Spreetunnel Friedrichshagen
Als der Spreetunnel in Friedrichshagen in 1926 „erbaut und versenkt” wurde, dachte noch niemand an die Menschen, die ihn aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen nicht nutzen können. Der Bauzweck war damals als Entlastung der oberirdischen Fähren, welche Tagesspitzen von 40.000 Ausflüglern nicht mehr bewältigen konnten.
Wenn ich als verhältnismäßig junger Mensch am Eingangsportal des Tunnels stehe und die 50 Stufen hinabblicke, so habe ich durchaus Respekt vor dem Gefälle! Der Höhenunterschied beträgt ca. 10 Meter:
Für die, die allerdings nicht mehr durch den Tunnel können, sind die Umwege weit. Zwischen den Tunnelausgängen beträgt der Weg über die Salvador-Allende-Brücke knapp 6 Kilometer. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauert die Fahrtzeit zwischen Friedrichshagen und der Wendeschleife im Allendeviertel ca. 24 Minuten (mit 1 Umstieg), allerdings gibt es in Friedrichshagen noch zahlreiche Lücken in Hinsicht der Barrierefreiheit. Auch wenn absehbar ist, dass in einigen Jahren die Linie 61 mit Niederflurwagen betrieben wird: die Haltestellen rund um die Bölschestraße sind nicht barrierefrei. Man mag es vielleicht nicht für möglich halten, aber im Jahre 2013 stimmte eine Mehrheit der BVV (insbesondere SPD und CDU) gegen barrierefreie Haltestellen in der Bölschestraße, welche Grüne und Piraten forderten.
Mit diesem Beitrag möchte ich den aktuellen Diskussionsstand zusammenfassen einschl. der Aspekte, die wir Piraten bisher in die Debatte gebracht haben.
FDP-Antrag zur Eindämmung des Vandalismus (10/2005)
Im Jahre 2005 stellte die FDP-Gruppe einen Antrag zur Eindämmung des Vandalismus. Beschlossen wurde eine leicht modifizierte Fassung der Linken:
Dem Bezirksamt wird empfohlen, mit dem Eigentümer und in Abstimmung mit der Polizei sowie dem Friedrichshagener Bürgerverein Lösungen zu suchen, wie dem auftretenden Vandalismus im Spreetunnel Einhalt geboten werden kann.
Herausgekommen ist dabei nicht viel: die Zuständigkeit liegt eindeutig bei der Polizei, laut der Senatsverwaltung sind im Jahre 2013 keine Vandalismusschäden mehr bekannt und der Vorsitzende des Friedrichshagener Bürgerverein wurde gebeten, direkt Kontakt mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zu suchen.
SPD-Antrag für die vereinfachte Querung für Radfahrer (2010)
Auf Antrag der SPD-Fraktion beschloss die BVV im Jahr 2010 folgenden Antrag:
Dem Bezirksamt wird empfohlen, sich bei den zuständigen Stellen dafür einzusetzen, dass die seitlichen Rampen an den Treppen des Spreetunnels für den Transport von Fahrrädern verbreitert werden sowie einen mittigen Handlauf einzubauen.
Barrierefreiheit spielte in dem Antrag keine Rolle, diese hat das Amt wohlwollend aber ergänzt und im Jahre 2013 einen Schlussbericht vorgelegt. Die wichtigsten Aspekte:
- Bauwerk in hervorragenden Zustand. Die Verkehrssicherheit ist gegeben.
- Im Jahr 2014 ist die Erneuerung der Tunnelbeleuchtung vorgesehen
- Im Jahr 2014 sind verschiedene bauliche Maßnahmen vorgesehen:
- Erneuerung der Treppenanlagen (einschl. Fahrradrampen) unter Beibehaltung der Rampenneigungen
- Montage eines zusätzlichen kindgerechten Geländers in der Treppenmitte
- Instandsetzung der Zugangsbauwerke
- Integrieren von Rillenplatten in den Treppenpodesten und kontrastreiche Markierung der ersten und letzten Stufe für Menschen mit Sehbehinderung
- Aufgrund der Rampenneigung ist behindertengerechte Zuwegung nicht möglich
- Aufbau einer Aufzugsanlage mit unvertretbar hohem Herstellungsaufwand, zudem Vandalismusgefahr am südlichen Ausgang (Wald)
Beirat für Menschen mit Behinderung (02/2013)
Am 26.02.2013 fasste der Beirat für die Angelegenheiten behinderter Menschen einen Beschluss, in dem sie neben der Umrüstung der vorhandenen Fähren auch eine neue Fährverbindung am Spreetunnel fordern:
Die Verbindung zwischen Friedrichshagen und den Gaststätten Rübezahl und Prinzengarten/Müggelseeperle wird barrierefrei (Boot u. Steganlagen) eingerichtet. Dazu wird auf der südlichen Uferseite des Spreetunnels eine zusätzliche Steganlage bereitgestellt, z.B. unmittelbar westlich des Spreetunnels bzw. Nähe Fundament ehemaliges Müggelschlösschen. So ersetzt diese Bootsverbindung (auch Fahrradmitnahme!) die Nutzung des Spreetunnels.
Ferner gab es den Vorschlag, die Fähre 23 über den gesamten Müggelsee über Rübezahl nach Friedrichshagen zu verlängern:
(Diese Karte berücksichtigt nicht die tatsächlich erlaubten Fahrrouten im Müggelsee. Die derzeitige F23 benötigt für einen Umlauf 50 Minuten.)
Vor-Ort-Termin des Beirats für Menschen mit Behinderung (09/2013)
Am 02.09.2013 gab es einen Vor-Ort-Termin, ausgehend von der Bezirksbeauftragten für Menschen mit Behinderungen. Nicht erschienen waren BVG und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (SenStadtUm). Aus den Mitzeichnungen ist zu entnehmen:
Bereits im April 2012 hatte sich SenStadtUm ablehnend zu einer Fährlösung alternativ zum Spreetunnel gegenüber der Wirtschaftsförderung des Bezirkes geäußert. Es wurde besprochen, dass eine Aufzugslösung für den Spreetunnel nicht in Frage kommen kann, Gründe sind technischer Art. Weiterhin gibt es große Sicherheitsbedenken. Ein Brückenbau erscheint aus vielerlei Gründen als unrealistisch. Bliebe letztlich die Aufweitung/Verlängerung der Fährlinie F23 entlang des Nordufers oder des Südufers des Müggelsee mit vorzugsweisen Haltepunkten Rübezahl und Müggelseeperle bis Müggelpark und Müggelschlößchenweg oder eine kurze Fährverbindung zw. den beiden Müggelspreeufern.
(Zitiert aus den Anlagen zum Protokoll der AG ÖPNV vom 09.12.2013)
AG ÖPNV (10/2013)
Diese Aussage des Senats wiederholte sich in der „AG ÖPNV” am 09.10.2013 (das ist das Treffen im Bezirk, an dem BVG, Senat und Bezirksvertreter teilnehmen):
Unter Beachtung des vorhandenen Finanzbudgets kann eine zusätzliche Fährverbindung nicht in Aussicht gestellt werden.
Stadtrat Hölmer erklärte daraufhin, dass er sich mit den anderen Abteilungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt abstimmen möchte.
In dieser Sitzung wurde geäußert, dass die Verbindung keine ÖPNV-Verbindung derzeit sei und „mit Sicherheit nicht unter den Top-100-Projekten” gehöre.
Idee Schrägaufzug (11/2013)
Da die Aufzugslösung wegen der Neigung und den Senkkästen nicht möglich erscheint und eine Fähre wohl aussichtslos ist, entstand die Idee eines Schrägaufzugs. Bedingt durch die begrenzte Deckenhöhe ist ein geschlossener Schrägaufzug wie am S-Bahnhof Innsbrucker Platz (oder Hamburg Hauptbahnhof, Gleis 3/4 der S-Bahn) nicht möglich. Wenn dann wäre etwas offenes notwendig. Eine Inspiration aus London:
Also reichten wir daraufhin einen Antrag in der BVV ein:
Das Bezirksamt wird ersucht, zu prüfen, inwieweit beim Spreetunnel in Friedrichshagen die Barrierefreiheit durch den Einbau von Schrägaufzügen ermöglicht werden kann und wird bei positivem Ausgang ferner empfohlen, sich bei den zuständigen Stellen für die Umsetzung einzusetzen.
Die obrige Idee könnte also eine durchgehende Verbindung von einem Tunnelausgang zum anderen sein. Dann müsste niemand im Tunnel auf den zweiten Aufzug warten. Die Lösung wird nicht alle Wünsche hinsichtlich Barrierefreiheit erfüllen. Insbesondere wenn mehrere Rollstuhlfahrer gleichzeitig den Tunnel passieren wollen, wird es zu Verzögerungen kommen, da jeweils nur ein Rollstuhl gleichzeitig befördert werden kann. Zudem wird das Vandalismusproblem nicht gelöst (wenngleich das Fahrgestell bei Nichtgebrauch zur Nordseite zurückfahren könnte). Da der Betrieb eines solchen Liftes ohne anwesendes Personal fungieren kann, wäre dieser Ansatz im Betrieb günstiger, folglich auch mit Blick auf den Senat realistischer in der Umsetzung. Wir wissen allerdings nicht, ob diese Idee aber tatsächlich aufgeht, daher ist der Antrag zunächst als Prüfauftrag vorgesehen.
Das Berliner Abendblatt griff diese Antragsidee auf. Allerdings erweckt dieser Artikel den unschönen Eindruck, wir würden gegen die Interessen des Beirats für Menschen mit Behinderung arbeiten. Einen Zusammenhang, dass unser Antrag nur dadurch enstanden ist, weil der Senat die Fähre bereits verweigerte, wurde im Beitrag nicht erwähnt. Ich erklärte am Telefon die Haltung des Senats und lese in der Zeitung es so, als wären es meine eigene Haltung (Dieser Pressekontakt lehrte mich, warum das mit der Autorisierung von Zitaten sinnvoll ist und nicht abgeschafft werden sollte).
Die Piratenfraktion zog den Antrag daraufhin wieder zurück, was ich zugegebenermaßen schade finde. Denn so wird unbekannt bleiben, ob diese Lösung überhaupt möglich ist.
Einwohnerantrag (10/2014)
Nahezu zeitgleich entstand beim Bürgerverein Friedrichshagen die Idee, die Fähre am Spreetunnel mittels eines Einwohnerantrages zu fordern. Der Beirat für die Angelegenheiten behinderter Menschen unterstützt dieses Vorhaben:
Dem Bezirksamt Treptow-Köpenick wird empfohlen, sich unter Einbeziehung der zuständigen Stellen dafür einzusetzen, dass die zur Einrichtung und zum saisonalen Betrieb einer barrierefreien Fährverbindung im Bereich des Spreetunnels in Friedrichshagen erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden.
Am 20. Oktober 2014 wurde der Einwohnerantrag mit 2353 Unterschriften der BVV übergeben. Am 20.11. sind die nötigen 1000 Unterschriften verifiziert worden und steht nun als Antrag in der BVV zur Debatte.
Der Friedrichshagener Schirm weckt dabei falsche Erwartungen:
Sollte die amtliche Prüfung die Mindestanzahl von 1000 gültigen Unterschriften ergeben, liegt es in den Händen der Volksvertreter zu prüfen und zu entscheiden, ob es in Zukunft möglich sein wird, die Müggelspree barrierefrei zu überqueren.
Es liegt in den Händen der Volksvertreter, das Bezirksamt noch einmal dazu aufzufordern, was es ohnehin schon mehrfach getan hat: sich beim Senat für die Einrichtung einer Fähre einsetzen. Die BVV wird (das verrät meine Glaskugel) diesen Antrag zustimmen – und dann genauso gespannt wie die Einreicher auf die Stellungnahme des Senats abwarten. Der Unterschied ist nur, dass hinter dem Antrag dann mehr als 1000 Einwohner ihre Unterschrift gegeben haben.
Da die Saison im Antrag nicht näher definiert wird, kann man wohl von den Betriebszeiten der anderen saisonalen Fähren F21 und F23 ausgehen:
Die Saison beginnt am 1. Samstag im April oder Karfreitag (je nachdem, welcher Termin früher liegt) und endet am letzten Sonntag im Oktober oder mit dem Ende der Herbstferien in Berlin (je nachdem, welcher Termin später liegt).
Der Bürgerverein Friedrichshagen argumentiert mit Artikel 30 der UN-Behindertenrechtskonvention. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine saisonale Fähre diesen Anforderungen gerecht werden kann. Schließlich gilt das Ziel der „gleichberechtigten Teilhabe an Erholung, Freizeit und Sport” nicht nur im Sommerhalbjahr. Allerdings ist dieser Vorschlag ein Kompromiss in Hinblick der zu erwartenden Betriebskosten.
(Randnotiz: bei genauer Auslegung des Wortlautes ist die Konvention nicht unmittelbar hier anwendbar.)
Der Antrag wird am 11.12.2014 im Ausschuss für Wirtschaftsförderung, Tourismus und Immobilien beraten.
WTI-Ausschuss (12/2004)
Der Einwohnerantrag wurde am 11.12.2014 im Ausschuss für Wirtschaftsförderung, Tourismus und Immobilien beraten. Anwesend war auch ein Vertreter des Bürgervereins, der zunächst die Historie und die Ziele vorstellte. Aus seinem Vortrag war zu entnehmen:
- die grundsätzliche Zustimmung zum Betrieb einer Fähre an diesem Standort wurde durch das Binnenschiffahrtsamt gegeben
- noch sind viele Fragen ungeklärt, bspw. welche Form von Färme und welche Infrstruktur nötig ist
- Bautechnisch gibt es auch Fähren, für die kein Anliegen benötigt wird (vgl. Autofähre Dresden), so etwas würde auch hier angeregt.
Von Vertretern verschiedener Parteien wurde auf die schwierige Lage und die bereits initiierten Versuche hingewiesen. Würden nur diejenigen, die zwingend auf eine Fähre angewiesen sind, die Fähre nutzen, könnte ein einigermaßen wirtschaftlich vertretbarer Betrieb nicht möglich sein. Dies begründet einerseits die Skepsis des Senats, andererseits auch, warum private Betreiber hier nicht schlange stehen.
Als möglicher Ansatz wurde ein Vereinsbetrieb angeregt. Als Referenz gibt es einen Fährverein, welcher Ahsen-Oetzen und Hagen-Grinde verbindet. Das liegt südlich von Bremen an der Weser.
Bürgermeister Oliver Igel erklärte, dass er bei Annahme des Antrags nicht nur den obligatorischen Brief an den Senat versteht, sondern auch die Klärung baurechtlicher Fragen.
Abschließend wurde der Antrag einstimmig angenommen. So ebenso in der BVV-Sitzung am 18.12.2014.
Alternative: Brücke
Die Option einer Brücke wurde bisher gänzlich außer Acht gelassen. Es gab bisher nur eine Aussage, dass diese aus verschiedenen Gründen nicht realistisch sei (siehe Abschnitt Vor-Ort-Begehung). Aber warum eigentlich nicht?
Auf der Nordseite ist es sehr anspruchsvoll eine Brücke in den denkmalgeschützten Park einzufügen, keine Frage. Mit einer Brücke werden Sichtachsen verbaut, aber auch neue geschaffen. Aufgrund des Gefälles innerhalb des Parkes könnte dieser ohne Rampe und Aufzug auskommen. Auf der Südseite ist für eine Rampe ausreichend Platz. Damit wäre die Müggelspree an dieser Stelle an allen Tages des Jahres barrierefrei querbar. Nicht nur in der Saison.
(Randnotiz: in einem Gespräch bin ich gefragt worden, ob eine Brücke oder Fähre nicht an einer nah entfernbaren Stelle sinnvoller sei. Theoretisch ja, aber genau an dieser Stelle sind die beiden Ufer sehr nah zueinander. Schon wenige Meter weiter beim Berliner Bürgerbräu ist der Abstand fast doppelt so weit.)
Kuriosität
Und zum Abschluss noch eine Aufheiterung: im Jahr 2008 reichte Peter Leiß (Linke) als Kleine Anfrage einen Erste-April-Scherz ein
Bekanntlich weist die Südseite des Spreetunnels in Friedrichshagen 50 Stufen auf, die Nordseite hingegen nur 49 Stufen. Hat das Bezirksamt bereits geprüft, ob sich dieser Unterschied möglicherweise dahingehend erklärt, dass der Wasserspiegel der Spree vielleicht doch nicht ganz horizontal ist?
Hierzu antwortet das Bezirksamt: Das Bezirksamt hatte bisher nicht die Zeit, die Stufen zu zählen. Allerdings könnte es sein, dass sich die unterschiedlichen Höhen der Treppenbauten (nördlich 19,80 m; südlich 20,10 m) in einer unterschiedlichen Stufenzahl niederschlägt.
Fazit
Der Wunsch nach einer barrierefreien Querung der Müggelspree ist nachvollziehbar und unterstützenswert. Aber egal, ob Tunnelsanierung, Fähre oder Brücke: es ist und bleibt eine Aufgabe des Landes Berlins. Das Land ist bisher auf die Forderung einer Fähre nicht eingegangen, ob es das nun mit Hilfe des Einwohnerantrages tun wird, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall ist die Debatte und auch die Suche nach Alternativen wichtig!
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