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Aiwanger und das Flugblatt

Zugegeben: wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich häufiger bloggen. So bleibt in der Regel nur die Spitze des Eisberges über. Und die ist dieser Tage die bayrische Ulknudel Aiwanger.

Als er vor zwei Jahren mit seiner Biergarten-Kumpel-Rede auf sich aufmerksam machte, wirkte er wie ein Shooting-Star am bayrischen Kabarett-Himmel in den Fußstapfen von Stoiber:

Auch das Duett mit Gerlach zu Faxen und Online-Zugangs-Gesetz wäre weniger lustig, wenn das nur ein Sketch der Heute-Show gewesen wäre:

Zuletzt fiel er allerdings nur noch durch verwirrte Sätze auf:

Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss

Ein Minister leugnet die demokratischen Prozesse und nimmt sich heraus, für eine wie auch immer geartete schweigende Mehrheit zu sprechen (Sarah Bosetti stellte bei extra3 diesen Satz in Kontext zu Gaulands Auswüchsen.)

Nun ist es aber doch ein wenig ernster geworden: ein Flugblatt als Gewinnspiel für einen Freiflug nach Dachau ins KZ. Man mag sicherlich diskutieren, wie ernst oder überspitzt so ein Zettel sein soll, in jedem Fall überstieg es nicht nur die Grenzen des Geschmacks.

Beeindruckend ist allerdings, wie unsouverän er damit umgeht. Anstelle dieses Pamphlet als eine Jugendsünde hinzustellen, von der er sich heute aufs Schärfste distanziert (oder wenigstens die Autorenschaft glaubhaft leugnet), kommen tagtäglich Puzzlesteine dazu, die kein klares Bild abgeben. Erst scholzt er herum und kann sich nicht erinnern. Dann war es der Bruder und er hat die Dinger nur eingesammelt. Es soll ein einschneidendes Erlebnis für ihn gewesen sein – und trotzdem die Erinnerungslücken? Die Tagesschau fasste es sehr gut zusammen

Und auch mit der Entschuldigung macht er alles falsch, was man in diese Moment hätte falsch machen können:

Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe.

Er bereut verletzte Gefühle. Und nicht eine Jugendsünde. Und weist damit die Verantwortung von sich ab. Um im selben Atemzug noch eine Kampagne gegen ihn und seine Partei zu wittern. Es mag sein, dass die SPD in diesem Fall nicht unbeteiligt war und den Stein ins Rollen brachte – und dabei auch den Zeitpunkt nicht dem Zufall überlies. Aber macht es deshalb dieses Flugblatt weniger schlimm?

Ebenso wurde es in Frage gestellt, ob solche Dokumente aus der Schulzeit überhaupt bzw. nach so langer Zeit relevant sein dürfte. Nun, als Minister ist er Person öffentlichen Interesses. Da gelten andere Maßstäbe. Würde er seiner inneren Berufung als Blödelbarde für bayrische Provinzbierzelte nachgehen, wäre das Argument stichhaltig.

Nun musste Söder sich mit der Frage der Entlassung beschäftigten. Und hier gibt es in der bayrischen Verfassung einige Sonderlocken, allen voran dass der Landtag der Ernennung und Entlassung von Ministern zustimmen muss. Bei der Abwahl könnte er sich auf die Opposition verlasen, doch bei der anschließenden Neuwahl könnte es schwierig werden. Aber all das hätte man wenige Wochen vor der Wahl auch hinnehmen können.

Und ohne Pause oder Zeichen der Reue tritt die Ulknudel erneut auf. Ins Deutsche transkribiert sagte er:

In 3 Stunden garantiere ich ihnen, dass wir jedem Ukrainer und Syrer erklären können: Das ist der Wurstsalat und den trägst Du dort an den Tisch – und das Geld, das holt der Andere. Da brauch ich keinen Deutschgrammatikkurs

Mal jenseits der Frage, dass auch Ukrainer und Syrer mit qualifizierten Berufsabschlüssen hier um Asyl suchen, wäre es jedenfalls wünschenswert, wenn der bayrische Wirtschaftsminister wenigstens die aktuellen Regelungen zum Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete kennen würde.

In den ersten drei Monaten nach der Asylantragstellung darf keine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden, bei Personen die in einem ANKER-Zentrum wohnen, gilt dies für die ersten neun Monate.

Wie auch immer: es ist nicht so sehr entscheidend, was Aiwanger in seinen Jugendtagen getan hat, es ist viel entscheidender, wie er damit heute umgeht. Für die bevorstehenden Wahlen kann ich nur hoffen, dass die Wählerinnen und Wähler ihm die Chance geben, seiner Passion zum Beruf zu machen: als Blödelbarde in bayrischen Provinzbierzelten. In einem Ministerium hat er jedenfalls nichts verloren.

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