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Gedanken und Erlebnisse rumd um das G20-Wochenende

Nun liegen einige stressige Tage hinter mir und hinter der Stadt. Ich möchte mit dem Beitrag ein persönliches Resumee ziehen.

Zunächst blicke ich auf das Treffen selber. Ich hatte schon vor einem Monat kritisiert, dass weder Bundesregierung noch die Stadt Hamburg es gebacken bekommen, die Agenda klar darzulegen. Dagegen ist jede Sitzung von Bundestag bis Stadtrat klar strukturiert mit einer Agenda. Nun treffen sich 20 Regierungschefs und dann tauchen da wage Begriffe wie „Klimaschutz” oder „Welthandel” auf. Das hat den Charakter einer Selbsthilfegruppe in der Selbstfindungsphase.

Aber selbst innerhalb dieser Agenda schafft es die Bundesregierung nicht, konkrete ihre Ziele und Maßnahmen darzulegen (eigentlich ist es unsere Bundesregierung, wo man von ‚unseren’ Zielen reden müsste). Das Schlagwort Klimaschutz ist gut, doch was heißt das konkret? Es wäre natürlich hilfreich gewesen, selbst schon Hausaufgaben vorher zu machen, denn sonderlich viel vorzuweisen haben wir auch nicht.

Vielleicht hätten sie mal bei den Piraten abgeschrieben. Vielleicht auch woanders. Aber so ist mir das zu wenig.

Nach dem Gipfel sehen die Ergebnisse entsprechend aus:

  • Klima: Die USA bewegt sich keinen Meter.
  • Handel: Bekämpfung von Protektionismus, gleichzeitig aber Handelsschutzinstrumente für USA
  • Kampf gegen Terrorismus: Juhu, wir dürfen uns auf Sicherheitsgesetze einstellen.
  • Flüchtlinge: War das was?
  • Syrien: Waffenruhe in Syrien, immerhin ein Fortschritt.

War eigentlich die Defizite bei der Pressefreiheit ein Thema?

Mit vager Agenda und nur weniger Ergebnissen werden ganze Regierungsdelegationen in eine Stadt für wenige Tage hin verlegt. Es kursiert die Zahl von 130 Mio Euro als Preis der gesamten Veranstaltung. Klar, die Schäden der Randale sind da noch nicht dabei, vermutlich auch nicht die Aufwände der anderen 19 Delegationen – für die teilweise Hotels umgebaut werden mussten. Doch eine Frage muss erlaubt sein: war es den Aufwand wert?

Wenn Ergebnisse zum Greifen nah sind: Ja. Aber so habe ich Zweifel.

Zudem bestand ein kommunikatives Problem. Dieses G20 hat stets den Charakter eines Elite-Treffens – und wirkt daher wie ein Fremdkörper in der Stadt. Wie wäre es denn verlaufen, wenn ein partizipativer Prozess zu Grunde gelegen hätte, um sowohl die Agenda als auch die Positionieren festzulegen? Wenn es dazu Bürger- und Volksentscheide gegeben hätte…? Unvorstellbar!

Nun blicke ich auf die Stadt außerhalb des eigentlichen Gipfels.

So ein Gipfel zieht nicht nur Staatschefs, Delegationen und Presse nach Hamburg, sondern auch Menschen mit Meinung. Nun wurden Wünsche nach einem Camp sehr frühzeitig geäußert. Doch anstelle nach Lösungen innerhalb der Stadt zu suchen, wählte die Stadt die Blockadehaltung. Ich kann ja verstehen, dass der Stadtpark nicht die beste Idee ist – schließlich möchten die Hamburgerinnen und Hamburger diesen auch gerne nutzen. Aber wenn man möchte, so findet man dafür Plätze. Als die Polizei ihren Schlafplatzbedarf verschätzte, musste auch auf Reiterhöfe ausgewichen werden.

Doch diese Eskalation beschäftigte nun unnötigerweise die Gerichte. Als es dann losging, blockierte die Polizei den Aufbau des Camps. Und nun folgten Bilder, die peinlich für die Polizei sind: sie tragen einfach so Zelte weg. Stätten der Ruhe.

Ich war Mittwoch und Donnerstag in der Innenstadt und beobachtete die Verbarrikadierung der Mönckebergstraße.

Viele Polizisten blickten gespannt auf die Alster, während ihre Fahrzeuge im Halteverbot warteten. Irgendwann zwischen 20 und 22 Uhr begannen Abrissarbeiten. Ein Geschäftshaus direkt an der Binnenalster wurde abgerissen. Man hätte scherzen können, dass man dem saudischen König im Hotel gegenüber diesem Anblick nicht zumuten könne.

Katastrophal war dagegen der Anreiseverkehr am Donnerstag. Der Verkehr in der gesamten Innenstadt kam während des Berufsverkehres zum Erliegen – in einer Form, wie ich sie so noch nicht gesehen habe. Die Polizei riegelte alle Zugänge nach Norden in Höhe Eilbekkanal ab – und ließ nur wenige Autos passieren. In den Hamburger Stadtteilen Eilbek, Hohenfelde und Wandsbek bewegte sich nichts mehr. Zynisch waren die Hinweise, doch auf öffentliche Verkehrsmittel auszuweichen – doch die Busse (Straßenbahnen gibt es hier immer noch nicht) kamen genauso wenig durch. Hinter diesen Barrieren gab es kaum Autoverkehr. Es machte richtig Spaß, auf den leeren Straßen zu radeln.

(Randnotiz: Olaf Scholz hätte dieses Chaos auch als Versuchtsprojekt erklären können, wie ein autoarmes Hamburg funktioniert.)

Wenig später trudelten die Schockbilder der „Welcome-To-Hell”-Demo ein. Ich kann nicht final urteilen, ob das Verhalten gerechtfertig ist. Aber ich nehme zur Kenntnis, dass mehrere voneinander unabhängige Journalisten aufgrund ihrer Beobachtungen zum Ergebnis kommen, dass die Eskalation von Seiten der Polizei ausgegangen sei. Zumal der Ort aufgrund der Enge reichlich ungeeignet war, eine Demo zu sprengen. Sehe ich dann Bilder wie dieses, so ist der Vorwurf des versuchten Mordes gegenüber der Polizei gerechtfertigt – auch wenn hier einzelne Individiien sich selbst fahrlässig in Gefahr brachten.

Am Freitag morgen kursieren zahlreiche Videos, wie einige Chaoten (die nichts, aber auch gar nichts mehr mit Demonstranten zu tun haben) Autos abzündelten:

Wenig später am Ikea in Altona:

Hier frage ich mich dann schon, wo die Polizei zur Stelle war? Anwohner filmten aus ihren Fenstern den Vorgang:

Dafür war die Polizei bei den Demo sehr präsent. Prägend ist das Bild einer jungen Frau auf einem Räumpanzer, die von zwei Polizisten mit Pfefferspray besprüht wird. Keine Frage: das ist eine ziemlich bescheuerte Idee. Der Einsatz des Werkzeuges aber ebenso fragwürdig. Das Pfefferspray soll Polizisten schützen, wenn sie angegriffen werden – ein Angriffszenario ist aus diesen Bild nicht erkennen.

Am frühen Abend bildete sich spontan eine (nicht genehmigte) Fahrraddemo, die eher den Charakter einer Critical Mass hatte. Hier ist wieder unverständlich, warum die Polizei hart eingriff – und Pfeffergas auf einzelne Radfahrer sprühte. Ja, auch hier wurden Grenzen überschritten – aber unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit ging hier wohl keine Gefahr für irgendjemand aus.

Dafür schlugen abends die Chaoten am Schulterblatt zu – und räumten mehrere Läden aus.

Zudem brannten Barrikaden. Die Szenen liefen hoch und runter auf allen Medien. Und hier, wo nun tatsächlich Polizei nötig war, fehlte sie komplett. Und das ist das beachtliche.

Ich war zu diesem Zeitpunkt ebenso in der Innenstadt – und beobachte eine Polizeistaffel mit gut 100 Personen. Sie stiegen aus den Autos aus und zogen ihre Kampfmontur an. Der letzte hatte den Helm noch nicht auf dem Kopf, der zog der erste den Helm wieder runter – und stieg ins Auto. Dieser Akt wiederholte sich mehrere Male, zwischendurch parkten sie mehrfach um.

Von den kriegsähnlichen Szenarien bekam man in den Nebenstraßen kaum etwas mit – lediglich der Gestank der brennenden Barrikaden war penetrant durch die Nachbarschaft gezogen.

Am Samstag fanden die beiden Demonstrationen „Hamburg zeigt Haltung” und „Grenzenlose Solidatität statt G20” nahezu zeitgleich statt. Insbesondere fällt es mir schwer, zu „Hamburg zeigt Haltung” eine Haltung zu haben. Da wurde eine Demo von regierungsbildeten Organisationen und nahen Verbündeten angemeldet, nahezu jeder dritte Baum in Hamburg dekoriert und zahlreiche Medien kündigten sie als größte Demo der Stadt an. Ich werde den Verdacht nicht los, dass diese Alibi-Demo nur das Ziel einer Kannibalisierung hatte – dafür spricht auch ein ähnlicher Demostartpunkt. Dieses Spiel durchschauten auch die Menschen: Bei „Grenzenlose Solidarität” waren 76.000 Teilnehmer (Angaben lt. Veranstalter) bzw. 50.000 (Polizei), bei „Zeigt Haltung” nur 10.000 (Veranstalter).

Ich selbst bin nun froh, dass der Spuk der Stadt nun wieder abklingen wird.

Es werden – neben unzähligen Aufräumarbeiten – auch viele Fragen bei der Polizei anstehen, insbesondere warum sie anfangs die Eskalation provozierte, aber genau dann, wo ihr Eingreifen benötigt wurde, nicht zur Stelle war. Es werden auch viele Fragn noch zu klären sein, warum die Polizei die Arbeit der Journalisten behinderte bzw. den anwaltlichen Notdienst blockierte. Der Metronaut hat viele viele Fragen sazu gesammelt

Ich ziehe als Fazit, dass die politische Verantwortung für dieses Desaster zu tragen ist, konkret durch Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenatot Andy Grote. Als Fazit kann ich mich diesem Satz nur anschließen:

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