Die Straßenbahn zum Ostkreuz
Schon seit einiger Zeit wird die Verlegung der Straßenbahn zum Ostkreuz diskutiert. Ich möchte mit diesem Beitrag eine Lanze brechen, und mich für die aktuellen Pläne zur Verlegung der Straßenbahn zum Ostkreuz hin aussprechen. Ganz einfach, weil mich keine der anderen Vorschläge bisher überzeugen konnte – in der Abwägung aller Aspekte.
Vor ca. einem Jahr begann eine Initiative verstärkt Stimmung gegen dieses Projekt zu machen: der „Ideenaufruf Zukunft Ostkreuz” des Vereins Travekiez-Ostkreuz e.V.. Auch wenn es scheinbar nur eine sinnvolle Lösung gibt, sollte man sich einer Variantendiskussion nie verstecken. Von daher sollten wir für die Diskussion dem Verein dankbar sein. Wenn aber keine der Alternativen in irgendeiner Form realistisch ist und am Ende nur noch der Planungsnullfall als mögliche Gegenoption steht, so sollte man sich wirklich fragen, ob man die Attraktivierung des öffentlichen Nahverkehrs verhindern möchte. Allenfalls eine von einem Piraten vorgeschlagene Kompromisslösung mit getrennter Linienführung ist durchaus diskutabel.
Ausgangsgrundlage dieses Artikels sind die Planungen der Senatsverwaltung und die Dokumente des Vereins Travekiez-Ostkreuz
Stand heute
Die Straßanbahnlinie 21 hat einen ungewöhnlichen Linienverlauf. Es fehlt wahrlich nicht viel – und die Linie könnte sich selbst berühren. Der Bogen führt von Lichtenberg gen Norden weiter nach Südwesten zum Frankfurter Tor und von da südöstlich über Rummelsburg nach Schöneweide. Am Ostkreuz führt diese Linie in sicherer Entfernung vorbei, so dass eine Umsteigesituation nicht wirklich praktikabel ist.
Insbesondere der Abschnitt außerhalb des Ringes in Richtung Schöneweide galt viele Jahre als einstellungsgefährdet. Erste Anzeichen waren bereits an der Reduzierung der Betriebszeit zu spüren.
Da entlang der Rummelsburger Bucht Wohngebiete entstanden sind, haben sich die Auslastungssorgen mittlerweile gelöst.
Anmerkung: Unabhängig von der Debatte am Ostkreuz ist Neuordnung der Straßenbahnlinien in diesem Gebiet zu überenken. Aber das ist nicht Gegenstand des Beitrages.
Rückblick
Ich weiß nicht, ob es bereits schon zu DDR-Zeiten Bestrebungen gab, diese Straßenbahn zum Ostkreuz hin zu verlegen. Auf jeden Fall ist diese Idee nach der Wende aufgekommen. Das früheste Dokument, was ich fand, ist von der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe (SenVuB) aus dem Jahre 1991:
(Quelle: Signal vom Berliner Fahrgastverband IGEB)
In den Planungen zum Umbau des Ostkreuzes war diese Linie stets Bestandteil, wenngleich sie leider nicht gleichzeitig mit planfestgestellt wurde. Eine entsprechende Öffnung im Brückenbauwerk ist bereits vorgesehen worden (aus Wikipedia, CC-Lizenz):
Geplante Variante
Die Straßenbahn verlässt nach diesen Planungen die Boxhagener Straße in der Holteistraße. An der Kreuzung Holteistraße / Sonntagsstraße würde ein neuer Halt entstehen. Dort biegt die Bahn in die Sonntagsstraße ein und führt direkt zum Ostkreuz. Der Bus würde noch bis zur Neuen Bahnhofsstraße noch in der Boxhagener verbleiben und von da zum Ostkreuz geführt. Auf der Ostseite des Bahnhofs werden beide Verkehrsmittel parallel zur Eisenbahn geführt – bis zur Marktstraße.
Mit der Variante soll der Abschnitt zum Frankfurter Tor künftig im 10-Minuten-Takt befahren weren.
Gegenvarianten
Variante „Neue Bahnhofsstraße”
Diese Variante unterscheidet sich nur in einem Punkt: beide Verkehrsmittel werden über die neue Bahnhofsstrasse geführt.
Diese Variante hat zwei wesentliche Nachteile:
- Verkehrsknoten Boxhagener Straße / Neue Bahnhofsstraße ist stauanfällig. Aufgrund des Kurvenradius könnte – vermutlich – die Bahn nicht auf die rechte Fahrspur in der Boxhagener Straße gelegt werden. Eine rechtsabbiegende Straßenbahn auf der Linksabbiegerspur ist eine potentielle Staufalle.
- Sollte der Schwachsinn der A100 wirklich in einem 17. Bauabschnitt münden, so ist die Straßenbahn für mehrere Jahre unterbrochen, da genau auf diesem Abschnitt der Doppelstocktunnel entsteht.
Variante „Planungsnullfall mit Haltestellenverlegung”
Bei dieser Variante soll die Straßenbahn ihre bisherige Fahrspur behalten. Lediglich die Haltestelle würde um ca. 100 Meter in Richtung Ostkreuz verlegt werden.
Diese Variante ist mit Sicherheit die günstigste Variante, allerdings bringt diese Variante keinen zusätzlichen Mehrwert, da die Umsteigewege immernoch sehr lang bleiben. Der Travekiez-Ostkreuz e.V. preist eine Entfernung von 150 bis 200 Metern an, tatsächlich liegt diese Entfernung eher bei 300 bis 350 Metern.
Variante „Spitzkehre mit Stumpfgleis”
Bei dieser Variante soll die Straßenbahn zunächst auf der Boxhagener Straße bleiben, fährt am Ostkreuz vorbei, um in Höhe der Polizei in einer Spitzkehre zum Ostkreuz geführt zu werden. Ostkreuz fungiert dann als „Kopfbahnhof”, das heißt über einen Gleiswechsel fährt die Bahn anschließend zurück zur Marktstraße (siehe Skizze der Bürgerini vom Travekiez-Ostkreuz e.V.
Auch wenn hierfür nur ca. 300 Meter neue Gleise verlegt werden müssen, so ist diese Variante im Betrieb teuer. Zum einen bedeutet es die Wartung von sechs bis acht Weichen (Anmerkung: in den Skizzen ist jeweils das durchgehende Gleis nicht vorgesehen. Es kann nicht ernsthaft gewollt sein, auch bei Betriebsfahrten den Führerstandswechsel durchzuführen, der auch dann ausschließlich mit Zweirichtern auf diesen Abschnitt möglich wäre.) Zudem kostet ein Halt mit Führerstandswechsel mind. 4 Minuten. Ob der von der Initiative angegeben Kurvenradius von 22 Metern stimmt, kann ich nicht sagen, ebenso ob die Straßenbahn diesen auch schafft. Aber das wäre zweitrangig.
Variante „Sonntagsstraße / Neue Bahnhofsstraße”
Diese Variante ist eine Kombination der ersten beiden Ansätze: in Richtung Ostkreuz über Holtei- und Sonntagsstraße. In Richtung Frankfurter Tor über Neue Bahnofsstraße.
Dieser Ansatz ist gegenüber der reinen Variante der Neuen Bahnhofstraße den Vorteil, dass die stauanfälligere Richtung über die Sonntagsstraße geführt wird. Zudem würde die Verkehrsbelastung der Straßenbahn auf zwei Strecken aufgeteilt. Allerdings gilt auch hier der Nachteil: wenn die A100 kommt, ist die Linie für mehrere Jahre geteilt. Zudem erzeugen getrennte Strecken auch höhere Baukosten (z.B. wegen der doppelten Anzahl von Masten für die Oberleitung).
Variante „Teilung der Linie”
Bei diesem Vorschlag wird das Ostkreuz ebenso über eine Spitzkehre von Osten angefahren und enden da. Fahrtgäste in Richtung Schöneweide müssen nun über das Ostkreuz ans andere Ende laufen und einer eben dort endenden Linie weiterfahren (siehe Skizze von Travekiez-Ostkreuz e.V.). Als Vorteil dieser Lösung wird angegeben, dass unter der Karlshorster Brücke durch Wegfall der Straßenbahn Radfahrstreifen möglich wären. Die Haltestelle Marktstraße entfällt für die Straßenbahn.
Diese Lösung ist ebenso nicht wirklich sinnvoll.
Variante „Hauptsache irgendwie zum Ostkreuz”
In Form von drei möglichen Strecken soll irgendwie das Ostkreuz erreicht werden, siehe Skizze von Travekiez-Ostkreuz e.V. Weder westlich der Ringbahn noch östlich der Kynaststraße ist dafür Platz. Bei der westlichen Variante würde – falls der Radius es überhaupt zulassen würde – die Bahn direkt an einem Wohnhaus vorbeiführen.
Material des Travekiez-Ostkreuz e.V.
Imagefilm
Die Initiative hat einen Imagefilm über die Gegend am Ostkreuz gedreht. Besonders markant ist die Aussage bei 2:25:
Und wenn da noch ‚ne Straßenbahn hinzukommt, dann ist einfach das Leben hier im Kiez einfach nicht mehr so wie es mal war.
Hilfe, es könnte sich etwas verändern. Dabei gibt es kaum ein Gebiet in Deutschland (vom Prenzlauer Berg abgesehen), was in den letzten 20 Jahren sich noch radikaler verändert hat. Das Leben am Ostkreuz ist schon lange nicht mehr so, wie es einst war, als man dazu noch nicht Kiez sagte.
Es ist natürlich absoluter Schwachsinn, hier eine Tramlinie langführen zu lassen, wo wir da vorne 200 Meter weiter eine haben.
Jepp. Wo sie dann nicht mehr fahren wird.
Hier ist immer noch ein bisschen Heimat und Ruhe!
Wir reden hier nicht über Neu-Venedig, Karolinenhof oder wenigstens Stralau („Schöner sterben am Wasser”). Wir reden über das direkte Umfeld vom Berlins meistfrequentiertesten Bahnhof.
Fahrzeitberechnung
In einem seperaten Dokument werden die Fahrtziten von drei Varianten gegenübergestellt. Natürlich muss bei deren Berechnung die Variante der Senatsverwaltung am schlechtesten dabei wegkommen. Einige Gedanken dazu:
- Die Straßenbahn wird von einer Geschwindigkeit von 10 Stundenkilometer ausgegangen. Das ist in etwa das Tempo, mit dem die Bahn über den Alexanderplatz zuckelt – nur da ist Fußgängerzone. Ich weiß nicht, welches Tempo die BVG hier vorsieht, vermutlich eher 20 bis 25 Stundenkilometer. Von daher ist die politische Forderung nach weiterer Drosselung legitim. Aber dann bitte als Forderung und nicht als Annahme.
- Auch wenn eine Straße mit Tempo 50 vorgesehen ist, so fährt die Bahn da kein Tempo 50. So wurde für den Planungsnullfall eine Fahrtzeit von 71 Sekunden ermittelt, während die BVG heute zwischen Holteistraße und Marktstraße drei Minuten benötigt.
- Bei einem Richtungswechsel des Fahrzeuges sind 30 Sekunden äußerst sportlich. Die BVG sieht, wie mir von BVGlern bestätigt wurde, vier Minuten vor.
In Summe werden sich die Varianten des Planungsnullfalls und der Verlegung in die Sonntagsstraße/Neue Bahnhofsstraße nichts nehmen. Bei einer Kehrtfahrt wird es durch den Führerstandswechsel zu größeren Verzögerungen führen.
Einwohnerantrag
Die Initiative möchte in der Bezirksverordnetenversammlung einen Einwohnerantrag stellen, hierbei werden die derzeitigen Planungen als Fehlplanung dargestellt – und fordern die Anbindung von Osten.
Liniendiskussion
Mit der Maßnahme soll nicht nur die Straßenbahn anders fahren, sondern auch öfters. Konkrete Pläne sind die Einführung einer neuen Linie 22: Konsankesidlung – Ostkreuz – Frankfurter Tor – Betriebshof Kniprodestraße. Im Abschnitt der Boxhagener Straße soll sie zusammen mit der unveränderten Linie 21 einen 10-Minuten-Takt bilden. Diese Lösung finde ich ungünstig – und zwar an beiden Enden.
Die Linie in der Kosankesidlung enden zu lassen, würde den östlichen Teil dieses Gebietes außen vor lassen. Natürlich wäre es toll, wenn diese Linie ebenso bis zum Bahnhof Schöneweide führen würde. Das ist aber gegenwärtig unrealistisch. Mindestens eine Haltestelle mehr würde allerdings die gröbsten Probleme lindern. Nur dann würde es – vom aktuellen Fahrplan aus gesehen – Probleme geben, wenn diese Linie über einen (noch zu bauenden) Gleiswechsel kehrt (4 Minuten).
Allerdiens hieße dieser (einfach gestrickte) Endpunkt kein Endpunkt für Ewigkeiten. Im Masterplan Tram der Grünen gibt es eine Idee der X20 als Verbindung über die Nalepastraße, um damit eine schnelle Relation zwischen Ostkreuz und Köpenick aufzubauen.
Auch das andere Ende finde ich ebenso nicht so glücklich. Die Bahn kann am Bersarinplatz nicht wenden. Somit würde diese Linie über sechs Haltestellen hinweg Parallelverkehr zur M10 fahren. Nur eine Linie im 5-Minuten-Takt mit einem zusätzlichen 20-Minuten-Takt zu verstärken, bringt wenig (5-5-5-2-3). Dann lieber einen Endpunkt im Bereich der Scheffelstraße ebenso den 20-Minuten-Takt verstärken und im Bereich der Möllendorfstraße einen Gleiswechsel verbauen. Denkbar wäre auch eine Linienkombination aus 16 und 22 über Scheffelstraße.
Weitere Informationen:
- Position des IGEB
- Berliner Kurier: 15 Initiativen streiten um die Strecke
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