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High-Deck-Siedlung in Neukölln

Willkommen in der Sonnenallee – im letzten Teilstück auf Neuköllner Seite vor der ehemaligen Mauer.

Es sieht da absolut nicht so aus, wie uns der gleichnamige Kinofilm einst suggerierte. Es gibt keinen einzigen Altbau. Im Gegenteil: in den 70er und 80er Jahren ist dort eine Wohnsiedlung entstanden: die High-Deck-Siedlung

Sie ist ein spannendes Zeitzeugnis ihrer Art, wie in einer brutalen und sehr schematischen Weise ganze Straßenzüge nach einem einheitlichen Muster entstanden sind. Auch wenn viele Siedlungen dieser Art in den 70ern entstanden sind, so wird in diesem Viertel die Rolle des Automobils sehr deutlich: es war notwendig, aber unerwünscht. Eine ähnliche, aber nicht ganz so extreme Siedlung ist der Überseering in Hamburg.

Die Fußgänger wurden vom Autoverkehr vollständig getrennt. Für die Fußgänger gibt es die namensgebenden High-Decks, die aufgeständert zwischen den einzelnen Gebäuden entlang führen und zu den jeweiligen Hauseingängen führen. Die High-Decks sind miteinander verbunden. Es gibt sogar einen Übergang über die Sonnenallee. Vom ersten bis zum letzten High-Deck muss man keine einzige Straße betreten.

Unter diesen High-Decks befinden sich die PKW-Stellplätze. Und unter den Gebäudezugängen ging es jeweils Einbahnstraßen, die die Stellplätze umschließen. Auch am Fahrbahnrand kann geparkt werden. Die Gebäude selbst verfügen zudem über Garagen. Viel Platz für ruhendes Blech. Und doch: Vom High-Deck nimmt man diese nicht wahr. Es ist eine Parallelwelt.

Der Radverkehr passte in diese Parallelwelt nicht hinein. Weder sind die High-Decks zum Radfahren geeignet, noch lädt die Unterwelt zum Radeln ein. Sollte es irgendwo Fahrradstellplätze gegeben haben: sie sind mir nicht aufgefallen

Dafür sind die High-Decks familienfreundlich gestaltet. Nahezu alle relevanten Treppen verfügen über Rampen für Kinderwägen.

Menschen im Rollstuhl spielten bei der Planung keine Rolle. Alle Rampen zwischen den High-Decks sind viel zu steil. Und selbst in der Unterwelt gibt es eine Treppenstufe zur Eingangstür der Gebäude.

Zum Verweilen sind die High-Decks nicht geeignet. Es fehlt einfach an Sitzgelegenheiten (obwohl die in der Planung der Architekten wohl vorgesehen waren). Trotzdem hinterlassen Kinder gelegentlich Kreidebotschaften – und wie man auch diesem Bild entnehmen kann, war ich kurz vor Ostern in den High-Decks.

Allgemein ist die Architektur dieser High-Decks sehr brachial. Beton. Beton. Beton. Und gelegentlich ein Stahlgeländer. Und Beton der 70er Jahre sieht 2016 einfach nicht mehr schön aus. Gerade in den Treppenabgängen zu den Stellplätzen wächst teilweise auch schon der Moos.

Die Natur spielt eine sehr untergeordnete Rolle. Der Untergrund zwischen den High-Decks ist nahezu vollständig versiegelt. Lediglich für Bäume sind kleine Aussparungen im High-Deck gelassen wurden. Die Planer hatten die Vision einer Allee. Doch dazu müssten die Bäume gut fünf bis sechs Meter kerzengerade empor wachsen, ehe sie sich entfalten können. Das mag in der Theorie wohl einst toll ausgesehen haben, in der Praxis ist es gescheitert. Bäume sind einfach widerspenstige Wesen. Viele Aussparungen blieben leer.

In einem der High-Decks auf der Südseite wurden zusätzliche Sträucher direkt auf dem High-Deck gepflanzt. Es wertet dieses einzelne Deck enorm auf.

Ebenso wie ein kleines begrüntes Quarree im nördlichen Bereich, dass auf halber Höhe zwischen Unterwelt und High-Deck errichtet wurde.

Der totale Kontrast zur Vorderansicht der Gebäude ist die Hinteransicht. Über die Verbindungsgänge der High-Decks gibt es Einblicke in die Höfe. Wiesen. Spielplätze. Richtige Bäume. Das satte Grün schon im März.

Über die High-Decks kann auch die Sonnenallee gequert werden:

Auf der südlichen Seite führt der Weg über einen kleinen quadratförmigen Platz. Es war die einzige Stelle, in der es Gewerbe gab. Kaufhalle. Imbiss. Ramschladen. Bäckerei. Ein paar Bänke. Für ein Areal mit 2.400 Wohnungen ist das absolut unterdimensioniert.

Nicht wenige Wohnungen verfügen im Satellitenschüsseln:

Um möglichen Klischees und Vorurteilen über Neukölln vorzubeugen: Sowohl die High-Decks als auch die Unterwelt wirken extrem sauber. Dazu auch ein kleines Suchspiel: Finde die Cola-Flasche in den Bildern meiner Bildergalerie!

Ich war gut eine Stunde auf den High-Decks unterwegs gewesen.

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