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Sommerinterview

Ja, ich gestehe: seit dem Sommerinterview habe ich einen Ohrwurm. Ich kann nicht anders. Und normalerweise versuche ich so wenig wie möglich über diese braune Brut zu schreiben. Heute eine Ausnahme. Die ARD, von allen guten Geistern verlassen, interviewte die Chefin der Braunen.

Wer sich wirklich quälen will, kann es sich in der Mediathek ansehen – im Grunde genommen ist ja ihre Welt einfach: es sind immer die Zugezogenen schuld. Immer. Egal um was. Gesundheitskosten steigen, die Zugezogenen waren es. Das Wetter schlecht, die Zugezogenen sind schuld. Sie spult ihre Phrasen ab, ganz gleich, ob sie zur Frage passen. Wie Klingbeil, nur viel krasser. Spannend ist nur die letzte Frage:

Können Sie uns drei Dinge nennen, die in Deutschland richtig gut laufen?

Nun sind es ja ausgerechnet die Braunen, die jedes Mal Stolz auf das Land, in dem sie geboren worden sind – und das auch immer wieder betonen müssen. Nun müsste das ja bei ihr wie aus einer Fontäne sprudeln. Stattdessen sagte sie:

Ganz schwierig.

Der Moderator fragte also nach:

Wollen Sie kurz überlegen – oder sagen Sie lieber nichts?”

Ok, die aktuelle und die letzten beiden Regierungen sind also doof. Der Moderator muss noch einmal nachfragen:

Worauf ich besonders stolz bin, dass die deutschen Arbeitsnehmer und Arbeiter immer weiter machen, die Hoffnung nicht aufgegeben haben, für unser Land einzustehen, und nicht längst den Büttel hingeworfen haben.

Ich habe keine Ahnung, was der Unterschied zwischen Arbeitnehmer und Arbeiter ist. Und was sie nun weitermachen. Aber der Moderator ließ es durchgehen:

Ok, das ist einer.

Energiekosten.

Darauf kann man wahrlich stolz sein, wenn man die Atomkraft wieder haben will. Es erfolgt noch Blabla von ihr. Und die Abmoderation.

Paypal - Diese lästige Bezahlsystem

Ich gebe zu: ich mag paypal nicht. Paypal ist ein geschlossenes System, in dem nur Leute teilhaben können, die sich da anmelden und ein Konto verfügen. Gruppenzwang mit Tendenz zum natürlichen Monopol. Ganz im Gegenteil zu meiner Bank: ich kann Geld dank IBAN überall hin überweisen – auch wenn du bei einer anderen Bank bist. Für die Bezahlabwicklung in Online-Shops gibt es Optionen, dass man mit IBAN bzw. Debitkartennummer zahlt. Aber zwischen Privatpersonen wurde diese Lösung noch nicht geschaffen.

Der größte Fehler und Lästigkeit dieser Plattform ist aber: Es findet keine Prüfung statt, ob ein Konto wirklich existert.

Wenn du an eine IBAN überweist, gibt es zunächst die beiden Prüfziffern No. 3 und 4. Ein Zahlendreher würde zu ca. 99% der Fälle dazu führen, dass ich gar nicht überweisen kann. Und ist das Konto nicht existent, geht das Geld direkt zurück. Anders gesagt: Es kann kein Geld im luftleeren Raum existieren. Zudem wird auf EU-Ebene gerade der Abgleich mit dem Namen erörtert.

Bei Paypal ist das alles anders. Es mag eine sympatische Idee sein, die E-Mail-Adresse (oder zumindest etwas, was syntaktisch wie eine E-Mail-Adresse aussieht) als Kontonamen zu verwenden. Es verführt aber auch dazu, dass Leute dann denken, man kann einfach Geld an diese E-Mail-Adresse schicken. Und so tat es eine Nachbarin.

Ich bekam also eine E-Mail, dass mir jemand Geld per paypal geschickt hat. Und ich wunderte mich. Dabei habe ich doch gar kein Konto und denke mir: ohne Konto müsste das Geld ja zurückgehen. Aber das tat es nicht. Ich bekam jeweils im Monatstakt Erinnerungsmails. Und als Überweisender gehst du implizit davon aus, dass alles seinen Gang gegangen ist – bei dir ist das Geld ja abgebucht.

Mit anderen Worten: ich habe also eine Art inaktives Scheinkonto, was als Kontonamen eine von mir benutzte E-Mail-Adresse ist. Ich habe Zweifel, dass es eine Rechtsgrundlage für diese Verarbeitungsform meiner Daten gibt – Aber gut.

Nun kann man sich ärgern. Nun kann man dieser aus meiner Sicht unseriösen Plattform schöne E-Mails schicken. Ich entschied mich für den einfacheren Weg: Ich eröffne ein Paypal-Konto, mit dem einzigen Zweck, dieses Geld in eine für mich verwertbare Form zu überführen, um anschließend das Konto wieder zu löschen/schließen.

Nachdem ich es also angelegt habe, konnte ich tatsächlich über das Geld verfügen. Aber nur innerhalb des Paypal-Netzwerkes. Ein solches Konto lässt sich nur wieder schließen, wenn es leer ist. Im Rahmen der Schließung ist eine Banküberweisung möglich, aber nur auf ein zuvor authorisiertes Bankkonto. Und für diese Authorisierung gibt es zwei Optionen:

  • Sie überweisen dir einen Testcent mit Überweisungsbetreff, den du dann im Portal wieder angibst
  • Du musst ihnen Zugriff auf dein Konto gewähren, damit sie im Konto herumschnüffeln können.

Option 2 wirkt völlig absurd – und ich hege auch hier Zweifel, dass ich mich vertragskonform gegenüber meiner Bank verhalte, wenn ich Dritten Zugang zu meinem Konto einräume.

Also musste ich warten. Und weil ich ungeduldig war und diesen Fall abschließen wollte, habe ich das Geld auf das Paypal-Konto einer anderen Person transferieren lassen (und regelte den Rest außerhalb). Und konnte es damit schließen.

Der Testcent, also der Lohn für meine Mühe, kam bei mir trotzdem an. Vielen Dank an Paypal. Und ich frage mich nun, ob ich mir erneut ein Paypal-Konto einrichte. Allerdings nur mit der Absicht, mir mein Konto mittels Testcent verifizieren zu lassen. Aber dann nicht nur einmal. Es könnte dann das bestverifizierteste Konto im Universum werden.

Übrigens: Man kann Überweisungen bei Paypal auch stornieren. Für den Geldtransfer auf ein nichtexistentes Konto gibt es eine Benachrichtungsmail, für die Stornierung dagegen nicht.

Umwandlung Bürogebäude in Wohngebäude

Eine spannende Debatte, die ich diese Woche hatte: der Bedarf an Bürogebäuden nimmt ab, umgekehrt nimmt der Bedarf an Wohnfläche zu. Allein durch HomeOffice. Und ehe man neue Wohnhäuser baut und damit weitere Flächen versiegelt, wäre es da nicht viel klüger, man würde diese bestehenden Gebäude umwandeln. Allerdings hindert häufig der gültige Bebauungsplan eine schnelle Umwandlung – und eine baurechtliche Umwidmung kostet viel zu viel Zeit.

Zunächst denkt man da: Naja, ziehe ein paar Trockenbauwände ein, zieh ein paar neue Stromkreisläufe. Und verlege vielleicht noch ein paar Wasserstränge. Aber das alleine ist es ja nicht. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr verstehe ich, warum das zwar einfach und sympathisch gedacht ist, aber durchaus schwierig ist. Und noch nach der passenden Lösung suche.

Sinn und Zweck der Bebauungspläne

Zunächst muss man sich mit dem Zweck des jeweiligen Bebauungsplanes auseinandersetzen. In der Regel wird ein Bebauungsplan da festgesetzt, wo es eben notwendig ist, bestimmte baurechtliche Sachverhalte zu regeln. Ein Regelungsgrund kann Lärm sein. Lärm spielt vor allem zu Wohngebäuden hin eine Rolle. Schließt man die Wohnnutzung in einem Gebiet aus, können die Gewerbe da eher mal Krach machen. Wird nun aus so einem Bürogebäude ein Wohngebäude, könnte das kritisch für das umliegende Gewerbe werden. Und das gilt es halt zu prüfen.

Ohne B-Plan kann grundsätzlich so gebaut werden wie in der Nachbarschaft (vgl. §34 BauGB). Und ist die schon gemischt geprägt durch Gewerbe und Wohnen, dürfte eine Umwidmung nicht das große Thema sein.

Aber solche Gebiete gibt es praktisch nicht in Hamburg. Denn in Hamburg gab es nach dem zweiten Weltkrieg den krassen Fetisch, dass man für die gesamte Stadt Bebauungspläne erlassen muss. Es gibt so viele unnötige Pläne, die einfach nur ganz banales regeln. Zumal die Bauordnung damals ohnehin nur vier Geschosse erlaubte. Und jeder dieser Pläne lähmt auch die Verwaltung, weil sie gar nicht so viele Pläne ändern kann wie sie zeitlich möchte.

Und nun kann man sich natürlich schon vorstellen, dass ein Investor da auch nur bedingt Interesse hat, so ein Verfahren anzustoßen.

Zweckentfremdungsverbot

Der nächste Gedanke ist: Aufbauen von Druck auf die Eigentümer. Ein Zwangsmittel. Das ist eine Gewerbeimmobilie, die gerade nicht für Gewerbezwecke genutzt wird, weil sie leer steht. Eine Analogie wäre das Zweckentfremdungsverbotsgesetz für Wohnraum. Nur ein essentielles Merkmal ist da: es gibt einen Mangel an Wohnraum, deshalb will man ihn schützen. Aber es gibt keinen Mangel an Gewerbeimmobilien. Würde man diese Analogie in Gesetzesform kippen, würden Eigentümer Reihenweise ihre Vermietungsbemühungen nachweisen – und damit wäre das Instrument sinnfrei.

Verlust Bestandsschutz

Bei meiner Recherche fand ich eine Präsentation der Stadt Hamburg, die die weiteren baurechtlichen Herausforderungen darstellt. Der größte und wichtigste Fakt ist der Verlust des Bestandsschutzes. Nimm irgendeinen 70er-Jahre-Bürobau, der die damaligen Anforderungen erfüllte. Er müsste nun die aktuellen Anforderungen erfüllen. Und das zieht sich dann durch ziemlich viele Kapitel:

  • Schallschutz
  • Brandschutz
  • Statik
  • Abstandsflächen (im Gewerbegebiet kleiner als in Wohngebieten)
  • unzählige einzelne Bauvorschriften, bspw. Treppenstufen, Geländer, Fahrstuhlbedarf

Für einzelne Sachen gibt es Befreiungsoptionen. Nicht für alle. Aber hier ist durchaus Musik, was man in solchen Fällen dann alles tolerieren sollte…

Neuer § 246e BauGB

Ende letzten Jahres ging durch den Bundestag eine Reform des Baugesetzbuches, die u.a. einen neuen Paragrafen 246e BauGB vorsieht (der aber noch nicht verabschiedet wurde). Der Entwurf sieht diese Regelung vor:

§ 246e Befristete Sonderregelung für den Wohnungsbau in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt

In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 mit Zustimmung der Gemeinde von den Vorschriften dieses Gesetzbuchs oder den aufgrund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden, wenn die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist und einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
1. der Errichtung eines Wohnzwecken dienenden Gebäudes mit mindestens sechs Wohnungen,
2. der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes, wenn hierdurch neue Wohnungen geschaffen oder vorhandener Wohnraum wieder nutzbar wird, oder
3. der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage für Wohnzwecke, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung.

Unsere alte Ampel hatte sich also genau mit der Problematik auseinander gesetzt. Das ganze wirkt auf mich enorm weitgehend: man kann das gesamte Baugesetzbuch und alle Bauleitpläne ignorieren. Ich weiß noch nicht, ob man sich über diese Möglichkeit freuen sollte. Man muss nur den erforderlichen Umfang abklären. Und es braucht noch die jeweilige Zustimmung der Gemeinde. Und da es eine so krasse Maßnahme ist, hat man es zunächst zeitlich befristet.

Man muss noch nicht einmal das Umfeld würdigen oder diese Wechselwirkungen betrachten. Es findet keine Beteiligung von Trägern öffentlicher Belange statt, ebenso nicht die Öffentlichkeitsbeteiliung. Man darf demnach im Industriegebiet in den Verwaltungsbau Wohnungen anlegen. Was hier nicht passiert, ist die Umwidmung. Es bleibt ein Industriegebiet.

Nun bin ich kein Jurist. Aber mir stellt sich die Frage, ob die Leute im neuen Wohnraum im Industriegebiet die benachbarte Industrie leise klagen kann. Vermutlich nicht, denn die Wohnung steht ja nach wie vor im Industriegebiet. Aber eine Gewissheit habe ich hier nicht. Hier wären klare Regelungen im Gesetz wünschenswert. Nicht minder spannend ist die Welt dann nach 2027: die neuen Wohngebäude werden Bestandsschutz genießen, wurden ja legal umgenutzt. Aber soll dann in einigen Jahren etwas größere Sanierungen oder Umbauten stattfinden, dürfte das Bestandsrecht erlischen und die Anforderungen gegen den nach wie vor gültigen Bebauungsplan abgeglichen werden.

Der deutsche Umwelthilfe hat mit anderen Verbänden eine Stellungnahme herausgebracht, bei der sie diese Paragrafen als “Bau-Turbo” bezeichnen und ablehnen. Ich kann deren Argumente teilweise verstehen, nur denke ich, dass der Krux woanders liegt.

Natürlich ist korrekt, dass dieses Instrument kein geeignetes ist, dass günstiger Wohnraum entsteht. Aber das sehe ich hier auch nicht als Ziel: wir wollen Wohnungen, für die anderswo sonst neu versiegelt werden muss. Aber mal Hand aufs Herz: glaubt irgendjemand, dass so eine einstige Gewerbeimmobilie zur Luxusbaude wird? Auf diese Kerbe zahlt auch das Argumente der Spekulation. Ferner befürchtet man den Verlust von Grünflächen (Was ich gar nicht verstehen kann, die Gemeinde müsste zustimmen) und ein Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung (den ich ebenso nicht verstehen kann, ggf. bezieht sich die Kritik auf einen früheren Stand).

Weitere Referenzen

In Bergedorf wurde ein solches Gebäude umgebaut, der NDR berichtete. Hier betreut das rauhe Haus Menschen mit Beeinträchtigungen.

Es gibt sogar KfW-Förderungen für solche Umbauten.

In Koblenz hat man es getan: 4,6 Mio Euro Umbaukosten für 21 Wohnungen

Bremen zeigt fünf Beispiele

Fazit

Zusammenfassend stehe ich dem Gedanken noch ein wenig ratlos gegenüber. Und die einzige wohl wirklich effiziente Maßnahme: vorerst keine Bebauungspläne mit neuen Gewerbeanteilen beschließen.

Hamburgs neue Autokoalition

Ende April wurde der Koalitionsvertrag der neu gewählten rot-grünen Koalition in Hamburg der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen SPD und Grünen ist für den Radverkehr ernüchternd. Die Radfahrenden sind offensichtlich vor allem diejenigen, die den Autofahrenden mehr Platz verschaffen sollen. Das machen die Koalitionäre zu Beginn des Kapitels für „Verkehr und Mobilitätswende“ mehr als deutlich:

Zugleich ist und bleibt das Auto ein relevanter Verkehrsträger in Hamburg. Bürger*innen, die den Umweltverbund (Bus, Bahn, Fahrrad) nutzen, machen Straßenraum frei und verbessern damit die Bedingungen für diejenigen, die weiterhin Auto fahren wollen oder müssen.

Und das wird nun verkauft als „kluger Mobilitätsmix“. So ist es auch nicht verwunderlich, dass von den zehn Seiten für Verkehr dem Radverkehr insgesamt gerade mal eine 2/3-Seite gewidmet wurde. Wobei: ein großer Absatz davon befasst sich mit dem Thema „Abstellregelungen für E-Scooter“. Also bleibt eine halbe Seite übrig, auf der sich die Koalitionäre zunächst ausgiebig auf die Schulter klopfen, dass wir nun besser in der „Fahrradstadt“ unterwegs sein können. Das mag vereinzelt auch der Fall sein, aber die Mehrheit der Radwege ist immer noch genauso “ziemlich verformt”, wie es schon Olaf Scholz zur Sternfahrt 2017 attestiert hatte.

Es sollen bezirkliche Konzepte erarbeitet werden (Papier ist geduldig), die Radschnellwege sind weiterhin degradiert zu „Radrouten Plus“, und hier und da wird es einen Grünpfeil für Radfahrende und eine in Gegenrichtung freigegebene Einbahnstraße geben – das alles tut ja dem Auto nicht weh. Dafür jedoch „gilt ein grundsätzliches Moratorium für den Abbau von Parkplätzen im öffentlichen Raum“.

Dafür soll lieber die Gehwegfreigabe für Radverkehr geprüft werden. Gleichzeitig betont man im anschließenden Kapitel noch einmal, wie wichtig doch der Fußverkehr ist und lobt vor allem – kein Scherz – die positiven Effekte für den Fußverkehr durch den Bau der A26!

Was die Autofahrenden am wenigsten schmerzt, das wird im Koalitionsvertrag am klarsten formuliert: 40.000 Stellplätze, beispielsweise durch P+R-Anlagen und in den Quartieren. Auch die Radboxen finden Erwähnung.

Alles in allem: Der Koalitionsvertrag ist ein Rückschritt für den Radverkehr. Es fehlt eindeutig der Mut, diese Stadt wirklich zur Fahrradstadt zu machen. Innovative Ideen oder Zukunftsvisionen? Fehlanzeige!

(Dieser Artikel erscheint auch in der Radcity 02/2025 des ADFC Hamburg)

Fahrradpotential - Absolute Mehrheit für den Radverkehr?

Unter dem Titel “Absolute Mehrheit fürs Rad – das muss gehen!” veranstaltete der Hamburger ADFC eine Podiumsdiskussion am 22.01.2025 im Vorfeld der Bürgerschaftswahl. Auf dem Podium waren die Parteien eingeladen, die bereits auch in der Bürgerschaft sitzen. Wöllte man die Debatte nach vorne bringen, wäre mindestens eine weitere Partei hilfreich, die einerseits Mobilitätswende will, andererseits aber noch nicht vertreten ist. Die Piraten standen zu dem Zeitpunkt nicht mehr auf dem Wahlzettel, aber Volt wäre durchaus eine Option gewesen. Allein mit der Auswahl der Parteien kommuniziert auch ein ADFC – und das finde ich schade.

Im Artikel begründe ich, warum diese geforderte Mehrheit nicht das eigentlich erstrebenswerte sein sollte.

Reisekostengesetz

Wer von Zeit zu Zeit beruflich unterwegs ist, wird sich mit dem (Bundes-)Reisekostengesetzes auseinandersetzen müssen.

Zunächst ist es erst einmal gut, dass wir dieses Gesetz haben. Wenn mich der Arbeitgeber fortschickt, so sind die Spielregeln dahinter für alle Beteiligten klar. So zum Beispiel, dass ich eine beruflich veranlasste Fahrt auch mit privaten Reiseanteilen kombinieren werden darf – und die Fahrt dann so abzurechnen ist, als hätte es nur den beruflichen Anteil gegeben.

Allerdings bedarf das Gesetz dringend ein Update. An zwei Stellen:

Verpflegungsmehraufwendungen

Klar: wer unterwegs ist, muss sich um Nahrung kümmern – und kann sie nicht so wie zu Hause konsumieren. Dafür gibt es Verpflegungsmehraufwendungen:

  • 28€ bei Abwesenheit von 0 bis 24h
  • 14€ bei An- und Abreisetage
  • 14€ bei Abwesenheit größer 8h

Wer volle 24h abwesend ist, bekommt also den vollen Satz. Komme ich aber gegen 24h zu Hause an, erhalte ich nur den halben Satz. Obwohl ich den selben Mehraufwand hatte. Es sollte den vollen Satz schon bei 16h geben.

Fahrtkosten

Wer Zug fährt, muss Belege vorlegen. Jeden einzelnen, also auch Reservierungen.

Wer Fahrrad fährt, keine Ironie, muss dies innerhalb eines Monats vier Mal tun und nachweisen und bekommt dafür pauschal 5 Euro pro Monat (siehe Allgemeine Verwaltungsvorschriften)

Benutzen Dienstreisende mindestens vier Mal innerhalb eines Monats ein Fahrrad, wird als Wegstreckenentschädigung für jeden maßgeblichen Monat ein Betrag in Höhe von fünf Euro gewährt. Die viermalige Nutzung eines Fahrrades innerhalb eines Monats bezieht sich auf zurückgelegte Einzelstrecken und nicht auf die Zahl der Dienstreisen. Das Vorhandensein der Voraussetzung ist monatlich nachträglich anzuzeigen. Werden im Einzelfall höhere Kosten (z. B. Mietfahrrad) nachgewiesen, werden diese erstattet.

Wer mit dem privaten Kraftfahrzeug fährt, nennt stattdessen die gefahrenen (Gesamt-)Kilometer – und bekommt (das erhebliche dienstliche Interesse vorausgesetzt) 30ct/km.

Für die Abrechnung ist es wesentlich einfacher, lediglich eine Kilometeranzahl zu benennen, als jeden einzelnen Beleg abzuheften. Hast du die berufliche Fahrt gar mit privaten Anteilen kombinierst, nennst du einfach die KM-Zahl, die du ohne private Anteile gefahren wärest. Mit der Bahn wird es sehr kompliziert, wenn dies auf dem selben Ticket passiert (z.B. als Weiterfahrt).

Wie könnte es einfacher laufen? Einfach 30 Cent für jeden gefahrenen Kilometer. Egal wie.

Nimmst du das Fahrrad, erstrampelst du dir die Cents (Bonus für die Umwelt). Nimmst du den Zug, musst du als Arbeitnehmer eben rechnen, ab wann sich eine (private) Bahncard rechnet. Fährst du mit dem Privat-PKW, so ändert sich ja nix. Und nimmst du Business-Class im Flugzeug, so ist der Komfort-Gewinn nicht mehr Sache des Arbeitgebers.

Wahl-o-Mat Hamburg 2025

Eine Woche nach der Bundestagswahl steht die Bürgerschaftswahl in Hamburg an. Oder besser gesagt: Nachdem der Wahltermin für Hamburg schon lange stand, musste man unbedingt eine Woche eher noch eine Bundestagswahl dazwischen schieben. Wunderbar.

Auch für diese Wahl gibt es einen Wahl-o-Mat. Allgemein eben Hamburger Fragen und eben auch nur die Parteien, die für Hamburg zugelassen sind. Daher ist die Auswahl und Vergleichbarkeit etwas übersichtlicher.

Das Ergebnis überrascht mich nicht: Volt steht vorne, die AfD hinten. Kurios ist nur, dass die NPD noch auf der AfD ist.

Ich picke wieder nur einzelne Thesen heraus:

Wahl-o-Mat BTW 2025

mat für die Bundestagswahl gemacht. Zunächst großes Lob an die Entwickler. Wenn ich es mit früheren Versionen vergleiche, sind die heutigen Ergebnisdarstellungen wesentlich besser.

Bei den Fragen habe ich den subjektiven Eindruck, dass auch diese leicht besser geworden sind. Aber noch immer scheint man keinen vernünftigen Filter zu haben, wann eine Frage wohl ungeeignet erscheint. Ein typisches Indiz ist, wenn viele Parteien eine Begründung mitliefern, die keinen Bezug zur Frage mehr haben. Oder mehrere Parteien die selbe Begründung abliefern, aber unterschiedlich votieren.

Über das Ergebnis kann ich wahrlich erfreut sind: die Piraten sind nach wie vor Platz 1, gefolgt von den Humanisten und der Tierschutzpartei. Am unteren Ende der Übereinstimmung ist der braune Bodensatz der Gesellschaft: AfD, Bündnis Deutschland und WerteUnion. In soweit ist mein Weltbild also noch in Ordnung.

Entgegen früherer Beiträge zum Wahl-o-Maten (z.B. HH 2020) will ich mich dieses Mal vor allem auf die Unterschiede der progressiven Kräfte fokussieren. Denn das gibt auch mal ein wenig Einblick, wo Unterschiede zwischen Volt, Piraten, Humanisten und Co liegen. Und auch das seltene Thema der Übereinstimmung mit dem braunen Bodensatz.

Volksentscheid Zukunft

In Hamburg läuft ein weiterer Volksentscheid, der demnächst in die zweite Sammelphase geht: der Hamburger Zukunftsentscheid.

Hand aufs Herz: Wer ist nicht auch für Zukunft? Da kann man doch gar nicht dagegen sein, oder? Ich muss gestehen: ich finde solche nichts aussagenden Namen absolut nicht toll. Aber soviel zur B-Note.

Worum geht es? In Hamburg gibt es ein Klimaschutzgesetz. Und das geht den Initiatoren nicht weit genug. Also wollen sie es verschärfen.

Kurzzusammenfassung: Meine aktuelle Tendenz ist, diesem Ansinnen nicht zuzustimmen. Das Originalgesetz legt die Messlatte für die Zielerreichung sehr hoch, hat aber keine Konsequenzen beim Verfehlen. Würde man das in dieser vorgeschlagenen Form zum Gesetz werden lassen, sehe ich völlig unkalkulierbare Risiken für die Stadt.

Bestehendes Klimaschutzgesetz

Ausgangsgrundlage ist das Hamburger Klimaschutzgesetz. Zentrales Ziel ist in §4 definiert:

(1) Ausgehend vom Basisjahr 1990 und unter Bezugnahme auf die Gesamtsumme der Kohlendioxidemissionen in Anlehnung an die Verursacherbilanz der Freien und Hansestadt Hamburg soll das Erreichen eines möglichst stetigen Reduktionspfads wie folgt angestrebt werden:
1. bis zum Jahr 2030 eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen um 70 vom Hundert (v. H.),
2. bis zum Jahr 2045 eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen um 98 v. H.

Kurz gesagt: die Kohlendioxidemissionen in Hamburg soll bis 2045 um 98% gegenüber 1990 reduziert werden. Und ich habe keine Ahnung, was das in der Praxis bedeutet. Und ich wette, die meisten haben ebenso keine Ahnung. Ich traf sogar schon Leute mit Klemmbrett, die mir das auch nicht beantworten konnten.

Immer wieder schön in solchen Gesetzen ist ein Referenzzeitpunkt festzulegen – und nicht gleich die Zahlen ins Gesetz zu schreiben. Wenn ich dieser Zahl Glauben schenken darf, wurde also im Jahre 1990 20.549.000 Tonnen CO₂ in die Luft geblasen (ich fand aber auch schon andere Zahlen). Demzufolge dürfen es im Jahre 2045 nur noch 410.980 Tonnen sein. Nun gibt es dazu bereits Statistiken von Statistik Nord, hier sind die neusten Zahlen von 2022: es wurden noch 12.993.000 Tonnen erzeugt, also gibt es bereits eine Reduktion um 36,6%. Aus dem Bauchgefühl heraus: gar nicht so schlecht (wenn man betrachtet, dass der Luftverkehr noch zunahm und es 1990 noch keine SUVs gab).

Nun gehen wir in die Definitionen in §3:

Kohlendioxidemissionen, die durch den Verbrauch von Endenergie in der Freien und Hansestadt Hamburg verursachten Emissionen von Kohlendioxid nach der amtlichen Methodik zur Verursacherbilanz des Statistischen Amtes für Hamburg und Schleswig-Holstein für die Freie und Hansestadt Hamburg

Wir reden also nicht um CO₂ allgemein, sondern nur um den CO₂, der durch den Verbrauch von Endenergie in der Hansestadt Hamburg erzeugt wird. Dafür gibt es eine “amtliche Methodik”. Lese ich die Erklärungen, dann raucht mir der Kopf. Eigentlich geht es um verbrauchte Energieträger unter Berücksichtigung verschiedener Veredelungsverfahren. Wenn ich das mal ganz salopp formuliere: Wir wissen, wieviel Kohle verkauft wurde, nehmen implizit an, dass das alles verpulvert wurde. Und rechnen die Menge mit einen Faktor um, der dann das CO₂ dieser Kohle repräsentiert. Wir wissen auch wieviel Strom gezogen worden ist – und treffen Annahmen, wieviel CO₂ bei der Herstellung aufgebracht wurde. Aber schon in den Statistiken gibt es Hinweise auf unzureichende Datenlagen:

Eine Aussage über den Nutzenergieverbrauch (z. B. Nutzung für Heizzwecke, Licht, Antrieb von Maschinen etc.) ist nicht möglich, da hierfür gegenwärtig weder ausreichende statistische Erhebungen noch anderweitige Quantifizierungsmöglichkeiten vorliegen.

Und wir reden nur über Hamburg. Nehmen wir Benzin, so wissen wir bestenfalls noch, wo er gekauft wurde. Aber nicht, wo er verfahren wurde.

Das Ziel ist also Reduktion auf Basis dieser Methode. Und Konsequenzen bei Nichterreichung? Keine. Denn diese 410.980 Tonnen werden ja nur “angestrebt”. Es ist eine Zielmarke. Böse Zungen könnten nun sagen: ein zahnloser Tiger. Das schlimmste, was also der Regierung passieren kann: ein wenig Haue von der Opposition bei parlamentarischen Anfragen.

Wesentlich spannender sind die anderen Abschnitte des Gesetzes. Also da, wo es nun konkret wird, was gemacht werden soll. Drei Beispiele aus dem bestehenden Gesetz:

  • keine Stein- und Braunkohle mehr für Fernwärme
  • Pflicht für Grünsolardächer
  • Photovoltaik auf Parkplatzanlagen

Das sind Forderungen, die ich greifen kann. Das sind Forderungen, die ich im einzelnen gut oder schlecht finden kann. Das sind auch Forderungen, bei denen jeder erkennen kann, dass sie für ein Gesamtziel in die richtige Richtung gehen. Und die vor allem jeder auch prüfen kann. Nur ein Beispiel: In §29 Abs. 2 steht:

Beim Bau oder Umbau von öffentlichen Straßen sind die Ziele dieses Gesetzes zu beachten und zu fördern. Es wird darauf hingewirkt, dass diese den Erfordernissen eines attraktiven und sicheren Fahrrad- und Fußgängerverkehrs entsprechen.

Schaue ich mir einige der letzten Sanierungen in Hamburg an, so scheint das Gesetz noch nicht in jedem Planungsbüro bekannt zu sein.

Und ehe ich es vergesse: Bekanntermaßen ist Natur ein wunderbares Mittel, CO₂ wieder in Sauerstoff umzuwandeln. Das Gesetz betrachtet aber nur die Emissionen. Und Begrünung kommt nur für die Dachgestaltung im Gesetz vor. Baumpflanzungen werden nach diesen Definitionen nicht gegengerechnet, es ist also keine Maßnahme gegen zu viel CO₂.

Die Initiative

Zentraler Aspekt ist nun, dass nicht mehr “angestrebt” wird, sondern dass künftig eine Verpflichtung gibt.

Ich zitiere den entsprechenden Paragrafen mit Ergänzungen und Streichungen:

(1) Ausgehend vom Basisjahr 1990 und unter Bezugnahme auf die Gesamtsumme der Kohlendioxidemissionen in Anlehnung an die Verursacherbilanz der Freien und Hansestadt Hamburg soll das Erreichen eines möglichst stetigen Reduktionspfads wie folgt angestrebt werden verpflichtet sich die Freie und Hansestadt Hamburg die CO₂ Emissionen wie folgt zu reduzieren:

1. bis zum Jahr 2030 eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen um mindestens 70 vom Hundert (v.H.),
2. bis spätestens zum Jahr 2045 2040 eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen um 98 v. H.

Mal salopp formuliert: aus der hohen Zielvorgabe mit der schwer nachvollziehbaren Metrik, die bisher aber konsequenzfrei war, wird nun eine Pflichtvorgabe in noch kürzerer Zeit. Und wenn die nicht erreicht wird, sollen Gremien tagen und neue, noch härtere Maßnahmenpläne geschmiedet werden.

Das erste Problem, was ich sehe: der Staat wird für den Erfolg seiner Maßnahmen verpflichtet. Aber der Staat kann diese eben nicht erzwingen. Der Staat kann dafür nur den Rahmen festlegen. Der Staat kann Maßnahmen einleiten, dass Autofahren unattraktiver wird. Ob die Menschen dann bspw. auf das Auto oder die Fahrt verzichten, liegt ja nicht im staatlichen Handlungsrahmen. Es sei denn, wir weiten unsere Bürokratie so auf, dass jede Fahrt oder Heizungsbenutzung vorab beantragt und genehmigt werden muss.

Das zweite Problem, was ich sehe: die örtliche Auswirkung. Die Zielvorgabe gilt ja nur für Hamburg. Und für Endenergie. Verlagere ich beispielsweise einen Produktionsbetrieb nach Norderstedt, ist das gut für Hamburgs Klimabilanz. Dann wird das CO₂ eben vor den Toren verballert. Allerdings dürfte das für den Arbeitsmarkt nicht so gut sein. Und das können wir auch eine Stufe größer denken: wahrscheinlich werden wir die Messlatten reißen – und ich stelle mir die Debatten vor, ob wir den Hafen nach Wilhelmshaven zum Europort verlegen. Das mag allgemein auch nicht die schlechteste Idee sein, fordern ja geradezu die Piraten auch eine gemeinschaftliche Lösung für den deutschen Nordseeraum. Aber es ist doch bescheuert, wenn so eine Maßnahme zur Verbesserung der Hamburger CO₂-Bilanz gemacht wird – und nicht, weil die großen, schweren Schiffe bereits den Tiefseehafen in Wilhelmshaven ansteuern und damit auch einiges an Fahrweg und CO₂ entlang der Elbe (inkl. Fahrrinnenvertiefung) einsparen.

Und das dritte Problem: es wird ja die Gesamtmenge an CO₂ eines Jahres ermittelt, dabei wird aber nicht unterschieden zwischen Konsum und Investition. Zugegebenermaßen macht es das noch komplizierter. Aber für die aus dem Gesetz resultierenden Debatten ist das nicht unerheblich. Wenn der CO₂-Wert zu hoch ist, ist es am einfachsten die Investitionen zu hinterfragen? Ähnlich wie beim Haushalt: die Kommune ist klamm, also wird die Schultoilette nicht saniert.

Der CO₂-Ausstoß ist zu hoch? Da können wir unmöglich diese Straßenbahn noch bauen. Auch wenn die Maßnahme das Ziel und das Potential hat, das in der Zukunft CO₂ einzusparen. Und gerade Bau-CO₂ und fragwürdige Rechenmethoden kenne ich schon beim U-Bahn-Bau. Für die Haushalte sollte Doppik Standard sein: dann habe ich Investitionen noch auf der Guthaben-Seite. So ähnlich sollte man auch das betrachten, wenn 2038 oder 2039 (also die letzten Jahre vor der Zielmarke) noch irgendein Neubau entstehen soll.

Und das vierte Problem: ich habe kein Gefühl, was diese Konsequenzen bedeuten. Muss ich dann rechnen, im kalten zu setzen, wenn die Wohnung immer noch mit Gas beheizt wird?

Was der Entscheid ebenso ändert ist die Sozialverträglichkeit der Maßnahmen. Bisher war sie im Gleichklang zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Nun wird diese hervorgehoben. Das finde ich durchaus in Ordnung.

Was der Volksentscheid dagegen gar nicht anfasst: die konkreten Maßnahmen. Hier wird nichts verschärft, hier wird nichts gestrichen, hier werden keine Dinge ergänzt. Aber genau hier sehe ich das Potential. Und genau hier könnte mich diese Initiative bekommen. Selbst in den Begründungen oder der FAQ finde ich dazu keinerlei Futter, wie man diese Ziele besser und gesicherter erreichen kann. Es wird nur auf die Finanzierbarkeit dargestellt. Und das ist schade!

Fazit

Ich bin kein Freund von quantitativen Zielen in Gesetzen, die auf schwer fassbare Metriken basieren. Ich bin ein Freund von Maßnahmen, die auf das Ziel hinwirken.