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dein Treptow-Köpenick

Vor einigen Tagen berichtete ich über das Tourismusforum – und die dort vorgestellte neue Tourismusmarke. Sie soll so aussehen:

Auf der Podiumsdiskussion sagte Stefan Zierke (SPD, Bundestag), dass man Markendiskussionen niemals der Politik überlassen dürfe. In gewissen Rahmen hat er Recht. Nichts desto trotz sollte und muss zu dieser Marke einiges gesagt werden. Und das möchte ich in diesem Artikel tun.

Grundsätzliche Gedanken

Vor mehr als einem Jahr hatte ich für mich schon einmal intensiv mit der Marke für eine Gebietskörperschaft auseinandergesetzt. Dabei hatte ich folgende Erkenntnisse gezogen:

Ich nehme Städte (oder auch ihre Ortsteile) vor allem durch ihre Gebäude, Denkmäler, Sehenswürdigkeiten, Kulturangebote, Parks, Flüsse, Seen, Infrastruktur, Menschen und viele andere Dinge war. Aber nicht durch irgendwelche Logos, Sprüche, Mottos und sonstigen kreativen Ergüsse. [..] Selbst wenn wir eine Marke platzieren wollen, ob es dann die Marke dieser Verwaltungseinheit ist – und nicht doch der von ausgewählten Gebieten.

Meine Haltung dazu hat sich seit dem nicht grundlegend geändert. Allerdings möchte ich diese um eine weitere These ergänzen:

Städte und Stadtteile sind immer ein Ramschwarenladen aus allem denkbaren. Und es gilt im Ramsch die Juwelen zu finden.

Kleiner Exkurs

Chemnitz – Stadt der Moderne

Im damaligen Artikel hatte ich Chemnitz im Rahmen des Markenvandalismus erwähnt („Chemnitz – statt der Moderne”).

Mittlerweile hat sich meine Haltung gegenüber diesem Slogan geändert. Chemnitz ist eine Stadt, die touristisch so gut wie keine Bedeutung spielt. Wer nach Sachsen fährt, hat Dresden und Leipzig auf dem Schirm. Vielleicht noch Görlitz, Pirna (inkl. Sächsische Schweiz), Meißen, Moritzburg, das Erzgebirge. Allein der Nischel, der vor einem formvollendeten sozialistischen Einheitsbau steht, dürfte kaum Touristen in die Stadt holen. Also suchte die Stadt nach ihren Juwelen – und fand sie in der Architektur der (industriellen) Moderne.

Auch wenn beispielsweise Berlin weitmehr auf diesen Gebiet zu bieten hätte: Berlin braucht es nicht. Damit bedienen sie eine gewisse Nische, die ich interessant finde.

Schade ist nur, dass die Stadt selber diese Marke verwässert, in dem sie moderne Schopping-Tempel und Straßenbahnhaltestellen der letzten Jahre mit in den selben Topf wirft – und wieder den Ramschwarenladen entstehen lässt.

Stralau – Schöner Sterben am Wasser

Im benachbarten Ortsteil Stralau hat ein Blog den Slogan für einen Ortsteil geschaffen:

Schöner sterben am Wasser!

Hinter diesen vier Worten steckt viel Informationsgehalt. Wasser ist in Stralau ein zentrales Thema, da es eine Halbinsel ist. Und es ist schön. Schön ruhig. Es ist ein Altersdomizil. Etwas für den Lebensabend. Das Slogan vermittelt mir, dass ich noch nicht zur Zielgruppe gehöre, aber vielleicht in 30 oder 40 Jahren. Das Slogan hat nur ein Problem: die derzeitige Zielgruppe wird ihn wohl nicht so witzig finden. Und natürlich ist Sterben auch mit negativer Emotion verbunden und sollte aus den Gründen auch vermieden werden. Trotzdem ist er prägent.

Wer Weißwasser kennt, der weiß was er kennt

Im Rahmen der Pflege meiner Seite zur Zweitwohnungsteuer war ich kürzlich auf der Seite von Weißwasser gelandet. Da entdeckte ich im Titel der Seite den Spruch „Wer Weißwasser kennt, der weiß, was er kennt.” Es mag ein witziges Wortspiel sein – die meisten werden wohl mit Nichtwissen konfrontiert.

Ok, kommen wir zum Berliner Bezirk Treptow-Köpenick.

Lust auf Mehr Berlin? – dann Treptow-Köpenick!

Mit diesem Spruch warb der Tourismusverein bis Februar 2015 – und ist gewissermaßen auch die Ausgangslage. Die Botschaft ist zumindest klar: wenn du mehr von Berlin sehen willst, dann komm raus!

Beim Logo hatte ich Probleme, die Geografie des Bezirks wieder zu erkennen (zumindest wenn das der Zusammenfluss von Dahme und Spree in Köpenick darstellen soll).

Das sollte nun also ersetzt werden.

Der Südosten Berlins

Mit der Ausarbeitung der Marke war die Firma causales beauftragt. Im Juni 2014 wurde auf der Tourismuskonferenz der Zwischenstand von Hans-Conrad Walter vorgestellt: „der Südosten Berlins” (zur Präsentation)

Dieser Spruch transportierte zumindest eine geografische Komponente. Aber auch nicht mehr. Dies sollten Farben tun:

  • Blau – weil wir so viele Seen haben
  • Grün – weil wir so viel Wald haben.
  • Grau – weil wir ja das lange Adlergestell haben.

Der Schriftzug sollte in Publikationen möglichst an den rechten, unteren Rand platziert werden – und die Lage auch bildlich zu beschreiben.

Dieser Entwurf wurde kurz nach der Tourismuskonferenz wieder verworfen. Es wurde ein sogenanntes Markenscreening durchgeführt – mit negativem Ergebnis. Im Wirtschaftsausschuss im Januar 2015 wurde berichtet, dass vor allem aus Südwestdeutschland es emotionale Gründe gegen den Begriffsteil „osten” gegeben haben soll. Als ich das hörte, dachte ich nur, dass – sollte es solche Idioten immer noch geben – man diesen nicht unbedingt die Tür offen halten muss. Möglicherweise ist das aber auch nur vorgeschoben gewesen, denn…

dein Treptow-Köpenick

… nachdem Mathis Richter im Juli 2014 Geschäftsführer des Tourismusvereins geworden ist, wurde der Südosten Berlins begraben. Und eine neue Marke wurde beauftragt – diese von der Firma POT Marketing GmbH, bei der Mathis Richter Geschäftsführer ist. Diese Konstellation wirft natürlich Fragen auf, insbesondere da es hierbei um ein mit EU-Mitteln finanziertes Projekt handelt.

Der kreative Output der POT Marketing GmbH lautet nun „dein Treptow-Köpenick”.

Ich weiß nicht, ob sie sich damit identifizieren können. Mir fällt es jedenfalls schwer. Denn damit ich mich mit ihr identifizieren kann, müsste die Marke überhaupt erst einmal eine Botschaft haben. Auf der Bildmarke ist das Emblem des Brandenburger Tors zu sehen – und stellt somit die Verbindung zu Berlin dar. Soll nur ausgedrückt werden, dass der Bezirk zu Berlin gehört? Die Marke vermittelt noch nicht einmal, ob die Zielgruppe nun Touristen oder Bewohner sein sollen. Sie reiht sich ein in eine Reihe von inhaltsleeren Stadtmarken wie be berlin, „I AMsterdam”, „München mag dich” oder „Köln ist ein Gefühl”.

Warum sollte jemand in den Bezirk mit dem sperrigen Namen reisen?

Mir wurde daraufhin erklärt, dass die Marke natürlich nicht allein betrachtet werden darf, sondern stets im Kontext der ihr umgebenden Bilder. Also gibt es ein Set mit verschiedenen Bildern. Ein Stehpaddler auf dem Müggelsee. Zwei Frauen auf einem Fahrradausflug. Der Hauptmann-Schauspieler, der vor vier aufmerksamen Kindesaugen auf das Rathaus Köpenick zeigt. Die Bildsprache soll wirken.

Wie schon im Artikel zur öffentlichen Präsentation vorgestellt, soll der Bezirk als eine 8-Sterne-Region in der Presse angepriesen werden:

Der Südosten Berlins wird sich mit diesem Markenauftritt zukünftig als „Acht-Sterne-Region“ präsentieren.

Und so schreibt’s letztendlich auch die Presse ab. Ohne nachzufragen, warum es acht sind. Die USA preist sich gerne als 50-Sterne-Region an. Das Bezirkswappen hat übrigens sieben Sterne. Die acht sogenannten Sterne heißen:

Wasser genießen
Ich dachte zunächst an SpreeQuell, die übrigens ihren Firmensitz in Treptow haben. Gemeint ist hier aber Schwimmen, Paddeln und Segeln. Das Stehpaddeln sei, so wurde mir erklärt, gerade im Hype.
Natur erkunden
Das zentrale Motiv zeigt zwei Frauen beim Fahrradausflug. Letztendlich geht es weniger um Natur, als viel mehr um die Bewegung auf dem Land.
Freizeit gestalten
Action, Spaß und Familie – Streiche den Begriff, der nicht in die Reihe passt. Die Bildsprache zeigt hier eine fröhliche Familie, die fröhlich die Miniatur des Köpenicker Rathauses fröhlich ertastet.
Kultur verstehen
Mit den drei Unteranstrichen Geschichte, Museen und Wissen. Theater gehören aber zu Events, nicht zur Kultur.
Events erleben
….
Stadtviertel besuchen
Ein mir bis dato unbekanntes Schokoladenfachgeschäft ist eine der 22 Sehenswürdigkeiten, für die sich ein Besuch der Stadtviertel im Bezirk lohnen soll.
Szene entdecken
Die zwei Frauen von der Fahrradtour sitzen nun auf einem Floß und trinken Berliner Pilsner aus Flaschen mit wegretuschiertem Logo.
Business im Grünen
Ein Geschäftsmann lehnt an einem Baum und sucht verzweifelt freies WLAN.

Verbunden mit der Marke ist die Aktualisierung verschiedenster Informationsträger. Allen voran die Homepage. Hier ist auf jeden Fall positiv anzumerken, dass die neue Webseite für mobile Endgeräte besser geeignet ist. Warum der Tourismus nicht gleich unter dem Namen der Marke fungiert (also dein-treptow-koepenick.de) wird wohl einzig und allein Mathis Richter erklären können, dem Inhaber der Domain.

Daneben werden noch Printmaterialien erzeugt, so soll es beispielsweise für jeden mysteriösen Stern ein eigenes Themenfaltblatt geben. Auch diese sehen ansprechend aus.

Große Schwachstellen gibt es aber noch bei der Qualität des Kartenmaterials. So zeigt bspw. eine Karte vom Treptower Park einen Rundbus, den es so in der Form nicht einmal zu DDR-Zeiten gab. Die Straßen bilden am ehesten den Stand von 1921 ab und verwirren selbst mich als Anwohner. Es sind Gaststätten eingezeichnet, die schon mehere Jahre geschlossen sind. Mal davon abgesehen, dass zu jeder nicht genordeten Karte ein Nordpfeil gehört.

Die umfangreichste Broschüre ist die Gästeinformation. Und diese Broschüre bestätigt mich in meiner Kritik, dass Treptow in dieser Marke untergeht. Oder anders gesagt: nichts zu suchen hat.

Nehmen wir die Auflistung der Restaurants. An die 5 Seiten zu Restaurants in Köpenick und rund um den Müggelsee. Dem stehen zwei (einzelne, nicht Seiten!) in Treptow, eine in Schöneweide und eine in Adlershof gegenüber. Hotels sind in Treptow keine gelistet. Pensionen ebenso nicht. Dabei ist es nicht so, dass Treptow keine Rolle für Tourismus spielt. Aber es spielt eben keine Rolle für den Tourismus in diesem Bezirk.

Wie besser?

Nun ist es natürlich einfach, eine Marke zu zerreden. Ja. Aber letztendlich braucht diese Marke auch niemand. Anstelle die politische Gliederung zwanghaft auf den Tourismus anzuwenden, hätte ich lieber Themen in den Vordergrund gerückt. Damit meine ich nicht „Natur erkunden” oder „Freizeit gestalten”.

Ich meine zum Beispiel Industriekultur Schöneweide. Hier leistet der Industriesalon Schöneweide gute Arbeit. Unzählige alte, riesige Hallen. Das ist, wenn man so möchte, ein Stern. Aus einem Ortsteil, der das Anagramm von Schweineöde ist und eine touristische Attraktivität von Chemnitz aufweist, wurden hier die Juwelen geborgen. Doch sie gehen unter, wenn diese unter dem Stern „Kultur verstehen” unter einem nichtssagenden „dein Treptow-Köpenick” vermarktet werden. Wenn ich Kultur lese, denke ich an vieles, aber nicht unmittelbar an Industriekultur.

Anstelle „Freizeit gestalten” lieber die Wuhlheide als Kinderparadies entdecken. Oder anstelle der Entdeckung von unpersönlichen Stadtvierteln, die zueinander eine Entfernung von bis zu 22 Kilometern aufweisen, lieber Friedrichshagen und den Müggelsee entdecken lassen. Oder Köpenick und den Hauptmann.

Und schieben wir mal die Marketingwelt beiseite:

  • Soll der Bezirk die wichtigste Verbindung für Radtouristen in Richtung Spreewald werden, so ist das beste Markenzeichen, was es gibt: gute, durchgehende Radwege.
  • Will der Bezirk Wassersportler anlocken, braucht’s die Wasserwanderrastplätze.
  • Wollen wir mehr Badegäste, braucht’s eine Lösung bspw. des Strandbades Müggelsee.
  • Wollen wir mehr Familien mit Kindern anlocken, sollte sich eine Lösung für den Spreepark finden.

Die beste Marke für ein Gebiet stammt niemals von einem Marketingbüro. Es ist das Objekt selbst!

Bisherige Kommentare (1)

Kommentar von René

Ich revidiere meine Meinung zur Webseite, nachdem ich die Suchfunktion ausprobiert habe. Zugegebenermaßen: schon die alte waren grauenvoll. Suchte man damals nach „Straßenbahn”, gab es keine Ergebnisse. Dafür bei „Strassenbahn” dann auch Ergebnisse, in denen Straßenbahn enthalten war.

Auf der neuen Seite gibt es nun auch Treffer für Straßenbahn, allerdings reiht er alles möglich ein. Weil irgendeine Gaststätte in der Beschreibung einen Bezug zur Straßenbahn herstellt, gibt es in der Treffermenge das gesamte Gaststättenverzeichnis.

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