenn man davon ausgeht, dass auf einer Hauptstraße in der Regel mind. ein 10er-Takt gefahren wird, der zu bevorrechtigen ist, so sind das 12 potentielle Unterbrechungen die Stunde.

Fazit: Lasst es uns probieren!

Blinder Aktionismus bei Unfallfolgen

Der §8 beschäftigt sich mit der Umgestaltung von Knotenpunkten, u.a. auch nach Unfällen:

Ist die Mitursächlichkeit der Gestaltung der Verkehrsanlage oder der Verkehrsführung für den Unfall gegeben oder kann sie nicht ausgeschlossen werden, sind innerhalb von sechs Monaten entsprechende bauliche oder sonstige geeignete Maßnahmen nach Absatz 3 zur Vermeidung künftiger Personenschäden zu ergreifen.

Der Schwachpunkt in dieser Regelung ist, dass die Behörden Maßnahmen einleiten sollen, wenn sie im Dunkeln tappen. Das ist blinder Aktionismus. Wenn ich nichts ausschließen kann, brauche ich im Zweifel noch einmal einen zweiten externen Gutachter.

Ferner sind die sechs Monate für die Umsetzung sportlich. Wenn ich bedenke, mit wie viel Vorlaufzeit die Investitionsplanungen erstellt und wie Schulsanierungen auf Jahresscheiben gepackt werden. Zudem sollten auch Baumaßnahmen stets koordiniert ablaufen (sonst bauen sie erst den Radweg um und einige Monate später verlegt die Telekom neu Kabel)

Fazit: Angemessene Fristen, Fettmarkierte Wörter streichen

Die Stadtplanung lahmlegen?

§11 Abs. 4 Geeignete Flächen [für Abstellmöglichkeiten bei Haltestellen von Bus und Bahn] sollen planerisch gesichert und von anderen Nutzungen freigehalten werden.

Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ohne nennbare Vorteile. Wenn für jeden S- und U-Bahnhof ein Bebauungsplan aufgestellt werden soll, deren einziger Zweck es ist, Flächen ausschließlich für das Abstellen von Fahrrädern (gemäß §9 Abs. 1 Nr. 11 Baugesetzbuch) zu sichern, werden sich unsere Planungsämter über ganz viel Arbeit freuen. Das sind unzählige Verfahren, die eröffnet werden.

Es mag im Einzelfall sinnvoll sein (insbesondere wenn eine Stelle für ein Fahrradparkhaus geeignet scheint und die Deutsche Bahn abweichend davon lieber Gewerbe entwickeln will). In den allermeisten Fällen aber für die Katz, da diese Flächen so klein sind und in einem Gebiet liegen, wo keine Nutzungskonflikte zu erwarten sind.

Ferner regelt der Plan nur was gebaut werden darf und was nicht – ein Zwang ergibt sich daraus nicht.

Ehrlich: Ich traue mich schon nicht, flächendeckende Bebauungspläne zu fordern, die eingeschossigen Einzelhandel mit riesigen Parkplätzen Außenrum verbietet. Eben aus Gründen dieses Aufwandes.

Fazit: Absatz ersatzlos streichen

Hauen und Stechen in den Behörden?

§20 Abs. 3: Das Land Berlins soll innerhalb von 5 Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes 20 % des Pkw-Pools durch Fahrräder für die Beschäftigten der Berliner Verwaltung ersetzen.

Es ist vollkommen verständlich, dass auch Behörden einen Beitrag leisten sollen. Aber in dieser Form wird es ein Hauen und Stechen in den Ämtern auslösen, wer auf sein kleines Königreich verzichten muss, nur um diese Quote zu erfüllen. Politisch ungeschickt.

Fazit: Lieber Anreize setzen als eine Zielquote fordern

Fazit

Siehe oben. Im Großen und Ganzen ist ein echt starkes und wegweisendes Gesetz entstanden.

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