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Wildwuchs im Parteiendschungel

Schau ich dieser Tage auf die politische Parteienlandschaft, so graut es mir. Sicherlich auch wegen den Alten Naiven und ihrer 30er-Jahre-Politik. Aber um die geht es heute nicht. Mir geht es um die Zersplitterung der Parteien, die sich programmatisch in der Nähe der Piratenpartei aufstellen.

Dieser Tage verließen zwei Menschen aus dem Landesverband Bayern die Piraten, um bei der Gründung der MUT-Partei mitzuwirken. Claudia Stamm ist Abgeordnete im bayrischen Landtag und hat im März ihre grüne Fraktion verlassen – mit der Botschaft einer eigenen Parteineugründung. Ihr Austritt ist verständlich und nachvollziehbar: sie möchte jene grüne Politik machen, die bei den Grünen nicht möglich ist. Der explizite Wunsch nach einer expliziten Neugründung dagegen nicht.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Natürlich hat jeder das Recht, eine Partei zu gründen. Aber nur weil es dieses Recht gibt, muss das nicht jeder für sich in Anspruch nehmen.

Denn ihre bisher definierten Ziele finden sich mitunter schon in einer Reihe weiterer Parteien. Auch bei den Piraten. Und auch wenn die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen noch nicht auftaucht, dürfte das Thema gesetzt sein: der zweite Kopf ist Mitglied im Netzwerk Grundeinkommen.

Bereits im vergangenen Jahr gründeten sich die Partei der Humanisten, die sich genau wie Claudia Stamm vor allem an Defiziten der Grünen abreiben. Programatisch konnte ich keine Unterschiede zur Piratenpartei feststellen, sie setzen nur auf andere Schwerpunkte. Allen voran die konsequente Trennung Kirche-Staat.

Nun gibt es aber nicht nur diese beiden neuen Parteien. Mit Demokratie in Bewegung wurde erst im April eine weitere Partei gegründet. Hier ging eine Online-Petition voraus, die über 100.000 Menschen (oder Maschinen?) unterzeichnet haben. Befremdlich ist hier nur der Parteieintritt, der mit Bewerbungsfoto, Lebenslauf und Motivationsschreiben zu erfolgen hat. (Das schien sich nur auf solche zu beziehen, die gleichzeitig kandidieren)

Seit 01.05. gibt es nun auch eine Partei mit Schwerpunkt HipHop-Szene: die Urbane. Ich habe Zweifel, ob für ein spezielles Musikclientel eine eigene Partei benötigt wird, deren Programmatik sich in all den zuvor genannten Parteien auch irgendwie wiederspiegelt.

Für das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen gibt es die BGE-Partei (Bündnis Grundeinkommen). Eine bewusste Ein-Themen-Partei, auch wenn BGE viele andere Themen tangieren wird. Diese Neugründung hat aber neben der Funktion als Partei noch eine andere Aufgabe: das Thema BGE sichtbarer machen. Eben durch den Namen als Partei, der ja dann auch so auf Wahlzetteln erscheint. Das kann durchaus auch Impulse für die vielen anderen Parteien geben, die BGE auf ihrer Fahne stehen haben.

Blicke ich die letzten Jahre zurück, so gab es noch weitere Neugründungen:

  • Die Vera-Partei (Vertrauen Ehrlichkeit Respekt Anstand) wurde 2014 gegründet und ist überwiegend in Berlin aktiv. Auch hier ist das Parteiprogramm nicht überraschend. Ich habe die vor allem im Vorfeld des Berliner Wahlkampfes beobachtet (auch wenn sie leider nicht zur Wahl zugelassen worden sind).
  • Die Neuen Liberalen zeigen, dass die liberalen Positionen der FDP verlorengegangen sind.
  • Das Glitzerkollektiv reibt sich direkt an den Piraten ab. Die praktizieren bereits den ständigen Online-Parteitag. Damit bepflanzen sie ein Defizit, wo die Piratenpartei nicht aus den Pötten kommt.
  • Die V-Partei (Veränderung, Vegetarier, Veganer) hat ihren Ursprung im Tierschutz. Verglichen mit dem Landeswahlprogramm in Berlin sehe ich da kaum Unterschiede.

Vermutlich gibt es noch viele weitere Parteien (gerne als Kommentar ergänzen).

Doch hilft uns das?

Müsste ich im Rahmen des Wahlkampfes erklären, von sich die Piraten gegenüber den anderen Parteien unterscheiden, so hätte ich ein Problem. Die andereren Parteien aber auch. Doch der Wählende muss sich am Ende für eine dieser Parteien halt entscheiden.

Das Damoklesschwert, diese 5%-Hürde, schwebt über all diesen Parteien. Die Programmatik hat die Chance, diese Hürde zu knacken. Die Wahlerfolge 2011/2012 haben das ja auch gezeigt.

Die Lösung kann eigentlich nur ein Verschmelzen der Themen sein. Wie auch immer das aussehen mag. Anfang das Jahres haben sechs Parteien genau dieses Problem schon erkannt – und suchten Gespräche für eine Kooperation

  • Liberale Demokraten
  • Die Humanisten
  • Neue Liberale
  • Piratenpartei
  • Transhumane Partei
  • Linksliberal

Auch wenn es in der Kommunikation holperte, so ist es der einzige, sinnvolle Weg. Aber auch dieser Weg ist mühselig. Um Inhalte geht es dabei nicht wirklich, nur um Struktur. Und die ist mir nicht so wichtig, weil mir eben die Programmatik wichtiger ist. Und gerade dieser Tage wichtiger den je, denn unsere Regierungskoalition liefert ein beknacktes Gesetz nach dem anderen! Sie verhöckern die Autobahnen in intransparenten Gesellschaften, sie erlauben Zugriff auf Passfotos durch die Behörden, die Zensurinfrastruktur unter dem Deckmantel von Hassprache und Falschmeldungen. Der Klassiker Vorratsdatenspeicherung ohnehin usw. usf.

Von daher: Mehr Kooperation wagen!

Bisherige Kommentare (4)

Kommentar von @jpreisendoerfer

Es gibt vor jeder Bundestagswahl einen Partei-Gründungsboom. Auch der Gründungsboom vor der Bundestagswahl 2017 ist insofern nicht auffällig. Bemerkenswert, wenn überhaupt irgendwas, ist diesmal allenfalls die politische Ausrichtung.

Das Glitzerkollektiv gehört nicht zu diesem wahl-bedingten Gründungsboom, weil wir uns bei unserer Gründung nicht auf die Erstteilnahme an einer bestimmten Wahl festgelegt haben. Inzwischen haben wir das nachgeholt und bereiten unsere Teilnahme an den Wahlen im Jahr 2019 vor.

Es ist auch klar, dass es eine rechtssichere Umsetzung verbindlichen eVotings in einer politischen Partei in der Bundesrepublik mit einer weitgehenden Umsetzung des Publizitätsgrundsatzes aus rein formalen Gründen nur durch die Gründung neuer Parteien geben kann. Deshalb haben wir eine neue Partei gegründet und deshalb haben wir eine Online-Mitgliederversammlung.

Unverständlich und irreführend ist Deine Aussage, dass Glitzerkollektiv »reibe sich direkt an der Piratenpartei« ab. Wir reiben nichts, weder direkt noch indirekt, und schon gar nicht wir uns an der Piratenpartei.

Selbstverständlich stehen wir in einem grundsätzlichen politischen Wettbewerb, aber in ihm stehen wir auch mit den rund 120 anderen politischen Parteien, die es in der Bundesrepublik gibt.

Von diesem allgemeinen politischen Wettbewerb abgesehen, fordern wir niemanden auf, aus der Piratenpartei auszutreten oder ihr nicht beizutreten, wir werben der Piratenpartei keine Mandatsträger*innen ab, wir fordern niemanden dazu auf, insbesondere die Piratenpartei nicht zu wählen, wir haben die Piratenpartei noch nie für tot erklärt und wir tun auch sonst nichts, was bei nüchterner Betrachtung als Tätigkeit des »Abreibens an der Piratenpartei« mißverstanden werden könnte.

Deine Aussage erweist sich, soweit sie uns betrifft, als Fantasieprodukt.

Das Glitzerkollektiv war nicht dazu angefragt, bei der »Sozialliberalen Erklärung« mitzuwirken, und das ist auch völlig in Ordnung so, weil wir keine »sozialliberale« Partei sind.

Die Frage nach der Verschmelzung mit Parteien ohne ständige Online-Mitgliederversammlung stellt sich uns nicht, weil dieser Vorgang der Rechtssicherheit unserer eigenen ständigen Online-Mitgliederversammlung schaden würde.

Auch eine politische Zusammenarbeit ohne Verschmelzung dürfte zumindest auf anfängliche Hindernisse stoßen, weil eine ständige Online-Mitgliederversammlung mit Publizitätsgrundsatz im Lauf der Zeit zu einer anderen Organisationskultur führt, die sich sehr stark von derjenigen anderer Parteien unterscheidet.

Diese andere Organisationskultur führt wiederum im Lauf der Zeit auch zu einer anderen Programmatik, und zwar gerade deshalb, weil wir Erfahrungen sammeln, die sich nur mit einer ständigen Online-Mitgliederversammlung in einer politischen Organisation machen lassen: Wenn wir über verbindliche (!) Online-Partizipation sprechen, dann wissen wir, wovon wir reden. Anders gesagt: Unsere Programmatik und unsere Struktur berühren sich im Lauf der Zeit immer mehr in genau diesem Punkt.

Die Unterschiede zwischen einer »sozialliberalen« und unserer eigenen Programmatik sind in der Folge bei näherer Betrachtung größer als es auf den ersten Blick scheinen mag. Das wird in unserem voraussichtlich Anfang Juli 2017 stark erweiterten Programm deutlicher zu erkennen sein als bisher.

Dennoch beobachten wir die Arbeit anderer politischer Parteien, die sich um Online-Beteiligungsformen bemühen, mit wohlwollendem Interesse und stehen für einen Erfahrungsaustausch gern zur Verfügung, wenn dabei die üblichen Formen menschlichen Umgangs eingehalten werden.

Kommentar von René

Vielen Dank Jörg für deine Antwort.

Mein Beitrag blickt gar nicht so sehr auf die kommende Bundestagswahl, denn wie du schon schreibst: selbst wenn ihr jetzt nicht antretet, so werdet ihr das zur Europawahl tun.

Deine Einschätzung zur zwingenden Neugründung lasse ich so stehen.

Das Abreiben ist nicht negativ gemeint. Ihr bedient den Punkt, wo die Piraten nicht aus den Knick kommen. Und ja, anfangs habt ihr durchaus mehr auf Mitglieder der Piratenpartei geachtet.

Auf die neue Programmatik bin ich gespannt.

Dein letzer Satz ist doch schon ein gutes Signal in Richtung Kooperation. Gespräche.

Kommentar von beni

die bergpartei, die überpartei ist ein beispiel einer gelungenen fusion zweier kleinparteien. und das wird nicht das letzte mal gewesen sein! :D aber mit den piraten hat es einfach nicht gefunkt…

Kommentar von René

Am 01.03.2020 wurde eine neue Partei gegründet: die DOS-Partei. Lese ich deren Visionen, so erkenne ich auch hier keinen Disput zur Piratenpartei bzw. der anderen hier genannten Parteien. Schaue ich auf die Namen des Vorstandes, so gab einige Personen, die zuvor in und um Dortmund herum aktiv bei den Piraten waren.

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