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Sachsenbashing

Als gebürtiger Sachse gibt es so manche Momente, wo ich mich für Sachsen schämen muss. Und das wurde in den letzten Wochen sehr stark auf die Probe gestellt.

Es ging los mit dem sogenannten Hutbürger, der sich heftig artikulierend vor eine Kamera stellte und betonte, nicht gefilmt werden zu wollen – und genau damit zum Politikum wurde. Vermutlich gewollt. Sonst hätte man solche Wünsche nicht vor, sondern hinter der Kamera geäußert. Nun könnte man meinen: Gut, ein Troll, der seine 15 Minuten Ruhm suchte. Aber er ist auch Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamtes. Solche Personen sollten eigentlich wissen, wie sie sich zu verhalten haben, vor allem sollten sie auch mit der Rechtsmaterie besser vertraut sein. In der Aufzeichnung erklärte er, den Kameramann verhaften zu wollen. Diese sogenannte “Jedermanns-Haft” (§127 StGB) gibt es, sie setzt aber Fluchtgefahr oder Mangel an Identitätsfeststellung voraus – beides hier nicht gegeben.

Die Polizei schritt ein, stellte aber nicht sicher, dass der Journalist weiter arbeiten konnte, sondern analysierte gründlich den Presseausweis. Nicht nur einmal, mehrfach. Gesamtdauer: eine dreiviertel Stunde. (Siehe ZDF). Unmittelbar nachdem der Vorwurf bekannt wurde, nahm der sächsische Ministerpräsident schon klare Stellung zur Streitfrage:

Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten. […]

Da fragt man sich schon, welchen Stellenwert so eine Aussage zu diesem Zeitpunkt überhaupt haben kann.

Das Chemnitzer Stadtfest wurde durch einen Mord überschattet. Zwei Tatverdächtige wurden verhaftet. Das Verfahren läuft.

Obwohl der Mordfall noch nicht abschließend aufgeklärt ist (also ob der Tatverdächtige auch der Täter war), werden sofort Fragen nach seinem Aufenthaltsrecht sowie dessen Vorstrafen laut. Das sind ja für den Einzelfall auch berechtigte Fragen. Aber sie passieren nicht mit der Zielstellung, dass bei bestimmten Vorstrafen künftig generell ein stärkeres Auge auf die Personen geworfen wird, sondern um bestimmte Leute des Landes zu verweisen. Welchen Unterschied macht es am Ende, ob er hier diese Tat begangen hat – oder im EU-Mitgliedsstaat Bulgarien (nur weil zuständigkeitshalber da das Asylverfahren läuft)? Überschattet wird das Ganze dann noch von jeder Menge Falschmeldungen (mehrere Tode, Sexualstraftaten, …).

Es ist völlig legitim, zu trauern und auch öffentlich Mitgefühl kund zu tun. Aber das passierte nur am Rande: Der Mord wurde instrumentalisiert. Und zwar so, dass ich den Eindruck bekommen habe, dass hier endlich ein Vorwand gefunden wurde, um mal richtig schön Hass und Dampf abzulassen. Das Satiremagazin extra3 hat, so bitter es auch klingt, die Situation zu den Hitler-Grußzeichen, Hitler-Sprechchören und das Zeigen nackter Hinterteile auf den Punkt gebracht

Eine in unserem Kulturkreis eher ungewöhnliche Art der Trauerbewältigung.

Dem stand eine Polizei gegenüber, die hoffnungslos unterbesetzt war – und das obwohl diese Szenarien vorhersehbar waren. Und wieder ist es Ministerpräsident Kretzschmer, der nicht in der Lage ist, klare Statements zu unserer Demokratie abzugeben, wo sie nötig sind. Und genau das färbt dann auf Chemnitz und Sachsen ab.

Dafür war er um so schneller, als die Wortverschmelzung “Pegizei” (für Pegida und Polizei) die Runde machte:

Meine Meinung habe ich deutlich gesagt. Sie hat sich nicht geändert. Aufarbeitung der Polizei zeigt Ordnungsmäßigkeit des Einsatzes. Ich bin ein überzeugter Verteidiger der Pressefreiheit und eines sachlichen Meinungsstreits. Den hashtag “Pegizei” halte ich für unverantwortlich!

Unterstrichen wird das ganze noch von dem Ereignis, dass der Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen von Chemnitz veröffentlicht wurde – und in vielen braunen Kreisen herumgereicht wird. Zum Vergleich: als ein Bremer Abgeordneter, beruflich Bundespolizist, ebenso diesen Haftbefehl weiter verteilte, gab es postwendend eine Hausdurchsuchung. Ob selbiges bei den Brandstiftern in Sachsen bis heute durchgeführt wurde, ist bislang nicht bekannt. Der Kreis des potentiellen Leakers verkleinerte sich, bis dieser gestand. Nach dessen Suspendierung gab es ein postwendend ein Jobangebot der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg. Das spricht für sich schon Bände.

Nun gibt es sogenannte Bürgerdialoge. Doch mal ehrlich: Was bringen diese? Hier hat sich eine Journalistin des ZDFs mal reingehört:

So hörte sich Monologe an, denn die Moderatorin konnte kaum einen Satz ohne Zwischenrufe sagen.

Ein weiteres Video gibt es hier. Das 25-Minütiger-Zusammenschnitt hier

Mir stellt sich dann schon die Frage, wie ich solche Menschen überhaupt ernst nehmen kann? Oder anders: In welcher Parallelwelt leben einige dieser Menschen? Und wie schafft man es, diese wieder an der Realität teilhaben zu lassen?

Sehr beliebt in diesen Diskussionen ist die Abwehrhaltung, nicht ‘rechts zu sein’ – um genau danach rassistische Argumentationen aufzutischen. Und mit rassistisch beziehe ich mich auf alle Fälle, wo von einem konkreten Fall einer Person auf alle Menschen geschlussfolgert wird, die die selbe Herkunft bzw. Religionszugehörigkeit haben.

Besonders bezeichnend ist in diesem Sprechchören auch immer wieder, dass Angela Merkel für die Flüchtlingsströme verantwortlich gemacht wird. Im Grunde hat dazu Kabarettist Georg Schramm alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt:

Zitat von Georg Schramm

Nicht Merkel hat die Flüchtlingsströme ausgelöst. Der Auslöser war, dass den Millionen von Flüchtlingen in der Türkei, Jordanien und dem Libanon von den reichen Industrienationen die Hilfsgelder für die Nahrungsversorgung aus purem Geiz halbiert, gegen alle Warnungen der Fachleute. Dann haben sich Hunderttausende in Bewegung gesetzt.

Georg Schramm, Kabarettist

In einem anderen Video (was ich leider nicht mehr wiederfinde) erklärt eine Passantin, dass die Mitte nun nicht mehr CDU oder SPD wählen würde, sondern AfD. Nein, das ist nicht die Mitte, diese Maske ist schon lange gefallen. Das soll heißen: Man kann schon alle, die in Chemnitz in besagter Demo mitliefen in diesen braunen Topf werfen – ohne jemand falsches zutreffen. Denn auch wenn Menschen mit ganz anderen Absichten irrtümlich in diese Demo hineingeraten sind: spätestens mit Beginn dieser Sprechchöre war klar, welcher Geiste hier vorherrschte und dann muss man eben auch eine Demonstration verlassen. Mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass dies eine signifikante Anzahl Menschen getan hätte. Verstärkt werden solche Verurteilungen auch durch die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl. 28,1% der Sachsen gaben ihre Zweitstimme einer der beiden zur Wahl stehenden Nazi-Parteien. Das ist leider ebenso eine signifikante Größe. Und die haftet ohnehin schon an Chemnitz bzw. an ganz Sachsen.

Die wirklich Leidtragenden von Chemnitz (oder auch Sachsen allgemein) sind alle anderen, die nun zu Unrecht die Prügel für diesen braunen Mob abbekommen. Denn nur allzu häufig liest man in diversen (sozialen und Presse-)Medien eine Verurteilung von ganz Sachsen. Und die hilft am Ende auch nicht.

Über die Ereignisse rund um die Demos des 01.09. möchte ich jetzt nicht groß drauf eingehen – im Grunde wiederholten sich da nur Ereignisse. Neu war nur noch, dass die Nazis scheinbare Bilder ihrer übermäßig besuchten Demo verbreiteten – und das mit einem Bild der DDR-Revolution 1989 in Leipzig unterstrichen. Ein schönes Beispiel, das aufzeigt, wie blöd die Anhänger sind.

Am 02.09. fand eine weitere Kundgebung im Chemnitz statt, die von der Kirche organisiert wurde und bei der die sächsische Polit-Prominz sprach: Ministerpresident Kretzschmar, Innenminister Wöller, Wirtschaftsminister Dulig und Chemnitz Oberbürgermeisterin Ludwig. Doch ehrlich: Wer von der aktuellen Politik nicht mitgenommen wurde, wird sich bei so etwas erst recht nicht einfinden.

In gewisser Hinsicht wird auch das Gratis-Konzert am 03.09. durch ein Sehen-und-Gesehen-Werden der Parteiprominenz überschattet (hier beispielsweise die SPD). Es zwar zweifelsohne eine löbliche Geste, wenn einige Bands – ohne Gage – den Ruf einer Stadt retten wollen – und 65.000 Teilnehmer ist eine durchaus beeindruckende Zahl in einer 243.000-Einwohner-Stadt. Aber diese Zahl war nur möglich, weil eine immense Mobilisierung auch außerhalb von Chemnitz und Sachsen stattfand.

Nun mag man sich vielleicht fragen, welche Probleme die Menschen vor Ort wirklich haben. In den Kundgebungen werden die Probleme ja meist auf Zugezogene aus anderen Kulturkreisen projiziert, die weder direkt noch indirekt etwas dazu können – und die ja auch, Vorsicht Ironie, sehr zahlreich in Chemnitz bzw. in Sachsen vorkommen. Häufig verbunden mit einer Neiddebatte, wer nun wieviel bekommt. Und häufig mit irgendwelchen Halbwahrheiten und Zudichtungen gemixt. Wenn nun dem arbeitslosen H4-Empfänger wegen unzureichender Bewerbungslage die Sozialleistungen gekürzt werden und dieser auf den FLüchtling schaut, der nicht arbeiten darf…

Die Probleme von Sachsen liegen doch eigentlich woanders. Angefangen von der politischen Wende und den ganzen Treuhand-Skandalen, wo etliche Industrien plattgemacht wurden und häufig Arbeitslosigkeit folgte, hat sich das zwei Jahrzehnte später noch nicht überall davon erholt. Dann hinterließ die Biedenkopf-Alleinregierung große Schäden am Sachsen-Sumpf. Dessen Nachfolger Georg Milbrad toppte das mit dem Landesbank-Skandal. Addiert man nun die derzeitigen Bundesprobleme (Pflege am Limit, Hartz IV, Rente, Explodierende Mieten etc.) mit noch so örtlichen Problemen (der Dresdner Hauptbahnhof wird immer schlechter angebunden) und ergänzt es mit strukturellen Problemen rund um die Landflucht vieler abgehängter Gebiete vor allem in Ostsachsen, könnte das schon ein Bild darstellen, warum Menschen unzufrieden sind.

Was dabei nur allzu gerne auch in Sachsen übersehen wird: Trotz all dieser Wehwehchen geht es auch in Sachsen vielen Menschen besser als noch zu DDR-Zeiten. Erinnert sich noch jemand, wie es in Pirna damals aussah? Ich erinnere mich noch, dass fast jedes dritte Haus in der Altstadt mit Holzpfosten gesichert werden musste, weil es einzustürzen drohte (Verdammt, ich finde kein historisches Foto von der Dohnaischen Straße in Pirna kurz vor der Wende). Längst vergessene Zeiten. Eigentlich sollte man auch froh sein, dass es Frieden gibt – und niemand ernsthaft fliehen muss. Noch nicht.

Man könnte einige der Probleme anpacken. Zum Vorteil nicht nur der Menschen in Chemnitz. Aber unsere Große Koalition will das gar nicht. Im Grunde genommen ist Chemnitz für die Bundespolitik ein Geschenk des Himmels. Juhu, alle schauen nach Chemnitz. Da die bösen Rechten, dort Gesicht zeigen. Die SPD zeigt viel lieber Gesicht, als dass die endlich die Mietenproblematik angeht. Und damit diese Debatten noch fleißig weitergehen, schüttet Sachsens Ministerpräsident Kretzschmer noch Benzin drüber:

Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab keine Pogrome.

Und während die CDU die Wurzel vieler Probleme ist und die SPD mit Leuten wie Olaf Scholz und Andrea Nahles ihre Erneuerung natürlich nicht gebacken bekommt, entsteht für viele wohl ein Vakuum, das die Braunen ausnutzen. Natürlich gibt es Linke, Grüne, Piraten, ÖDP, Freie Wähler etc., aber sie werden dabei kaum in Erwägung gezogen. Wer aber sich von den beiden großen Parteien völlig zu Recht nicht vertreten fühlt, hat noch lange keinen Grund, sich bei Demos unter die Braunen zu mischen. Und wer es doch tut, muss dann eben mit den Verurteilungen leben.

Anmerkung: Nach den unsäglichen Äußerungen von Aiwanger im Jahr 2023 habe ich die Freien Wähler in die Liste durchgestrichen. Bislang nahm ich sie als konservativen Gegenpol zur CDU war, aber sie bekommen gerade keine klare Linie hin.