Nordseeradtour Tag 22 - Notre-Dame-de-Gravenchon
Nachdem verschiedene Leute auf dem Zeltplatz von der Promenade in Étratat geschwärmt haben, schaute ich mir diese an. Diese scheint aus Sicht der Malerei wohl sehr bedeutend gewesen zu sein (u.a. Monet):
Wenige Minuten später schiebe ich das Rad wieder einen Berg hoch. Gleich am Anfang warnten mich Franzosen vor dem bevorstehenden Gefälle. Was sollte ich ihnen sagen? Umkehren?
Im Hochland wich ich ein paar Mal vom empfohlenen Radweg ab und sparte dadurch hoffentlich Höhenmeter ein.
Ich muss gestehen: ich erkenne da eher einen sehr schmächtigen Hund:
Zwischenzeitlich gab es sehr gute Strecken. Und dann gab es Strecken, wo ich die Kabelverleger am liebsten auf ein Fahrrad festbinden würde, welches mit 25 Stundenkilometer über ihre Asphaltkanten brettert. Ehrlich: die haben die Fahrbahn in einigen Orten regelrecht zerstört!
Ich erreichte Le Havre:
Mein Ziel ist der Bahnhof: die Rückfahrkarte ab Paris kaufen. Ich hatte gehofft, dass ich am Schalter direkt eine Fahrtkarte bis zu meinem Zielort bekomme. Und diese Worten lassen das Ergebnis schon erahnen.
Bereits im Vorfeld hatte ich mich schon mal erkundigt. Die französische Bahn bietet direkt eine Webseite für Fahrradmitnahme an. Nicht alle TGVs nehmen Fahrräder mit. In Richtung Brüssel wohl gar nicht. Nach Luxemburg ist möglich. Ansonsten Straßburg oder Basel. Kurios: Züge, die in Straßburg enden, nehmen Räder mit. Aber die, die weiter zu einem deutschen Endbahnhof (Karlsruhe) fahren nicht. Allgemein sind die Fahrpreise über Straßburg günstiger (sowohl im TGV als auch bei der DB, obwohl die Strecke länger ist).
Ich schiebe mein Fahrrad bis zum Reisezentrum und schließe es draußen ab. Der Empfang bot mir an, dass Fahrrad auch in den Verkaufsraum zu nehmen (dass muss ich mal am Lehrter Stadtbahnhof in Berlin probieren). Der Empfang klärt ab, wer Englisch kann. Die Verkäuferin konterte mit einem scherzhaften „I hate you” zu ihr. Und ich erwiderte der Verkäuferin „You will hate me!”. Und vermutlich wird sie es auch tun.
Ich schilderte also meinen Reisewunsch. Und sie suchte fleißig nach Verbindungen. Nur der favorisierte TGV wurde nicht angeboten. Eigentlich wurde ihr gar kein TGV angezeigt. Leider habe ich die Zugnummer nicht aufgeschrieben. Nun klappte ich in der Fahrkarte den Laptop auf. Die Verkäuferin bot mir Strom für den Laptop an. Leider war die Verbindung nicht mehr geladen. Mit dem Mobiltelefon richte ich einen mobilen Hotspot ein. Mit Hilfe der Zugnummer ging es weiter: der gewünschte TGV hat zwischen Paris und Straßburg noch Platz.
Weiter nach Deutschland. Ich komme weder nach Hannover, noch nach Lüneburg oder wenigstens bis Karlsruhe. Der nächste Abschnitt wäre bis Appenweier. Klappt. Nun Karlsruhe. Die Frau bekommt keine Preise angezeigt. Wir beide erkannten, dass innerdeutsche Strecken nicht in die Reise hinzugefügt werden können. Ich kaufte also nur das Ticket bis Straßburg. Die Frau erklärte mir, dass es das erste Mal sei, dass sie nicht das verkaufen konnte, was gewünscht war. Scheinbar reisen nicht so viele mit Rad über Landesgrenzen.
Ich setzte mich noch in den Wartebereich und wollte online den zweiten Teil auf der DB-Seite buchen. Es ging nicht. Bei der Buchung sagte mir die Bahn, dass sie eine Fahrradreservierung nicht vornehmen kann und man zum Schalter muss oder die Telefonhotline anrufen muss, was besonders teuer aus dem Ausland ja ist. Ich bin begeistert!
Ich drehe noch eine Runde durch Le Havre. Mit Le Havre habe ich nun nach Brügge die zweite große Brettspielstadt erreicht. Da fehlt eigentlich nur noch Carcasonne. Le Havre selber ist an sich nicht so spannend. Es ist eine Stadt, die im Zweiten Weltkrieg weitestgehend zerstört wurde und in den 50ern aufgebaut wurde. Das überwiegende Stadtbild sieht dann so aus:
Das ist übrigens Unesco Weltkulturerbe!
Auf dem Zeltplatz in Étratat schwärmte einer auch von der Brücke der Normandie, die auch per Rad befahrbar ist. Also begab ich mich ins Hafen-Areal. Nicht ungefährlich mit Dutzenden LKWs. Umrandet von großen Straßen, Industrie und Lärmschutzwänden gibt es noch einen kleinen Ortsteil Les Neiges:
Ich schaute noch mal auf die Karte und entschied mich, wieder kehrt zu machen. Der Weg bis zur Brücke war weit – und von da auch wieder schwer den eigentlichen Radweg zu erreichen. Zudem war die Brücke, ich ich im Nachgang gelesen habe, auch nicht ungefährlich für Radfahrer, da der Radweg sehr schmal trotz des Gefälles war.
Dann stand ich auf einer Brücke über die Eisenbahnanlagen.
Hinter meinen Rücken viel Verkehr. Aber nach der Brücke soll ein Radweg in Richtung Paris beginnen. Ich hatte so meine Zweifel, aber auf die OpenCycleMap konnte ich mich bisher verlassen. Ich schob mein Rad mehr oder weniger über die Brücke, während andauernd große Laster an mir vorbeidonnerten und mich mit Wind beglückten. Und tatsächlich: so nach und nach entwickelte sich auf der Straße ein Radweg. Anfangs nur erahnbar. Teils versandet. Teils waren die Kabelverleger am Werk. Dann gab’s mal ein Hinweisschild. Und abschnittsweise ein 1A-Radweg.
Ein altes Schiff bei Harfleur (den Ort sollte man nicht verwechseln mit Honfleur am anderen Ufer der Seine):
Nach einigen Kilometern 1A-Radweg landete ich in einer kleinen Siedlung zerstörter Häuser:
Die Beschilderung zeigte mir, dass ich die Straße queren sollte und in eine Nebenstraße fahren. Aber sie meinten nur, dass der schöne Radweg aufhört und ich Straße fahren sollte.
Und nun streckte es sich. Etliche Kilometer ohne Zivilisation. Nur Autobahn, in der Ferne der Fluss und eine steile Wand. Anfangs auf eigenem Radweg. Später an einer Nebenstraße (die aber parallel zur Autobahn kaum Verkehr hatte). Da die Autobahn die Flußseite wechselte, nahm ab der letzten Ausfahrt der Verkehr zu. Nach gut 25 Kilometern erreichte ich das erste Dorf.
Auf der Umleitung des eigentlichen Radweges gibt es eine Straßensperrung. Die Umleitung der Umleitung über eine vielbefahrene Straße an einem kleinen Hafen vorbei in ein riesiges Industriegebiet hinein. Viele LKWs, Busse, auch Traktoren. Ich erreiche gegen 20 Uhr Notre-Dame-de-Gravenchon. Auf der einen Seite glücklich, dass ich eben 40 Kilometer seit Le Havre schon hinter mir habe. Auf der anderen Seite nun die Sorge, wohin? Die Geschäfte haben alle zu. Das zentrale Hotel der Stadt hat geschlossen. Ein einziger Zeltplatz in der Nähe, der keinerlei Homepage oder Kontaktdaten hat. Das war mir für die Uhrzeit zu unsicher. Die Buchungsportale listen mir keine Hotels auf, nur im benachbarten Lillebonne. Google zeigt mir noch ein Hotel am Stadtrand. Ich probiere es!
Das Hotel war verschlossen. Glücklicherweise kamen andere Reisende, die der Hotelierin Bescheid sagten. Knapp 70 Euro ohne Frühstück in einem Kaff.
Ab unter die Dusche. Ich döste im Bett. Ich machte mir Gedanken über die weitere Route nach Paris. Ich hatte schnelles Internet! Ich beschloss, die ausschweifenden Bögen der Seine nicht zu verfolgen, sondern entschied mich für eine Strecke weiter südlich über Mon(t)fort und Evreux, so dass ich bei Vernom die Seine wieder erreichen würde.
Und während ich so auf dem Bett lag, dachte ich: Der Lüfter im Bad ist aber laut (in dem Hotel war das Bad an der Außenwand). Ich stehe auf. Das Bad war leise. Nein. Es war die Industrie. Es war dunkel. Ich blickte auf riesige Nebelwolken, die aus Schornsteinen aufstiegen. Ich blickte auf einen Schornstein, aus dem es brannte. Ich rief den Wikipedia-Artikel des Ortes auf: Ölraffinerien!
Gute Nacht!