Berliner Modell zur kooperativen Baulandentwicklung
Ende August veröffentlichte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt die Leitlinie für den Abschluss städtebaulicher Verträge in Berlin vom 28.08.2014
Zu finden ist das Dokument hier:
Die zentrale Aussage des Vorhabens stammte von Staatssekretär Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup:
Unter Berücksichtigung der für die Planung formulierten städtebaulichen Ziele soll der Vorhabenträger Mietpreis- und Belegungsbindungen für einen Anteil von 10 bis 33 Prozent der geplanten Wohnungen übernehmen. Dabei gelten die Bedingungen der Wohnungsbauförderbestimmungen 2014. Auch ohne Fördermittel können die entsprechenden Bindungen vertraglich vereinbart werden. Damit tragen wir dem Bedürfnis nach durchmischten Quartieren Rechnung.
Und genau auf diese Aussage hat sich dann die Presse gestürzt. Die Berliner Zeitung erklärte: Investoren müssen günstige Wohnungen schaffen und untermalt den Artikel mit Bildern zu Verdrängung.
Die Piraten in Neukölln haben gleich die Festschreibung der Mietpreis- und Belegungsbindung gefordert, was die SPD/CDU-Mehrheit abgelehnt hat.
Richtlinie für transparentes Verwaltungshandeln
Die Richtlinie selber finde ich zunächst nützlich. Sie hilft, Verwaltungshandeln nachzuvollziehen – eine der Kernforderungen der Piraten. Es wird aufgezeigt, welche Kalkulationen durchgeführt werden und welche Parameter alles zu berücksichtigen sind. Bedingt durch die Materie ist es schwer verdauliche Kost. An Einzelstellen sind durchaus auch bessere Erklärungen notwendig.
Mit Hilfe von Rechenbeispielen und (leider proprietären) Excel-Dateien lassen sich Vorgänge auch nachspielen. Auch für die Verwaltung selber sind die ein Zugewinn. Bedingt durch die engen personellen Ressourcen der Bezirksämter kann vor dem Hineintappen in juristischen Fallstricke besser geschützt werden.
Würde diese Richtlinie nur unter dem Deckmantel der Transparenz verkauft werden: ich wäre begeistert (mit Abstrichen in der B-Note). Durch die Anpreisung als Instrument im angespannten Mietmarkt werden Erwartungen geweckt, die dieses Konzept nicht erfüllt.
Formen von mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen
Es gibt drei mögliche Formen, die die Richtlinien aufzeigen:
- Mit Hilfe von Fördermitteln
- Ohne Fördermittel
- Ausgleich über Umgebung / Verkauf
Grundsätzlich gelten diese Richtlinen aber nur, wenn für ein Wohnungsbauvorhaben ein Bebauungsplan aufgestellt wird. Wird bspw. eine Baulücke gefüllt, so sind diese gemäß §34 BauGB ohne Bebauungsplanverfahren (und entsprechender Verhandlung) zu genehmigen.
Der Anteil der mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen soll insgesamt 10% bis 33% bezogen auf die Gesamtzahl der zu errichtenden Wohnungen betragen.
Soweit, so gut. Ein Bezug auf die Wohnfläche wäre schöner gewesen. An anderen Stellen wird auch auf Quadratmeter eingegangen. Unter Berücksichtigung, dass diese mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen kleiner ausfallen, sollte der Wert von 33% im Kopf auch etwas reduziert werden.
Zur Wahrung der Angemessenheit [..] kann es im Einzelfall geboten sein, den Anteil zu verringern oder ganz darauf zu verzichten.
Maren Kern vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) interpretiert diese Hintertür wie folgt:
Es muss klar sein, dass jeder Euro für zusätzliche Verpflichtungen letztlich von den Mieterinnen und Mietern in den neuen Wohnungen bezahlt wird. Deshalb ist es gut, dass die Berliner Leitlinien projektbezogene Ermessensspielräume vorsehen. Sie müssen auf jeden Fall auch genutzt werden.
Mit Hilfe von Fördermitteln
Soweit im Rahmen des Berliner Wohnraumförderprogramms ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, soll sich der Vorhabenträger im städtebaulichen Vertrag verpflichten, einen bestimmten Anteil der in dem zur Realisierung anstehenden neuen Wohngebiet vorgesehenen Wohnungen mit Mitteln aus diesem Förderprogramm zu errichten, die geförderten Wohnungen entsprechend den Bedingungen des Förderprogrammes nur an danach berechtigte Personen zu vermieten und die sich aus dem Förderprogramm ergebende Beschränkung des Mietpreises zu beachten.
Ein Investor soll sich verpflichten, das Förderprogramm in Anspruch zu nehmen. Das geht aber nur, wenn noch Kapazität frei ist. In den Verwaltungsvorschriften für die soziale Wohnraumförderung ist zu entnehmen, dass die Förderkulisse sich vor allem auf das Gebiet innerhalb des S-Bahn-Ringes sowie angrenzender Gebiete mit hohen Angebotsmieten beschränken soll.
Die Rahmenpatameter der Förderung lauten dabei:
- Berlinweit werden 1000 Wohnungen je Jahr gefördert
- Finanzierung über (zinsfreies) Baudarlehen
- Bindungsdauer: 20 Jahre
- maximal 1.200 Euro je qm / 64.000 Euro je Wohnung. Maximale Ausschöpfung bei ca. 53 qm je Wohnung.
- Anfängliche Miete bei durchschnittlich 6,50 Euro je qm (Schwankung 6,00 – 7,50).
- Vermietung nur mit Wohnungsberechtigungsschein, (den gibt es in Berlin bis zu 140% Einkommen nach §9 Abs. 2 WoFG,
- Alle zwei Jahre Mieterhöhung um 20ct je qm
- Siehe auch Verordnungstext
Noch mal zusammenfasst: Es gibt zinsfreies Darlehen – und dafür gibt es 20 Jahre festgesetzte Mieten.
Kleines Rechenbeispiel eines Einfamilienhaushalts:
- Maximales Einkommen in Berlin für WBS 16.800 Euro (1400 mtl.), nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben verbleiben 12.438 Euro (1036 mtl.)
- Jährliche Kaltmiete im Jahre 1 (bei 6,50 Euro und 40qm): 3120 Euro (260 mtl)
- Jährliche Kaltmiete im Jahre 20 (bei 8,30 Euro und 40qm): 3984 Euro (332 mtl.)
Die Mietkosten sollen i.d.R. 30% des Einkommens nicht übersteigen. Nun sind die obrigen Werte Kaltmieten, d.h. Nebenkosten und Strom sind noch hinzuzurechnen. Und nicht jeder WBS-Inhaber verdient an der Obergrenze. Es werden nur sehr wenige WBS-Inhaber diese Wohnungen überhaupt beziehen können.
Ohne Wohnraumförderung
Verzichtet der Vorhabenträger auf die Beantragung von Wohnraumfördermitteln oder werden ihm auf seinen Antrag hin keine oder Wohnraumfördermittel für eine geringere Zahl von Wohnungen bewilligt, als er beantragt hat, so soll auch im frei finanzierten Wohnungsbau die Möglichkeit genutzt werden, einen bestimmten Anteil der Wohnungen entsprechend den in den jeweils geltenden Wohnungsbauförderungsbestimmungen festgelegten Anforderungen an Wohnflächen (aktuell siehe Wohnungsbauförderungsbestimmungen 2014 Nr. 2 Absatz 4) sowie Mietpreis- und Belegungsbindungen (aktuell siehe Wohnungsbauförderungsbestimmungen 2014 Nr. 2 Absatz 5) zu errichten. Auch eine solche Vereinbarung ist nur unter der Voraussetzung und in dem Umfang möglich, dass bei Anrechnung sämtlicher aus dem Vertrag den Vorhabenträger treffenden Belastungen der städtebauliche Vertrag insgesamt auch wirtschaftlich angemessen ist.
Möchte der Investor keine Förderung in Anspruch nehmen (oder ist der Antrag dafür nicht (vollumfänglich) bewilligt worden, kann er auch verpflichtet werden, belegungsbebundene Wohnungen ohne Förderung anzubieten. Die Spielregeln wären die gleichen, also ebenso 20 Jahre.
Abtreten von Wohnungen
Der Vorhabenträger kann der Verpflichtung zum Bau von Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen auch dadurch nachkommen, dass er eine geeignete Fläche im Plangebiet oder unmittelbar an dieses angrenzend an einen anderen Wohnungsbauträger abtritt, der sich seinerseits gegenüber dem Land Berlin zur Umsetzung der genannten Verpflichtung in entsprechendem Umfang verpflichtet, wodurch in adäquater Weise zu einer sozial ausgewogenen Bevölkerungsstruktur beigetragen werden kann.
Prüfung der Angemessenheit
Die Grundanforderung ergibt sich aus §11(2) BauGB
Die vereinbarten Leistungen müssen den gesamten Umständen nach angemessen sein.
Diese Formulierung ist sehr schwammig. Es stellt sich auch die Frage, was angemessen im jeweiligen Falle ist. Aber genau an dieser Stelle will der Leitfaden einen Vorschlag machen. Die zentrale Aussage (die leider nicht an prominenter Stelle steht):
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die im städtebaulichen Vertrag getroffenen Vereinbarungen insgesamt angemessen sind, wenn die danach bestehenden Leistungspflichten in der Summe den geschätzten planungsbedingten Bodenwertzuwachs nicht überschreiten.
Zusammengafasst wird also der Wert des Bodens vor und nach dem Verfahren gegenübergestellt, denn mit einem Plan hat dieser mehr Wert als vorher. Die Verfahren zur Bodenwertanalyse möchte ich ungern zitieren, da diese sehr komplex sind – und im Leitfaden auch nur knapp angerissen sind.
Und nun werden alle Verpflichtungen dem Wertzuwachs gegenübergestellt. Das betrifft u.a. die Herstellung von öffentlicher Grünflächen (60 Euro je qm), Straßenflächen (150 Euro je qm), Wegeflächen (40 Euro je qm) und Spielplätzen (100 Euro je qm) sowie deren Übertragung. Ebenso fallen Kosten für die Herstellung Kita-Plätzen (25.000 Euro je Platz) und Grundschulplätzen (37.000 Euro je Platz) an. Bei Mietbindung mit Förderung wird davon ausgegangen, dass der Vorteil aus der Förderung dem Nachteil aus den erzielbaren Mieten entspricht, so dass hier in der Regel keine Anrechnung erfolgen soll (wenngleich die Rendite auf den ausgewiesenen Flächen sinkt). Bei einer Mietbindung ohne Förderung wird der Mietverlust gegenüber einer sonst üblichen Vermietung (es wird von 10 Euro je qm ausgegangen) angesetzt. Über den Daumen gepeilt sind dies ca. 1.000 Euro je gebundenen Quadratmeter bei einer Dauer von 20 Jahren (ich habe mit den Formeln näherungsweise bei einer 53qm-großen Wohnung und einer Differenz von 3,50 Euro eine Differenz von 51.700 Euro ermittelt). Vorsichtig formuliert: viele Wohnungen werden es am Ende nicht werden.
Bewertung des Verfahrens
Ein Bebauungsplanverfahren ist ein imaginärer Verkauf eines Rechts zur Bebauung. Der Verkauf tut (anders als bei einem materiellen Verkauf) nicht weh. Dieser Verkauf bringt einen Nutzen für den Käufer, dass er eben (überhaupt/mehr/besser/anders) bauen darf. Und nun geht es darum, den Verkaufspreis möglichst so hoch anzusetzen, dass er eben noch „angemessen” ist. Nun gibt es aber eine Reihe von Problemen.
Die Mietpreis- und Belegungsbindung läuft sowohl gefördert als auch nicht gefördert nach 20 Jahren aus. Das ist eine harte Grenze. Auch wenn 20 Jahre zunächst lang klingen mögen: so ein Ende naht schneller als geplant. Danach gelten die Restriktionen für die Mietdämpfung nicht mehr – und es ist mit Miterhöhungen zu rechnen. Da die Wohnungen für WBS-Inhaber vorgesehen sind, werden diese nach spätestens zwei Dekaden (sofern sie nicht später eingezogen sind) einen Zwangsumzug haben. Ursache ist, dass in der derzeitigen Logik nur der Ausfall der Miete entschädigt wird – und nicht der Wertverlust der Wohnung durch die Bindung.
Die mietpreisgebundenen Wohnungen sollen für 6,50 Euro kalt (inklusive Staffel) den WBS-Inahbern angeboten werden. Die Mieten bewegen sich an der Grenze der Bezahlbarkeit dieser Zielgruppe. Nun besteht die Welt nicht nur aus Gutverdienern und WBS-Inhabern: es gibt auch eine Mittelschicht. Also erwerbstätige Leute, die arbeiten, aber am Ende des Tages auch nicht so viel übrig bleibt. Und für die Zielgruppe wird nach dem derzeitigen Konzept gar nichts getan.
Alternativen
Der Tagesspiegel hat in einem Beitrag mehrere Vorschläge gesammelt.
- Verdopplung der steuerlichen Abschreibung
- Vergünstigte Abgabe von Grundstücken (was nur bei kommunalen Grundstücken geht. Anstelle einer Abgabe wäre eine Erbbaupacht ggf. zweckmäßiger)
- Kopplung von Baugenehmigung mit Bauverpflichtung mit Zeitplan (dies kann in Rahmen von Durchführungsverträgen bei Bebauungsplänen geregelt werden, schützt aber im Zweifel nicht vor Weiterverkauf. Weitgehender wäre eher ein Verbot des Verkaufes zwischen Erteilung und Bau.)
- Bodenerwerbskostenbremse (da fehlt mir die Vorstellungskraft)
- Geringere Ausstattungsstandards wie niedrige Decken, aufgeständerte Balkons und Tiefgaragen
- Verzicht auf Bebauungspläne (sofern möglich, dann stehen aber auch bestimmte Regularien nicht zur Verfügung).
Je länger ich darüber nachdenke, um so mehr brauchen wir eine grundsätzliche Regelung zum Bau von dauerhaft preisgebundenen Wohnungen. Ich könnte mir dies ähnlich zu §51(1) der Berliner Bauordnung zum Bau von barrierefreien Wohnungen vorstellen: ab einer bestimmten Menge zu bauender Wohnungen innerhalb eines Bauvorhabens sind auch Wohnungen zu errichten, deren Miethöhe sich dauerhaft an Miethöhen orientiert, die Transferleistungsempfängern zustehen bzw. von Geringverdienern auch zu bezahlen sind. Dieser Anteil darf nicht zu hoch sein (was einer kalten Enteignung gleich käme), der Investor sollte das Recht haben, diese Wohnungen innerhalb des Vorhabens zu bestimmen. Zudem darf der bauliche Ausstattungsstandard auch geringer ausfallen.
Dann wäre das Thema in jedem Bauverfahren Gegenstand (bei Bebauungsplanverfahren auch erhöhbar) und eine gewisse soziale Durchmischung dauerhaft gegeben.
Unbenommen gilt die These: Lieber öffentlich gebaut als privat gefördert
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Klein Hendrikje (Linke) erkundigte sich nach den Auswirkungen in Lichtenberg:
Die ersten Erfahrungen haben offenbart, dass sowohl im Bezirk als auch bei den Investoren erhebliche Unsicherheiten bestehen bei der Anwendung des Berechnungsinstrumentes und der Bewertung der Angemessenheit möglicher Leistungspflichten. Die Anwendung des Modells führt zu zeitlichen und personellen Mehraufwendungen bei beiden Vertragspartnern, so dass sich damit das Planverfahren insgesamt verlängert. Aufgrund der nicht vorhandenen Erfahrungen mit diesem Modell in Berlin können rechtliche Probleme, die voraussichtlich erst nach Abschluss des Vertrages und Festsetzung des BPlanes erkennbar werden, nicht ausgeschlossen werden.
Diese Antwort überrascht mich, da ich gerade die Rechtssicherheit als Stärke erkannt habe.
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