Das ewige Prüfen von Unterschriften in Berlin
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Meldebehörden tun mir in diesen Tagen durchaus leid: Es gibt einen ungeheuren Berg an Unterschriften zu prüfen:
- Der Volksentscheid Fahrrad hat ca. 107.000 Unterschriften für die Einleitung eines Volksbegehrens abgegeben, die bis Ende Juni zu prüfen sind.
- Erst im April mussten 30.000 Unterschriften für ein Volksbegehren für die Offenhaltung von Tegel geprüft werden
- Zur Zeit sammeln die Leute von Volksentscheid Retten ca. 70.000 für die Einleitung eines Volksbegehrens (mind. 50.000 gültige Unterschriften benötigt)
- Ebenso müssen die Unterstützerunterschriften für Wahlvorschläge geprüft werden. 20 Parteien. Für eine Landesliste sind jeweils 2.200 notwendig. Hinzu kommen BVV-Listen (12 Bezirke je 185) und Direktkandidaten (78 Wahlkreise je 45). Wenn alle 20 Parteien überall kandidieren sollten, sind das an die 160.000 notwendige Unterschriften.
- und hin und wieder trudeln in den Bezirken Einwohneranträge ein. In Neukölln wird derzeit für Radverkehr einer gesammelt, in Treptow-Köpenick gab es dieses Jahr schon drei (jeweils mind. 1000 gültige benötigt).
Dabei ist das Prüfen von Unterschriften nicht die originäre Aufgabe dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern sie arbeiten in den Meldeämtern (neudeutsch: Bürgerämter), damit die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt sich korrekt melden können, Pässe beantragen können und sonstige Verwaltungsvorgänge erledigen können. Die Wartezeiten für einen Termin betragen drei Monate – schon vor der Wahl.
Einige Bezirksämter wie Pankow oder Marzahn-Hellersdorf erklären nun pressewirksam mit Hinweis auf den Volksentscheid Fahrrad, warum die Meldeämter in diesen beiden Wochen nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Es entsteht unterschwellig der Eindruck, als müssen sich Bürgerinnen und Bürger sowie die Initiative dafür rechtfertigen, direktdemokratische Prozesse angestoßen zu haben.
Dabei wäre es für die Bezirke ein leichtes gewesen, den Senat in die Pflicht zu nehmen. Schließlich hat der Senat die Bezirke in diese Legislaturperiode allein zum Abbau von 1457 Vollzeit-Stellen in den Bezirken gezwungen gezwungen. Die Hauptlast traf die Bezirke Treptow-Köpenick, Lichtenberg, Mitte, Marzahn-Hellersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg. In Treptow-Köpenick wurden die Meldebehörden eher geschont, eine Stelle wurde trotzdem im Jahr 2013 abgebaut, zwei weitere stehen für 2016 auf der Agenda.
Dabei sind die Senatoren auch nicht blind, was das Zustandekommen solcher Initiativen angeht. Des gestand selbst Bausenator Geisel zur Übergabe der Unterschriften:
Die hohe Zahl der Unterschriften hat mich nicht überrascht.
Sie hätten also auch vor Monaten schon gegensteuern können. Dies liegt aber nicht in den Händen von Geisel, sondern bei Innensenator Henkel. Und der vergeigt ja gerade auch die Berliner Wahl an sich, aber das ist eine andere Baustelle!
Muss das sein?
In diesem Kontext taucht dann immer wieder die Frage auf: Muss wirklich alles gezählt und geprüft werden?
Die simple Antwort: Ja!
Bei der Einleitung des Volksbegehren heißt es in §17(1) Abstimmungsgesetz:
Die für Inneres zuständige Senatsverwaltung leitet die Unterschriftslisten und -bögen den Bezirksämtern [..] zu. Die Bezirksämter teilen der für Inneres zuständigen Senatsverwaltung innerhalb von 15 Tagen ab Eingang der Unterschriftslisten und -bögen bei ihnen die Zahl der gültigen Unterschriften mit.
Sprich: eine Zahl der gültigen Unterschriften gibt es nur, wenn alle geprüft werden.
Bei den Unterschriften für die Zustimmung zum Volksbegehren (auch bekannt als die „zweite Phase”) ist der Zeitdruck nicht so enorm, da hier nicht mit einem Stichtag alle Unterschriften geprüft werden, sondern kontinuierlich.
Bei den Unterstützerunterschriften für Parteien ist dies nicht so ausdrücklich geregelt (siehe Landeswahlgesetz)
Die Bezirksämter [..] dürfen die personenbezogenen Daten, die in den Wahlvorschlägen und auf den Unterschriftsblättern anzugeben sind [..], speichern, nutzen und löschen, soweit dies zur Entscheidung über die Zulassung der Wahlvorschläge und der Bewerberinnen und Bewerber erforderlich ist.
In dem Zusammenhang stellt sich aber die Frage, in wie weit dieser Prozess schon automatisiert wird (Handschrift-Texterkennung). Was die Post bei Briefen und die Banken mit Belegscannern schaffen, wird auch den Bezirksämtern nützlich sein.
Geht es anders?
Natürlich könnte eine andere Regelung im Gesetz stehen. Doch welche? Ideen gibt es sicherlich viele.
So könnten beispielsweise Unterschriften nur so lange geprüft und gezählt werden, bis das Ereignis des Zustandekommens oder Nichtzustandekommens feststeht. Sprich: Aufhören, wenn Quorum gültig ist (Positivfall) oder Gültige und noch Ungeprüfte zusammen kleiner Quorum (Negativfall) beträgt. Letzteres forderte bereits die BVV Pankow. Dies erfordert aber, dass die Bezirksämter Zwischenstände mitteilen, schließlich prüfen 12 unterschiedliche Ämter die Papierberge.
Ein weiterer Ansatz wären Stichproben. Zur Prüfung der Gültigkeit wären sie tauglich, allerdings helfen sie nur bedingt gegen Dubletten. Denn die Wahrscheinlichkeit für das Auffinden von Dubletten verläuft nicht linear, sondern quadratisch (das Gegenstück der Dublette muss auch Bestandteil der Stichprobe sein).
Beide Ansätze könnten auch optional gestaltet werden, d.h. nur mit Zustimmung der Vertrauenspersonen des Volksbegehrens. Dieser Ansatz birgt dann aber gesellschaftlichen Druck, wenn eine Initiative das nicht wünscht.
Ebenso könnte der elektronische Personalausweis dieses Verfahren vereinfachen. Das setzt aber voraus, dass unsere Regierung es schafft, dass wir nicht permanent Misstrauen gegenüber neuen staatlichen Technologien hegen müssen, weil wir Angst vor Überwachung – leider zu Recht – haben.
Rein Erfahrungsgemäß sind bei solchen Verfahren ca. 70 bis 80% der Unterschriften gültig. Bei der Einleitung des Volksbegehrens zur Offenhaltung von Tegel waren es ca. 79%. Auch deckt sich diese Erfahrung mit den zahlreichen Einwohneranträgen. Ich selbst kenne aber auch einen Ausreißer: der Einwohnerantrag zur Tram 21. Hier waren es nur 51% gültige Unterschriften.
Soll es anders gehen?
Neben der Frage, ob es anders gehen könnte, sollte auch die Frage gestellt werden, ob es anders gehen soll.
Ich bin der Meinung, dass Demokratie uns auch Geld kosten darf. Und so kosten demokratische Prozesse nun eben ihr Geld.
Ich erkenne an, dass jeder Unterschriftgebende einen Anspruch darauf hat, dass die eigene Unterschrift geprüft und gewertet wird – ähnlich wie bei einer Wahlhandlung, wo auch exakt ausgezählt wird und nicht aufgehört wird, wenn das Ergebnis unveränderlich feststeht (was bei Direktkandidaten in manchen tiefbayrischen Provinzen eine Menge Arbeit einsparen würde).
Ferner erkenne ich auch an, dass jede Initiative das Recht hat, dass sie ein verlässliches amtliches Ergebnis für ihre Mühen bekommt, mit dem sie dann Druck auf die Politik ausüben kann. Druck, dass eine bestimmte Anzahl von Menschen tatsächlich dahinter steht, dass ein politisches Thema auf die Agenda gehört. Druck, den auch die Parteien spüren sollen. Wenn beim Volksentscheid Fahrrad 80.000 gültige Unterschriften zusammen kommen, so wären das 5,5% der gültigen Stimmen bei der letzten Abgeordnetenhauswahl 2011.
Daher sehe ich diese Arbeit nicht als Sisyphosarbeit an, auch wenn letztendlich für die Frage des Zustandekommens ein binäres Ja oder Nein ausreicht.
Und doch?
Neben der schon erwähnten Frage der Automatisierung gibt es durchaus einen Aspekt, der zwingend geändert werden sollte: bisher müssen zur Einleitung des Volksbegehrens alle Unterschriften an einem Stichtag übergeben werden, ein Nachreichen ist nicht möglich. Das zwingt Initiativen dazu, mit ausreichend Puffer zu planen. Sie können gar nicht – selbst wenn sie es wollen – Punktlandungen hinlegen. Deshalb sammelt auch der Volksentscheid Retten nun weiter, bis sie 70.000 haben.
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