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Homepage von René Pönitz

Repräsentative Demokratie

Die, die keine Ahnung haben wählen die, die auch keine Ahnung haben. Und die, die auch keine Ahnung haben, erzählen dann uns, die wir auch keine Ahnung haben, warum wir absolut keine Ahnung haben. Die wir, die wir keine Ahnung haben wenigstens eine Ahnung haben, warum wir Leute gewählt haben, die etwas weniger keine Ahnung haben.

(aus Pelzig hält sich)

Bettinas Streisand

Wenn es etwas Widerlicheres als den Versuch gibt, mit irgendwelchen Klagen vor dem Hamburger Landgericht Aussagen aus der Welt zu klagen, dann ist es der Versuch, mit irgendwelchen Klagen vor dem Hamburger Landgericht einen Streisand-Effekt auszulösen, um damit Biografien zu verkaufen.

Politik im Wandel der Zeit: Doppelmitgliedschaften

Ausgangspunkt: Über Doppelmitgliedschaften – oder: Wozu gibt’s Parteien?

Ausgangspunkt waren zwei Mitglieder der Grünen, die ohne Parteiaustritt Mitglied der Piraten geworden sind. Das geschah zwar vor einigen Monaten, die Brisanz des Themas ist aber nach wie vor da.

Die Diskussion um das Für und Wider dieser Doppelmitgliedschaften macht vor allem eins deutlich: die Kluft zwischen einer bereits etablierten Politiklandschaft, die vor einer Reform steht, deren Ende heute noch keiner absehen kann!

Nehmen wir die klassische Welt. Sie war gekennzeichnet von

  1. Parteien mit einem vollumfänglichen Profil (liberal, ewiggestrig, sozial, grün, Hauptsache dagegen ...), aus dem sich ein komplettes Parteiprogramm ableiten läßt.
  2. Wahlen, bei denen jeder Bürger dann genau ein Kreuz machen darf (ich lasse die Direktkandidaten mal weg)
  3. Regierungen, die von einer oder mehrere Parteien gewählt worden, die sich damit gleichzeitig einen Fraktions- und Koalitionszwang unterwarfen.

Und jetzt wird diese Weltordnung verändert.

Ein erstes Indiz gab es dazu aus Hamburg: mit der Reform des Wahlrechts darf jeder Bürger nicht nur ein Kreuz machen, sondern fünf. Und er darf die Kreuze wahlweise den Parteien zuordnen oder auch einzelnen Mitgliedern dieser Liste. Die fünf Stimmen können auch an fünf verschiedene Parteien (bzw. deren Mitgliedern) gehen. Der Bürger hat somit nicht nur Einfluss, wieviele Sitze eine Partei am Ende belegt, sondern auch welche Personen daraus gewählt werden. Anstelle eines Wahlscheines gibt es nun Wahlhefte. Und durch das (zumindest deutschlandweite) Novum waren bei der ersten Wahl viele überfordert gewesen, ihre insgesamt 20 Stimmen in Hamburg zu verteilen. Zudem müssen sich die Bürger daran gewöhnen, künftig nicht mehr auf jeden Populisten hereinzufallen. Das sind Anfangsschmerzen. Die Zeichen sind aber deutlich.

Die Piraten sind nun gefühlt die ersten, die nun dieses »Rund-rum-Sorglos-Paket« nicht mehr anbieten — und damit Erfolg haben. Und da man eben nicht zu jedem Thema etwas sagen kann, ist es auch überhaupt nicht kritisch, wenn jemand nebenbei noch bei einer anderen Partei Mitglied ist. »Mut zur Lücke«, sagen die einen, ich sage viel eher: »Wenn eine Partei ein Thema nicht behandelt, dann hat sie mit dem Status Quo auch kein Problem. Sonst würde sie ja das Thema angehen.«. Neben den Piraten erlaubt die Doppelmitgliedschaft bisher m.E. nur die PARTEI.

Wenn nun mehr Parteien in den Bundestag drängen (die Freien Wählen wollen auch), so wird es künftig nahezu unmöglich, Regierungskoalitionen aus nur zwei Mitgliedern zu stellen. Das birgt die Gefahr Weimarer (oder zuletzt Belgischer) Verhältnisse — aber nur in der klassischen Welt.

In der neuen Welt können mehrere Parteien, die unterschiedliche Schwerpunktthemen haben, sehr wohl miteinander koalieren. Die Piraten in Schweden hatten eine einfache Formel: koaliere stets mit dem, der am weitesten deine eigenen Ziele mitträgt. In Deutschland hat sich bei den Piraten ein anderer Begriff etabliert: Themenbündnisse. Warum nicht die Bündnisfrage für jedes Thema neu auswürfeln? Ist es überhaupt noch zeitgemäß, wenn am Anfang einer Legislaturperiode ein Vier- bzw. Fünf-Jahres-Plan ausgehandelt wird? Die aktuelle Regierung zeigte schon sehr eindrucksvoll, wie man auch trotz dieser festgesetzten Pläne Kehrtwenden einlegen kann.

Wohin diese Reise am Ende noch gehen wird, lässt sich schwer absehen. Aber die Tatsache, dass es Menschen gibt, die neben den Piraten Mitglied der Grünen sind, zeugt davon, dass sich Menschen eben mit den Kernen beider Parteien identifizieren können.

Erwin & Kurt - Realsatire der Piratenpartei

Manche Ereignisse sind bitter. So bitter, dass ich nicht mehr weiß, ob ich lachen oder schreien soll.

Beim Lesen des Protokolls der Aufstellungsversammlung für den Direktkandidaten für den Wahlkreis 295 (Zollernalb-Sigmaringen) kann es durchaus passieren, dass sich Kopf und Tischkante gefährlich nahe kommen. Oder ein schmerzendes Ziehen im Zwerchfell sich bildet. Möglicherweise bewirft man sich anschließend mit Blumenerde. Oder hüpft mit Fröschen um die Wette.

Die Rede ist von Kurt und Erwin. Sie kandidierten für den Direktkandidaten der Piratenpartei.

Nur einige Beispielfragen:

Lisa: Beide Kandidaten haben gesagt, dass diese was für Alleinerziehende machen wollen. Lisa bittet um konkrete Darstellung.
Erwin: Zunächst sollte etwas anderes als Hartz IV für Alleinerziehende gelten, da dieses meistens nicht ausreicht um einen Lebensstandard halten zu können.
Kurt: Prinzipiell müssen Alleinerziehende besser unterstützt werden. Das Ganze muss an das Einkommen angeglichen werden.

Holger: Was sind die wichtigsten Kernhemen der Piratenpartei?
Kurt: Das meiste im sozialen Bereich, besonders im Bereich KiTas ist Handlungsbedarf erforderlich.
Erwin: Ich habe mich bisher noch nicht sonderlich mit dem Programm beschäftigt.

Michael: Was hältst du vom BGE?
Kurt: Ich halte dieses Prinzip für fragwürdig. Man sollte eher die Löhne der Arbeit angleichen. Insbesondere Schwarzarbeit wird als Zusatzeinkommen genutzt.
Erwin: Schwierig zu sagen.

Holger: Was ist deine Meinung zur VDS?
Kurt: Dazu habe ich mich nicht genug informiert.
Erwin: Man muss nicht alles speichern.

Holger: Was hältst du von Netzneutralität?
Erwin: Ich bin nicht viel am PC und bin eigentlich immer skeptisch bei Datenaustausch.
Kurt: Ich bin selten im Internet, überlege aber prinzipiell zweimal bevor ich einen Anhang öffne.

Lisa: Welche Themen aus dem Grundsatzprogramm kannst du aufzählen?
Beide: Nichts

Kurt wurde von zwei der drei Anwensenden anschließend zum Direktkandidaten gewählt und nahm die Wahl an.

Ich bin fassungslos und verwundert zugleich. Fassungslos, wie ahnungslos man sich hinstellen kann. Und verwundert, wie es nach der Berliner Wahl noch Aufstellungsversammlungen mit so wenigen Teilnehmern geben kann. Die Rollen der Versammlungsleitung und des Protokolls sind wirklich nicht zu beneiden.

Die Direktkandidaten sind chancenlos. Daher ist ihre Aufgabe in erster Linie für die Zweitstimme sowie als Schlüssel für Wahlveranstaltungen.

Zu viel Papier

Auf dem Bild ist das Papier zu sehen, was im Rahmen der letzten BVV-Sitzung relevant war und nun dem umweltschonenden Recycling zugeführt werden kann. In Summe an die 600 Seiten.

Ein Abgang mit Ansage - Abschaffung der BVV?

Vor drei Wochen hat Katja Dathe sehr medienwirksam ihr Mandat in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte niedergelegt. In einem dafür eingerichteten Weblog schildert sie ihre Beweggründe.

Ähnlich meines 'Schicksals' wurde sie auch einst überzeugt, als Nachrückerin auf die Liste zu kandidieren — mit dem Ergebnis, dass am Ende der Liste ein Platz unbesetzt blieb. In der Hinsicht ist ihr Rückzug — gegenüber dem Nullfall — kein Verlust. Sie hat niemanden daran gehindert.

Ich kann viele Punkte ihrer Erklärung nachvollziehen. Nur ein Punkt stößt mich auf: die Abschaffung des sogenannten »Bürokratiemonsters« namens Bezirksverordnetenversammlung?

Die Piraten in Mitte konnten sich mit der Gründung eines Ausschusses für »Transparenz und Bürgerbeteiligung« durchsetzen, in dem Katja sogar zur Vorsitzenden gewählt geworden ist. Zusammen mit dem Hauptausschuß sind das die besten Voraussetzungen, eines der wichtigsten Wahlkampfthemen anzupacken: Transparenz und Bürgerbeteiligung! Wie bringe ich das, was in der bezirklichen Verwaltung passiert an die Bürger — und wie kann ich sie teilhaben lassen?

Die Abschaffung der BVV zu fordern, halte ich für falsch. Wir brauchen die förderative Gewaltenteilung. Wir brauchen dringend eine Reform des Bezirksverwaltungsgesetzes. Wir brauchen autonome Bezirke. Bezirke, die sich selbst gestalten. Bezirke mit eigener Haushaltshoheit. Bezirke, die in etwa den selben Status wie kreisfreie Städte haben. Von mir aus auch Bezirke, die ihre Gewerbesteuerhebesätze selbst festlegen können. Und dazu braucht es ein Gremium, was Anträge stellt — und nicht nur Wischi-Waschi-Ersuchen-und-Empfehlungen. Und wir brauchen ein Land, Berlin, was die Spielregeln vorgibt.

Die Bezirke dürfen zwar ihren Haushalt beschließen, letztendlich beschließt es das Abgeordnetenhaus noch einmal. Und die streichen, ich hab es nun einmal miterlebt, sämtliche vor Ort erkannten Haushaltsrisiken aus dem Plan. Da stellt man sich durchaus die Frage, warum man dann auf unterster Ebene noch Hirnschmalz einfließen lassen soll. Für die meisten Posten im Haushalt braucht es noch nicht einmal einen Haushalt, da sie zum einen vorgegeben, zum anderen auch nachträglich korrigiert werden (»Basiskorrektur«). So zum Beispiel bei Sozialleistungen: Mehr Empfänger, mehr Ausgaben, mehr Einnahmen. Andererseits haben die Bezirke keinerlei Anreize, aus eigener Kraft Verbesserungen für die Bürger zu erzielen. Würden wir es durch lokale Maßnahmen schaffen, mehr Leute in Brot und Butter zu versetzen, so haben wir weniger Empfänger, weniger Ausgaben, weniger Einnahmen. Und von den zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen sieht ein Bezirk gleich gar nichts. Aber es ist Aufgabe der Bezirke, Wirtschaftsförderung zu betreiben. Damit im nächsten Schritt all das, was wirtschaftsfördernd und in gewisser Weise prestigeträchtig sein könnte (in Treptow-Köpenick ist es vor allem das WISTA-Gelände in Adlershof) zur Chefsache erklärt wird und fachlich aus den Aufgaben der Bezirke ausgegliedert wird.

Der Bezirk Mitte hat es da besonders schlimm getroffen. Zum einen gibt es da noch nicht einmal einen Haushalt, im Wege einer Ersatzvornahme wird ein Nothaushalt gleich vom Senat festgesetzt. Zum anderen gibt es zu viele prestigewürdige Orte, auf die Wowereit nur zu gerne die Finger hält.

An dieser Stelle frage ich mich durchaus, was ein Liquid-Democracy-System, wie es Katja vorschlägt, bringen soll. Die Piraten sammeln in zwei Bezirken überhaupt erst einmal Erfahrungen mit der bezirklichen / kommunalen Ebene. Wenn man selbst die Probleme auf Landesebene betrachtet, bspw. Massendelegationsketten, Klarnamendebatte, Anzahl der Teilnehmenden, so stehen die Hausaufgaben bei uns selber an. Und dann soll dieses System nicht nur der Meinungsbildung dienen, sondern für die Bezirksverwaltung verbindliche Entscheidungen herbeiführen, die sogar über die Wischi-Waschi-Ersuchen-und-Empfehlungen von heute hinausgehen?

Das halte ich nicht für richtig!

Das erwähnte Friesland nutzt das übertragene »LiquidFriesland« nur zur Entscheidungshilfe für die dortigen Mandatsträger (siehe Projektbeschreibung). Wenn die Erfahrungen da positiv sind und es einigermaßen in den Haushalt (und damit meine ich auch das Personal) gegossen werden kann, so sollten wir das in Berlin raubmordkopieren.