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Warum Hamburg einen Radentscheid braucht

(Radentscheid = Volksentscheid zur Verbesserung des Radverkehrs)

Dies ist der erste Teil. Der zweite Artikel trägt den Titel: Warum Hamburg nicht diesen Radentscheid braucht. Und im Dritten erläutere ich die Ziele.

Vielleicht hat es der eine oder andere schon mitbekommen: meine Wege führten mich Ende 2016 nach Hamburg. Daher endete auch meine aktive Mitarbeit beim Volksentscheid Fahrrad in Berlin. Allerdings war in meinem Koffer die Idee, so einen auch in Hamburg anzustoßen. Aus Gründen! Mit dem Beitrag möchte ich einiges zur Motivation sagen, zu meiner bisherigen Einschätzung und was ich aus Berlin mitgenommen habe.

Verkehrsdesaster Hamburg

Hamburg ist nicht völlig neu für mich. Insbesondere die Gebiete östlich der Alster kenne ich schon einige Jahre.

Zuvor hatte bei mir Hamburg den Ruf als Musterbeispiel der autogerechten Stadt in Deutschland. Verglichen mit der Stadtgröße ist das Liniennetz der (schienengebundenen) öffentlichen Verkehrsmittel überschaubar. Hamburg ist mittlerweile die größte Stadt der Europäischen Union, die über keine Straßenbahn verfügt. Schuld ist – wie so oft – die SPD. Es gibt U-Bahnen, die auch zu Nebenzeiten überfüllt sind. Es gibt ein ausgedehntes Busnetz – mit Bussen für 1. und 2. Klasse. Es gibt für den öffentlichen Nahverkehr ein völlig beklopptes Tarifsystem, das selbst gebürtige Hamburger nicht erklären können.

Dafür hat Hamburg viele fett ausgebaute Straßen. Kein Zweifel, das gibt es auch in Berlin. Im Unterschied haben nur die Berliner Straßen oftmals auch fürstliche Bürgersteige – wie bspw. die Karl-Marx-Allee. Blicke ich dagegen auf die Wandsbeker Chaussee, so ist es einfach nur eine riesige Asphaltwüste. Sechs Fahrstreifen ohne Mittelstreifen, nur vereinzelt Bäume, Null Aufenthaltsqualität. Am Rand Parkplätze. Und zwischen diesen parkenden Autos und der nahen Häuserwand befindet sich dann ein holpriger Radweg, der dabei teilweise sich um Bäume im Slalom herumgeführt wird.

Die Straße erzeugt eine enorme Trennwirkung. Und es ist nicht die einzige: die parallele parallele Hamburger Straße ist da nicht anders!

Allerdings ist es in dieser Stadt auch möglich, die rote Welle in Reinform zu erleben. Auch wenn darüber oft gescherzt wird, so ist es zwischen Wandsbek Markt und U-Bahnhof Lübecker Straße zu bestimmten Zeiten möglich, an jeder (!) Ampel anzuhalten. Ständig beschleunigende und bremsende Fahrzeuge stoßen weit mehr Schadstoffe für die zurückgelegte Strecke aus.

Das Abbiegen nach Rechts ist ein Graus. Häufig verlaufen Radwege hinter parkenden Autos, Baumreihen und Altglascontainern. Als Radfahrer frage ich mich schon, was Altglascontainer neben Radwegen überhaupt zu suchen haben (Scherben?).

Am U-Bahnhof Ritterstraße steht seit Ende 2016 ein Geisterfahrrad. Hier wurde eine 19-Jährige von einem LKW überrollt, welcher rechts abbog. Unzählige Kerzen erinnerten an ihren Tod. Ich bewundere das Engagement einiger Menschen, auch Monate danach stets neue Kerzen aufzustellen. Zu Weihnachten war das Geisterfahrrad liebevoll dekoriert.

Es gibt auch positive Aspekte in Hamburg, zum Beispiel die Leihräder. Hier hat Hamburg ein ausgebautes Netz fester Stationen. Die erste halbe Stunde einer Ausleihe ist stets kostenfrei. Aber auch das geschieht nicht, weil die Politik den Menschen gutes tun will, sondern um die chronisch überlasteten U-Bahnen in der Innenstadt zu entlasten.

Wo in Sachen Infrastruktur etwas für das Fahrrad getan wird, ist es selten durchdacht. Ich darf mich glücklich schätzen, dass in der Nähe der Uferstraße mich befinde, eine der als Fahrradstraßen ausgewiesenen Verbindungen. Aber auch diese wird durch querende Straßen unterbrochen. Immerhin kann seit Ende 2018 die Straße Lerchenfeld StVO-konform gequert werden. Bei Richard- und Wagnerstraße wird sie jeweils unterbrochen. Und am S-Bahnhof Friedrichsberg ist gänzlich Schluss.

In der Lübecker Straße stadtauswärts wird der Radweg über die Nebenfahrbahnen zum Parken geführt – mit holprigen Kopfsteinpflaster.

Oder eine Baumaßnahme aus dem letzten Jahr: Elbbrücken in Fahrtrichtung Süd. Mittels Bettelampel auf eine Insel, um dann über die nächste Bettelampel (die vom Radweg nicht zu erreichen ist) dann endlich weiter fahren zu können.

In der Stadt halten sich Gerüchte, dass es sogenannte Velo-Routen geben soll. Zumindest in der Theorie. Im Straßenraum fallen sie kaum auf. Wie auch?

Ein Radgesetz für Hamburg?

Aus dieser Situation heraus hegte ich die Ambition, so einen Anlauf wie in Berlin noch einmal mitzugestalten und mitzutragen. Allerdings würde ich gerne auch Lehren aus dem Vorbild Berlin ziehen.

Was in Berlin stark war: es kam binnen kurzer Zeit unheimlich viele Menschen zusammen, die alle gemeinsam die Situation verbesserten. Jeder hatte verschiedene Stärken. Es entstanden Teams. Gemeinsam bewältigte man viel mehr als jeder einzelne hätte reißen können. Die Dynamik war grandios!

Aber auch außerhalb des Teams war starker Zuspruch zu spüren. Es wäre sonst gar nicht möglich, binnen so kurzer Zeit über 100.000 Unterschriften auf Papier zu bringen.

Und genau diesen Spirit brauchen wir auch in Hamburg!

Separation von Radwegen

Zu zwei Themen möchte ich aber noch mal näher eingehen: die Separation der Radwege.

Es herrscht ein großer Streit der Entscheidungshoheit, ob die Radinfrastruktur als Radfahrstreifen auf Fahrbahnen markiert werden sollen – oder ob unmittelbar neben dem Fußweg geführt werden. Vor- oder hinter parkenden Autos. Ich persönlich habe den Eindruck, dass diese Debatte mit teils polarisierenden Ansichten den Radverkehr bisher sehr geschadet hat.

Ich selbst kam zuvor aus der Perspektive, dass die Sichtbeziehungen elementar sind – und habe die Variante der Fahrbahn klar präferiert. Beim Berliner Radentscheid herrschte die Meinung vor, dass jeder Radweg so zu beschaffen sein soll, dass er für 8 bis 99 zu befahren ist – mit deutlicher Abtrennung zu den Kraftfahrzeugen.

Ich habe in all diesen Auseinandersetzungen verstanden, dass es verschiedene Präferenzen gibt. Und dass neben der der objektiven Sicherheit durch Sichtbeziehungen auch die subjektive Sicherheit bei vielen Menschen eine Rolle spielt, ob sie zum Fahrrad greifen oder nicht. Und da ist eben auch entscheidend, ob der Radwege unmittelbar neben anderen Verkehrsteilnehmern wie PKWs, Busse und LKWs geführt werden. Denn das Ziel der Radverkehrspolitik ist sowohl, dass Menschen, die heute schon Fahrrad fahren, besser und sicherer Fahrrad fahren können, aber auch dass Menschen, die heute im Auto unterwegs sind, zum Umstieg motiviert werden. Und nun sind nicht so versierte Radfahrer selten mit abmarkierten Bereichen auf der Fahrbahn glücklich.

Im Umfeld der Debatten zwischen den permanent nervigen Falschparkern auf Radfahrstreifen und den permanent auf Radwegen laufenden Fußgängern, habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass auch der Ansatz im Berliner Volksentscheid nicht das Optimum ist. Es muss nicht jeder Radweg von 8 bis 99 befahrbar sein, sondern es bedarf eines Radwegenetzes, mit dem jeder Radler von 8 bis 99 von A nach B kommt. Und das können dann auch verschiedene Wege sein.

Das Netz

Sagte ich gerade Netz? Das Netz ist übrigens der mit Abstand wichtigste und mächtigste Paragraf im Entwurf des gesamten Berliner Radgesetzes. Ich habe für dessen Aufnahme gekämpft. Doch seine Bedeutung wird gerne übersehen. Vermutlich auch, weil der Berliner Volksentscheid ihm nicht die Bedeutung eines eigenständiges Zieles verpasst hat, sondern über dem gesamten Vorhaben schwebte. Leider wurde er ins finale Gesetz nicht übernommen.

Die markanten Ziele waren andere. Z.B. Forderungen nach 350km Fahrradstraße und 100km Radschnellwegen. Doch wieviel ist das? Wie kann ich mir das bildlich vorstellen? Wie ist diese abstrakte Zahl greifbar? Ist das viel für eine Stadt wie Berlin? Als ich im Januar 2016 dazustieß, waren es noch 100km Fahrradstraße. Wir erhöhten es – weil uns die Zahl zu niedrig vorkam – einfach mal. Doch keiner wusste, ob das reicht. Es half auch nicht, diese Zahl durch 12, also die Anzahl der Bezirke, zu teilen.

Das Netz dagegen kann ich greifen. Ich zitiere §3 Abs. 3 des Radgesetzes:

90 % der Wohnungen in Berlin sollen nicht weiter als 300 m vom Berliner Radverkehrsnetz entfernt sein.

Ich weiß also, dass ich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit (also über 90%) beim Verlassen meiner Wohnung innerhalb von 300 Metern das zusammenhängende Radverkehrsnetz erreiche.

Diese Kenngröße ist keine Erfindung vom Volksentscheid: sie wird beispielsweise auch bei der Positionierung von Bushaltestellen in Berlin herangezogen.

Und hier würde ich den Hebel stärker ansetzen. Das Ziel muss ein Radverkehrsnetz für Hamburg sein, dass alle Verkehrsteilnehmer von 8 bis 99 mitnimmt und Ihnen ermöglicht, innerhalb eines gewissen Radius auf jeweilige Radverkehrsinfrastruktur zu stoßen. Die Schnellradlerin fährt dann gerne aus ihrer Hofeinfahrt nach links zum nächsten ausreichend breiten Fahrradstreifen. Ihre Nachbar mit den beiden Kindern nach rechts durch die vom Straßenverkehr losgelösten Radwege.

Fahrradstadt Hamburg

Nun labelt sich Hamburg als – bitte nicht lachen – Fahrradstadt. Das muss in Hamburg nichts heißen. 2011 titulierte sich diese Stadt „Umwelthauptstadt” und beerdigte gleichzeitig alle Pläne zum Bau einer Straßenbahn. In der derzeitigen Regierung sitzen auch Grüne. Doch auch das muss nichts heißen. Ihren Grundkonsens haben die Grünen beispielsweise auch für die Verfassungsänderung zur Einführung der Sperrklausel auf Bezirksebene verraten.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass hier trotz Fahrradstadt und Grüne weder eine vernünftige Radverkehrsinfrastruktur vorzufinden ist, noch eine Aufbruchstimmung dahin zu spüren ist. Im Gegenteil: am Rathaus Wilhelmsburg haben sich Radfahrer bei einer Baustelle immer noch in Luft aufzulösen und neue Radwege werden immer noch gepflastert und nicht geteert.

Allerdings war die politische Ebene in Berlin dennoch einfacher: Ein rot-schwarzer Senat. Zudem gab es Senator Geisel, der vorzüglich eine Galionsfigur für den Autoverkehr gab (in dem er auf einer Fahrradmesse erklärte, vor seiner Haustür würde er auch auf dem Gehweg radeln, weil die Fahrbahn zu gefährlich sei). So etwas wird in Hamburg nicht passieren.

Das ganze macht es anspruchsvoller in Hamburg.

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