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Kiehlsteg - der Notsteg an der Lohmühlenbrücke

Dieser Beitrag handelt über den „Kiehlsteg”. Und über misslungene Bürgerbeteiligung.

Möglicherweise hast du noch nie etwas von dieser Fußgängerbrücke in der Nähe des Berliner Lohmühlenplatzes gehört. Das ist zumindest nicht ungewöhnlich. Bevor der bevorstehende Abriss publik wurde, war mir der Name des Bauwerkes ebenso nicht geläufig.

Obwohl ich nur zweieinhalb Kilometer entfernt wohne, habe ich es die letzten sieben Jahre genau einmal geschafft, über diesen Steg den Neuköllner Schiffahrtskanal zu queren. Ganz in Gegenteil zu den beiden benachbarten Brücken. Und dieses eine Mal war ehrlich gesagt nur aus reiner Neugier, weil ich mal nachschauen wollte, was für ein Strich im Stadtplan eingezeichnet war. Hier war es ein Steg, weiter westlich am Landwehrkanal nur Heizungsrohre.

Allerdings ist diese Querung bei den Stadtplänen, die bspw. an den BVG-Haltestellen aushängen, nicht eingezeichnet. Auch in anderen offiziellen Karten fehlt sie gänzlich. Eingezeichnet muss sie wohl nun nicht mehr, denn sie soll abgerissen werden.

Seit dem 11. März ist nun der Streit über diese Brücke entbrannt: es firmierte sich eine Initiative zum Erhalt des Kiehlsteges mit dem Slogan Mut zur Brücke. Der zentrale Aufhänger der Initiative lautet:

Wir als Anwohner fühlen uns übergangen, denn die meisten von uns haben von diesen Plänen noch gar nichts gehört.

Oftmals bekommen viele Anwohner nicht mit, was in ihrem Umfeld passiert. Ich war kürzlich überrascht, dass ich im Jahre 2014 jemand aus Treptow kennenlernte, der in all den Jahren nichts von der Verlängerung der A100 zum Treptower Park mitbekommen hat. Allerdings ist die A100 ein Landes- und Bundesthema und es wurden Wahlkämpfe geführt. Diese Aufmerksamkeit hat der Kiehlsteg nie erfahren.

Die Frage ist daher, ob man davon etwas mitbekommen haben müsste, wenn die Anwohner nicht völlig mit Scheuklappen durch die Umgebung gelaufen sind. Um etwas zu dem Steg zu erfahren, muss man recherchieren. Erschwerend ist, dass der Begriff „Kiehlsteg” nicht offiziell ist. Die Senatsverwaltung nennt ihn „Notsteg an der Lohmühlenbrücke”. Oftmals ist es aber auch nur die „Fußgängerbrücke” am Weichselplatz.

Das Gebiet rund um den Weichsel- und Lohmühlenplatz gilt als Sanierungsgebiet. Im Jahr 2012 fanden zwei Bürgerversammlungen statt, zu denen sehr großzügig eingeladen wurde. Auf diesen Versammlungen wurde auch auf den Abriss des Steges hingewiesen. Auf dem im Internet bereit gestellten Kartenmaterial ist oft die Brücke eingezeichnet und manchmal nicht.

Aus einem Protokoll des Beteiligungsgremiums vom 09.12.2013 ist zu entnehmen:

An dem Erhalt der Fußgängerbrücke wird weiterhin festgehalten. Allerdings ist die Vorbereitung für den Abriss durch die zuständige Senatsverwaltung schon sehr weit fortgeschritten. [..]

Über die Botschaft des Abrisses hat das Neuköllner Blog facetten magazin neukölln im Oktober 2013 berichtet:

Das Hauptproblem bei der Umgestaltung des Lohmühlen-/Weichselplatz ist, dass es mehrere Verfahrensbeteiligte gibt.” Ein Teil des Bereichs gehört zum Bezirk Neukölln, der andere zu Treptow-Köpenick, und über die Zukunft des Kiehlstegs darf der Berliner Senat entscheiden. Denn dem obliegt die Unterhaltungspflicht der hölzernen Fußgängerbrücke, [..].

Zusammenfassend gab es durchaus Indizien, die man schon früher hätte wahrnehmen können. Andererseits ist diese Form der Informationspolitik und Bürgerbeteiligung alles andere als das, was ich als Pirat erwarte. Bei der Errichtung einer Brücke liegen Planungsunterlagen für vier Wochen aus – und das ist nur das gesetzliche Minimunm, Luft nach oben gibt es noch genügend. Hätte da entsprechend mehr im Vorfeld stattgefunden, wäre uns allen dieses Ärgernis erspart geblieben.

Die zentrale Forderung der Initiative heißt nun Erhalt dieses Stegs.

Die Initiative möchte der Brücke die Bedeutung einer „wichtigen Verbindung für Fußgänger und Radfahrer” geben – und die kann ich wie gesagt so nicht feststellen. Insbesondere als Radfahrer meidet man bekanntermaßen grobes Kopfsteinpflaster – und das Kiehlufer hat ein ganz hartes Pflaster. Die Brücke mündet zudem auf Fußwege.

Aber: die nächste Brücke ist 60 Meter entfernt. 60. In Worten: sechzig. Der Umweg beträgt im schlimmsten Falle 120 Meter – und das auch nur für die Querenden, die direkt zum Kiehlufer müssen. Ein Fuldasteg oder Bouchésteg würde mehr Menschen längere Wege abkürzen, als es dieser Steg je könnte.

Wesentlich stichhaltiger finde ich dagegen das Argument als Zeitzeugnis für den Mauerbau. Als die Berliner Mauer errichtet wurde, war die Lohmühlenbrücke für 27 Jahre nicht passierbar gewesen. Die Bewohner nördlich des Neuköllner Schiffahrtskanal waren auf die 550 Meter entfernte Wildenbruchbrücke angewiesen. Deshalb baute man 1962 genau neben der Mauer diese Brücke. Im Jahre 1988 fand ein Gebietstausch statt, so dass die Lohmühlenbrücke saniert und wieder befahren werden konnte.

Diese Historie erklärt auch, warum diese Brücke sehr provisorisch wirkt und schmucklos ist. Das letzte Argument der Initiative ist durchaus begründet, aber für Außenstehende häufig schwer nachzuvollziehen: die emotionale Beziehung zur Brücke – insbesondere für die Menschen, die auf diese Querung mehrere Jahrzehnte angewiesen waren.

Aber das sind alles Punkte, die öffentlich hätten erörtert werden müssen. Und die öffentlichen Meinung, so mein Eindruck, geht hier durchaus auch auseinander. Hier beispielsweise ein Leserkommentar im Tagesspiegel

Ich wohne vis-a-vis von diesem Provisorium und würde gerne klargestellt haben, dass es mitnichten massive Anwohnerproteste gibt. Es sind eine handvoll Leute, die sich hier als Wutbürger gerieren.

Das Ding war eine Behelfslösung. Zugegebenermaßen ganz nett, weil schrullig – aber mehr auch nicht.

Mit dem Fahrrad da drüber zu Radeln war eh eigentlich nicht möglich, ohne sich dem Zorn von mindestens 4 Cafe-Latte-Müttern auszuliefern. Nächste Woche findet sich bestimmt wieder ein neues Luxusproblem.

Es ist gut möglich, dass das Ende dieser Diskussion nicht im Sinne der Bürgerinitiative ausgeht, aber auch, dass noch ganz andere Ideen in den Raum geworfen werden. Das, was nun passierte ist, ist eine unschöne Deeskalation.

Peu-a-peu sickerten in der letzten Tagen verschiedene Informationen durch den Berliner Blätterwald. Aus Senatskreisen ist plötzlich die Rede von Sanierungskosten in Höhe von 260.000 Euro. Und würde man sie abreißen, würde das nur 42.000 Euro kosten.

Die berechtigte Frage ist nun eigentlich: was ist nun alles faul an der Brücke? Bei dieser Geldsumme geht es sicherlich um mehr als nur um ein paar Bohlen, Schrauben und Nieten. Die Bürgerinitiative ermittelt nach optischer Inaugenscheinnahme Kosten in Höhe von ca. 29.000 Euro. Die Verwaltung teilte erst nach mehreren Nachfragen der Initiative mit, dass die Grundierung Bleimennige enthalte, für die beim Sandstrahlen eine Einhausung notwendig sei, damit der Schadstoff nicht in die Umwelt (und hier konkret ins Wasser) gelangt.

Update: Scheinbar betragen die Sanierungskosten nur 213.000 Euro. Hier die detaillierte Kostenschätzung:

(Anmerkung: Solche Dokumente haben grundsätzlich öffentlich zu sein. Am besten mit Geo-Koordinaten zum Bauwerk!)

In der Berliner Zeitung erschien ein Artikel mit einer sehr fragwürdigen Aussage seitens der Senatsebene:

Wir können den Kollegen nicht zumuten, sich mit den Bürgern auseinanderzusetzen.

Der Satz ist Öl ins Feuer gekippt. Aus Sicht der Zeitung ein völlig genialer Satz, um öffentliche Aufmerksamkeit auf einen Artikel zu generieren (und letztendlich Werbeeinnahmen). Ich tippe sehr stark darauf, dass diese Aussage aus dem Zusammenhang gerissen worden ist. Natürlich ist nicht jeder Kollege in der Verwaltung damit beauftragt und zuständig, Dialoge mit den Bürgern zu führen. Dann ist die Verwaltung tot. Bei IT-Abteilungen nennt sich das Hey-Joe-Prinzip. Letztendlich ist es aber vor allem die Aufgabe der politisch Verantwortlichen, sicherzustellen, dass die Auseinandersetzung mit den Einwohnern vor Ort eben stattfindet. Im konkreten Falle fand diese eben nur im Schatten des Sanierungsprojektes statt.

Ich habe vergangenen Freitag eine Vor-Ort-Begehung gemacht – und habe das zweite Mal diese Brücke gequert. Die notdürftigen Flicken sind nicht zu übersehen:

Es querten zugegebenermaßen mehr Leute in dieser Zeit die Brücke, als ich erwartet habe.

Ein Blick von der Brücke zur benachbarten Lohmühlenbrücke:

Und in den Kanal hinein:

Die Frage ist natürlich, wie es weitergehen kann? Am Dienstag haben nun die Abrissarbeiten begonnen. Gleichzeitig läuft noch die politische Debatte.

Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn der Senat den Kommunikationsfehler eingesteht – und ein Moratorium verhängt. Und die damit gewonnene Zeit könnte dann genutzt werden, neben Abriss und Sanierung auch bspw. die Übertragung an einen Verein zu diskutieren.

Die Piraten haben in Neukölln eine Große Anfrage zur Bürgerinformation eingereicht, die Grünen beantragen den Aufschub des Abrisses. Im Abgeordnetenhaus ist ebenso ein Antrag eingereicht.

Bisherige Kommentare (7)

Kommentar von René

Die PARTEI mischt bei der Brücke auch mit: Eilverfügung an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt

Wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist eine der wichtigsten Zuständigkeiten unserer Organisation der “Wiederaufbau der Mauer”. Es wird Sie nun nicht weiter überraschen, daß der sog. Kiehlsteg in unseren Mauerbauplänen ein zentrales Infrastrukturelement innerhalb des Großraumes Neukölln – Tretow darstellt.

Kommentar von eNini

Off-Topic:
Ich hatte einen längeren Kommentar geschrieben, der nun weg ist, weil ich auf „Wie das geht?” klickte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du aufs selbe Fenster verlinkt hast. Mein verordneter Zwangsbrowser merkt sich leider die Eingaben nicht. Bitte ändere das für die Zukunft, noch mal neu schreben werde ich jetzt nicht.. Das ist übrigens auch nicht erwartungskonform, Hilfefenster gehen in der Regel in neue Fenster auf..

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