Chronologie des S-Bahn-Chaos
Es dürfte sich sicher über die Grenzen der Hauptstadt (sowie der angrenzenden Tarifzone C) herumgesprochen haben, daß die Berliner S-Bahn im Moment gravierende Probleme haben.
Im Rahmen des geplanten Börsenganges der Deutschen Bahn wurde die Berliner S-Bahn praktisch kaputt gespart und Gewinne (die einst Zuschüsse vom Berliner Landeshaushalt waren) in zweistelliger Millionenhöhe an den Mutterkonzern abgeführt. Im Rahmen des Sparkurses wurde der Wagenbestand reduziert, Fachpersonal abgebaut und Werkstätten geschlossen. Die Folgen konnte man bereits im vergangenen Winter spüren, während der Berliner U-Bahnen (BVG) nahezu reibungsfrei liefen und die S-Bahn zahlreiche Züge nicht fahren lassen konnte. Nun wurde die Wartung vernachlässigt — und das Eisenbahnbundesamt hat nicht entsprechend gewartete Züge aus dem Verkehr genommen.
Und seit dem Auftakt vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht irgendeine Schlagzeile über das Ausmaß dieser Katastrophe gibt. Ich habe mal eine Berliner Tageszeitung (Tagesspiegel) genommen und alle Artikel chronologisch aufgelistet. Ich denke, die Aneinanderreihung der Überschriften macht die Lage schon sehr deutlich:
[Achtung: es ist viel! Wesentliche Artikel sind fett, Kommentare und sonstiges normal]
- 30.06.2009: Bundesamt zieht S-Bahnen aus dem Verkehr
- 01.07.2009: Berlins S-Bahn steckt im Chaos
- 01.07.2009: S wie Sparkurs
- 01.07.2009: S-Bahn-Chaos geht weiter
- 02.07.2009: Berliner S-Bahn setzt Chaostage fort (eine etwas unglücklich gewählte Überschrift)
- 02.07.2009: Was läuft schief im Berliner Nahverkehr?
- 02.07.2009: S-Bahn-Chefs geschasst — Fahrgäste werden entschädigt
- 03.07.2009: S-Bahner sind erleichtert über Sturz der Chefs
- 03.07.2009: Neue Köpfe reichen nicht
- 03.07.2009: Alle vier Chefs der Berliner S-Bahn müssen gehen
- 04.07.2009: Fahrgäste lassen ihren Frust am Personal aus
- 05.07.2009: S-Bahn lässt Berliner zusammenrücken
- 05.07.2009: Kann die S-Bahn die Berliner pünktlich zur Arbeit bringen?
- 06.07.2009: Finanzsenator will BVG-Tarife erhöhen
- 06.07.2009: Verkehrssenatorin prüft vorzeitigen Ausstieg aus S-Bahn-Vertrag
- 07.07.2009: S-Bahn-Hersteller schickt Techniker zur Hilfe
- 07.07.2009: S-Bahn-Chaos dauert mindestens bis September an
- 07.07.2009: Staatsanwalt ermittelt gegen S-Bahn (Printversion am Folgetag)
- 08.07.2009: S-Bahn droht völlige Einstellung des Verkehrs (Printversion am Folgetag)
- 09.07.2009: Eigentum verpflichtet
- 10.07.2009: Chaos bleibt — aber jetzt mit Plan und Entschädigung (bzw. S-Bahn spendiert Gratisfahrten)
- 10.07.2009: Voll abgefahren: Berlin vor dem Verkehrsinfarkt
- 10.07.2009: Senat kürzt S-Bahn Zuschüsse um sieben Millionen Euro (bzw. Printversion am Folgetag)
- 11.07.2009: Einen Monat gratis: Bahn prüft Umsetzung
- 11.07.2009: S-Bahn: Bundesamt erhöht den Druck
- 12.07.2009: Notfahrplan und Zusatzangebote (erstmals redet man von »Basisfahrplan«)
- 12.07.2009: Wowereit hat mit dem Bahnchef viel zu klären
- 13.07.2009: Das S-Bahn-Chaos (Chronologie)
- 13.07.2009: Tiefensee sieht Schuld nur bei der S-Bahn
- 13.07.2009: Bringt der Gipfel eine Lösung?
- 13.07.2009: Jetzt wackelt auch der Notfahrplan
- 13.07.2009: Bahnchef: S-Bahn erhält volle Unterstützung
- 13.07.2009: Bahnchef entschuldigt sich
- 14.07.2009: Notfahrplan hat funktioniert
- 15.07.2009: S-Bahn rechnet mit Auflagen
- 15.07.2009: S-Bahn: Das Schlimmste kommt noch
- 15.07.2009: Das S-Bahn-Desaster wird mehr als 50 Millionen Euro kosten
- 16.07.2009: Ost-West-Verkehr der S-Bahn wird eingestellt
- 17.07.2009: Keine S-Bahn mehr zwischen Zoo und Ostbahnhof
- 18.07.2009: Jetzt soll die BVG den Schienenkollaps verhindern
- 18.07.2009: Kollektive Ratlosigkeit
- 19.07.2009: Geduldsprobe vor dem Urlaub
- 20.07.2009: Mal sehen, was noch fährt
- 20.07.2009: Heute droht Berlin der Verkehrskollaps
- 21.07.2009: Aus dem Gleis geraten
- 22.07.2009: Die S-Bahn verliert jeden zweiten Fahrgast
- 22.07.2009: Wer die ungewohnten Züge im Nord-Süd-Tunnel fährt
- 23.07.2009: Jetzt auch Radriss bei einem Regionalzug
- 24.07.2009: S-Bahn: Keine weiteren Entschädigungen
- 26.07.2009: S-Bahn stoppt Personalabbau
- 27.07.2009: Mit Krisengipfel in die neue Chaos-Woche
- 27.07.2009: Jetzt sind auch die ersten Busse der S-Bahn kaputt
- 28.07.2009: Chaos kostet S-Bahn 100 Millionen
- 28.07.2009: S-Bahn fährt schon in einigen Tagen wieder auf Stadtbahn
- 29.07.2009: Endet das S-Bahn-Chaos erst im nächsten Jahr?
- 30.07.2009: Linke will eigenständige S-Bahn
- 03.08.2009: S-Bahn: Jetzt rollt sie wieder
- 04.08.2009: Ersatzverkehr bietet sich hier wirklich an
- 05.08.2009: Erneut S-Bahnzug aus dem Verkehr gezogen
- 05.08.2009: S-Bahn droht mit Streik während der Leichtathletik-WM
- 07.08.2009: S-Bahn feuert Leiter der Instandhaltung
- 15.08.2009: S-Bahn beendet Personalabbau
- to be continued!
Es ist erstaunlich, wie schnell Köpfe rollen — ohne damit die Erkenntnis zu vermitteln, daß es die richtigen Köpfe sind.
Es ist auch erstaunlich, wieviel Kreativität von Nöten ist, wie man in so einer Katastrophe noch von einem »Basisfahrplan« reden kann.
Am meisten ist aber erstaunlich, wie man es schafft, in nur wenigen Jahren ein stabiles Verkehrsunternehmen an die Wand zu fahren. Aber es macht auch deutlich, daß öffentlicher Nahverkehr nicht gewinnorientiert funktionieren kann — sonst bräuchte er ja keine Zuschüsse. Und diese Erkenntnis mußten selbst die Londoner lernen. Da bleibt am Ende eigentlich nur die Hoffnung, daß man durch diese Probleme den Börsengang der Bahn noch einmal gründlich überlegt.
Update: die erste Petition zur S-Bahn
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