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U-Bahnhof Ritterstraße. Nur halb barrierefrei.

Der U-Bahnhof Ritterstraße wird im Juli barrierefrei ausgebaut – so kündigt es die Hamburger Hochbahn an – und klopft sich damit auf die Schulter, wie toll sie diese Stadt doch für Menschen ausbauen, die auf Fahrstühle angewiesen sind. Sie nennt es das große Lift-Programm und „leisten einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe von mobilitätseingeschränkten Mitbürgern und Gästen”. Gefördert wird es von der Stadt Hamburg. Zwei Wochen wird der U-Bahnhof voll gesperrt. Kein vernünftiger Pendelverkehr, nur Schienenersatzverkehr. Danach wird der Bahnhof eine Rolltreppe weniger und zwei Aufzüge mehr haben.

Eigentlich ein schönes Zeichen für Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe. Doch diese Baumaßnahme geschieht nicht, weil Hamburg etwas Gutes für die Schwächsten der Gesellschaft tun will, sondern weil der Gesetzgeber vor einigen Jahren diesen Ausbau bis 2022 einfordert. So §8 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz:

Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen.

Die Stadt fördert also etwas, zu was sie Kraft Gesetz bereits verpflichtet ist. Und weil – da steht Hamburg nicht alleine da – viele Gemeinden diesen gesetzlichen Zwang zunächst verschlafen haben, wachen sie nun hektisch auf und versuchen es mit schnellen Lösungen. So wird in diesem Sommer nicht nur dieser Bahnhof mit Fahrstühlen ausgestattet, sondern nahezu alle auf diesem Ast der U1.

Leider heißt Barrierefrei aber nicht, dass die entsprechenden Bedürftigen gut und komfortabel auf den Bahnsteig kommen, sondern nur, dass der Bahnsteig überhaupt erreichbar ist. Also eine durchgehend ebenerdig passierbare Verbindung von der Erdoberfläche in die Bahn. Egal, wie umständlich diese Verbindung ist.

Und so werden die beiden Aufzüge nicht am Anfang und am Ende des 120 Meter langen Bahnsteiges errichtet (damit Bedürftige sich den Ausgang aussuchen können, der näher an ihrem Ziel liegt), sondern sie müssen nacheinander passiert werden. Ein Fahrstuhl, um ins Zwischengeschoss zu kommen. Und ein weiterer auf den Bahnsteig. Anstelle also nahezu eine sichere Verfügbarkeit zu garantieren (Wann fallen zwei Fahrstühle gleichzeitig aus?) ist der Bahnhof nicht erreichbar, wenn einer der beiden Fahrstühle ausfällt. (Zugegeben: Die Stadt Hamburg hat es noch nicht einmal am Hauptbahnhof geschafft, eine Redundanz vorzusehen)

Wäre es anders möglich gewesen? Ja, zumindest in einer Stadt mit Rot-Grün-Regierung darf man das schon erwarten. Über der Haltestelle führt die Wandsbeker Chaussee mit derzeit sechs Fahrspuren ohne Mittelstreifen sowie beidseitig Parkspuren, schmalen Radwegen und Fußwegen. Die Kreuzung zur Ritterstraße wird traurigerweise seit Ende 2016 mit einem Geisterrad dekoriert. Man hätte also die Straße und den Kreuzungsknoten gleich mit umbauen können. Man hätte einen Zugang in Mittellage schaffen können, der direkt durch geht. Man hätte durch einen grünen Streifen der Straße auch gleich mehr Aufenthaltsqualität geben können, die sicher nicht nur ich vermisse. Man hätte auch insgesamt Fahrstreifen entfallen können. Nix davon wird kommen.

Das nächste Kuriosum dieser Maßnahme nennt sich „Teilerhöhung des Bahnsteiges”. Aus mir bisher noch nicht erklärlichen Gründen passen in Hamburg bei vielen Stationen die Züge höhenmäßig nicht zu Bahnsteigen. Bei einem in sich geschlossenen U-Bahn-System (!). Die Hochbahn hat leider auch keine Ahnung, warum das so ist. Am Alter der U-Bahn kann es nicht liegen, denn bevor Hamburg 1912 die U-Bahn eröffnete, gab es eine in Berlin (1902) und in Schöneberg (1910) – und dort gibt es nur eine Bahnsteighöhe.

Damit also die Bahn eben erreicht werden kann (und man nicht mit irgendwelchen Klapprampen anlegen muss), müssen die Bahnsteige angehoben werden. Und weil die Erhöhung eines gesamten Bahnsteiges Aufwand macht, werden also nur wenige Meter in der Mitte des Bahnsteiges angehoben.

Das heißt also: Menschen, die auf Fahrstühle angewiesen sind, müssen immer zwingend zur Mitte des Bahnsteiges sich fortbewegen (und können nicht vorher in die gerade einfahrende Bahn noch einsteigen). Das heißt auch, dass nicht die Bahn komplett barrierefrei ist, sondern nur ein kleiner Teil in der Mitte (erkennbar am Schachbrettmuster). Das heißt aber auch, dass Kurzzüge zwingend mittig halten müssen (auch bei nur einem Ausgang) und das U-Bahn-Fahrer ihre Züge akkurat stoppen müssen. Und gerade letzteres gelingt nicht immer. Schon häufiger habe ich eine Tür mit Rollstuhlfahrer-Symbol außerhalb der erhöhten Bereiche gesehen.

Und nicht nur hier. Die nächste Haltestelle ist Wandsbeker Chaussee – und bietet gleichzeitig einen Umstieg zur S-Bahn an. Die Umsteigesituation ist vergleichbar mit den politisch motivierten Bausünden in West-Berlin im Rahmen des S-Bahn-Streikes 1980, wo das Ziel bestand, Umsteigebeziehungen zur S-Bahn (betrieben durch die DDR-Reichsbahn) möglichst umständlich zu gestalten. Wer hier umsteigen will, wird künftig drei Fahrstühle benötigen: Zwischengeschoss, Erdoberfläche, S-Bahn. Zugegeben: Solche Baumaßnahmen sind nicht trivial, in dem Fall müssten die Gleise dafür auseinandergezogen werden. Aber wie toll wäre es, wenn man hier den Betroffenen nicht nur Fahrstühle hinknallt, sondern auch die dafür nötigen Wege und Zeiten optimiert?

Nun wird also diese Bahn für zwei Wochen unterbrochen, damit am Bahnhof Ritterstraße eine halbgare Lösung mit zwei Fahrstühlen am Südwestausgang geschaffen. Häkchen dran, Barrierefrei.

(Siehe auch die Baumaßnahme am S- und Regionalbahnhof Hasselbrook, wo die Bahn nur den S-Bahnhof mit Fahrstuhl ausstattete und den direkt benachbarten Regionalbahnhof ignorierte)

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