100%-Schokolade ist keine Schokolade
Seit einiger Zeit präferiere ich dunkle Schokolade. Schokolade ohne Zucker. Also 100%-Schokolade. Doch es gar nicht so einfach, diese in Deutschland zu bekommen. Nun weiß ich warum: Schuld ist die Mehrwertsteuer und die Kakaoverordnung!
In den Regalen der Kaufhallen hört es in der Regel bei 85% auf. Selten gibt es mal 90%. Gelegentlich findet man die 99%ige von Lindt – doch die schmeckt nur nach Kakaopulver. In Reformhäusern gibt es gelegentlich auch die eine oder andere im Bereich von 92-99%, zum Beispiel Vivani (identisch mit der Marke Björnsted), Amore Bio oder Labooko:
Es gibt Schokoladengeschäfte wie Hussel oder Arko, da wird man wie ein Außerirdischer angeschaut, wenn man 99%/100% verlangt. Teilweise haben die von deren Existenz noch nie gehört. Selbst der Hersteller Rausch, der eigentlich recht gute Schokolade macht, steigt derzeit schon bei 80% aus. Bei anderen Herstellern bekommt man immerhin 99%. Teilweise auch sehr gute (z.B. Leysieffer Jahrgangsschokolade 99%). Die kosten dann halt etwas mehr – aber glaubt mir: die halten auch wesentlich länger.
Viele dieser Hersteller haben dann exakt eine Sorte. Und das ist schade, denn gerade in diesem Bereich schmeckt man große Unterschiede zwischen den verschiedenen Sorten, Anbaugebieten und Verarbeitungsschritten. Die eine säuerlich, die andere cremig, manche fruchtig und die von Lindt schmeckt eben nach Pappe.
Edelmond in Brandenburg ist so ein Anbieter, der gleich neun Sorten anbietet. Es ist Geschmacksfrage, aber ich mag zum Beispiel die Extra Bitter mit Kakao-Nibs oder die Parcelana, weniger aber die Chuncho. Was aber alle Tafeln gemein haben: Es sind keine echten 100% mehr, sondern sie bestehen jeweils aus ca. 0,3% Kokosblütenzucker.
Und warum? Für den Geschmack braucht man es nicht. Guter Kakao, gut verarbeitet schmeckt für sich. Und nein, man braucht Zucker auch nicht für die Bindung (wie mal ein Schokogeschäft behauptete). Nein, es ist das Finanzamt!
Schokolade gibt es in Deutschland zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7% (Im Jahr 2007 gab es mal die Debatte, diese zu erhöhen – Ähnlich erfolgreich wie mit Bier). Und was Schokolade steuerrechtlich zu sein hat, hat die EU im Jahre 2000 durch eine Verordnung geregelt. In Deutschland gibt es darauf aufbauend die nahezu wortgleiche Kakaoverordnung. Und die regelt in Anlage 1, was Schokoladen, Milchschokoladen, Streusel und Pralinen sind:
Schokolade a) Erzeugnis aus Kakaoerzeugnissen und Zuckerarten [..]
Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Es ist gut, dass sich Verbraucher in der EU auf einen Mindestanteil von Kakao verlassen können. Sonst würde Milka wohl noch mehr am Kakao sparen.
Kakaoerzeugnisse sind dabei alle Formen von Kakao, also Kakaobohnen selbst, Kakaomasse, Kakaopulver oder auch Kakaobutter. Dieser vier Komponenten erhöhen gleichermaßen den Kakaoanteil, kosten unterschiedlich viel Geld. Theoretisch kann eine Schokolade nur aus Kakaopulver bestehen.
Die Verordnung spricht von Zuckerarten. Das wird in §2 Abs. 5 konkretisiert:
Zuckerarten im Sinne dieser Verordnung sind auch andere als die in der Zuckerartenverordnung aufgeführten Erzeugnisse.
Damit es als Schokolade durchgeht, muss nicht zwingend Zucker, Glucose-Fructose-Sirup oder Invertzuckersirup zugesetzt werden. Es darf auch Honig, Datteln oder Kokosblütenzucker sein. Oder Alternativen wie Stevia, Erythrit und Xylit. Aber es muss eben eine dieser Zutaten enthalten sein. Womit es also keine klassische 100%-Schokolade mehr in der EU geben darf.
In England sieht die Lage anders aus. Dort habe ich keine einzige 99%ige gesehen, sondern gleich die vollen 100%. Auch in den Kaufhallen. Sie heißen dann eben nicht Schokolade. Von Mark&Spender gibt es eine Eigenmarke 100% Cacao (sehr sauer). Und es gibt dort auch richtig gute: Montezuma Absolute Black (Wahlweise pur, mit Kakao-Nibs-Orange, Mandel und Hanfsamen-Mehrsalz, hier wird der nicht definierte Term „Dark Chocolate” verwendet) sowie Willies Cacao, die sprechen auch von Kakao.
Der Unterschied zu Deutschland ist nur: In Deutschland haben wir die berühmte Anlage 2 des Umsatzsteuergesetzes mit der Liste, welche Produkte dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7% unterliegen. Es ist jene Liste, die dafür zuständig ist, dass Kartoffeln für 7% verkauft werden und Süßkartoffeln für 19%. Und in Punkt Numero 30 finden wir dann
Kakaopulver ohne Zusatz von Zucker oder anderen Süßmitteln sowie Schokolade und andere kakaohaltige Lebensmittelzubereitungen
Dort fällt die 100%-Schokolade durchs Raster.
Man kann also nun alles mögliche auf die Verpackung schreiben und die Leckerei für 19% Umsatzsteuer verkaufen. Oder man wirft doch irgendeine Zuckerart rein.
Muss Schokolade wirklich aus einer Zuckerart bestehen?
bytheway: Kakao-Nibs gibt es in Deutschland auch für 19%, Kakaopulver für 7%.
Bisherige Kommentare (5)
Kommentar von Jonas Wind
Schön geschriebener Artikel. Vielen Dank! Tatsächlich ist die Mehrwertsteuerbestimmung für Schokoladenhändler wie mich, die selbst keinen Zucker konsumieren & sowohl zucker- als auch chemiefreie Produkte anbieten wollen, sehr schade.
Ich mache es trotzdem, allerdings recht teuer. Die 12 % Unterschied merkt dann der Endkunde.
Zeit zu demonstrieren
Kommentar von Der Influencer
Mag sein, dass ich da zu einfach denke, aber…
Könnte man nicht einfach “Kakaohaltige Lebensmittelzubereitung” auf die Verpackung schreiben und die Leckerei dann trotzdem mit 7% Umsatzsteuer verkaufen? Oder ist irgendwo spezifiziert, dass auch kakaohaltige Lebensmittelzubereitungen nicht zu 100% aus Kakaoerzeugnissen bestehen dürfen?
Kommentar von René
Das habe ich mir auch gedacht. Die Wortendung “haltig” suggeriert zumindest mir, dass es auch andere Bestandteile geben müsste. Wenn ich Kaffeepulver kaufe, sagt ja auch keiner “Achtung, Kaffeehaltig”.
Das könnte man vielleicht für die 80/20-Schokolade von Zotter anwenden, die zu 80% aus Kakao und zu 20% aus Milch besteht, aber eben ohne Zucker.
Kommentar von Jirka
Also dass die Kakao-Nibs (für Nichtkenner: Kakaobohnen-Bruch) nicht steuerermäßigt sind, ist wirklich absolut unverständlich, zumal sie ein nachweislich gesundes Lebensmittel sind. Und wenn man sie zermahlt, also mechanisch weiterverarbeitet (zu Kakaopulver), dann ist es plötzlich steuerermäßigt? Wirklich sehr unlogisch. Auch das mit den Süßkartoffeln ist nicht nachvollziehbar, die sehe ich auch als ein Lebensmittel an. Man sollte da wirklich mal eine Petition starten, derartige Mängel zu beseitigen. Neben des hier erwähnten Schokoladen-Definitions-Problems grassierte in den Medien ja auch immer wieder das ähnliche Problem der zuckerreduzierten Limonade (Lemonaid).
Kommentar von Thorald Abramowski
Habe mich auch immer gewundert, warum da manchmal unterschiedliche Steuersätze zu sehen sind.
Ich beziehe meine 100% Schokolade bei CHOCOLATS-DE-LUXE.DE
Die haben eine Top Auswahl von Schokolade und auch Kakaobohnen bzw. Nibs. Sehr empfehlenswert !
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