Nutri-Score und Ernährungsampeln
Ich bin heute über folgende Schlagzeile zu einem Artikel der Süddeutschen Zeitung über Lebensmittel-Ampeln gestolpert:
Umfrage zu Ernährungs-Siegeln blamiert Ministerin Klöckner
Aus dem Artikel zitiert:
Mehr als drei Viertel der 1000 Befragten halten den Nutri-Score für schnell erfassbar und leicht verständlich. 60 Prozent denken, dass er die Auswahl gesunder Lebensmittel erleichtert.
Zugegeben: Klöckner ist in ihrem Ministerium eine Fehlbesetzung – und ich habe bisher den Eindruck gewonnen, dass sie zu tief im Allerwertesten unserer Nahrungsmittelindustrie steckt. Dennoch kann ich hier nicht nachvollziehen, warum sie sich blamieren sollte. Zunächst einmal ist es nie verwerflich, eine Alternative zu prüfen. Allerdings wirken beide Modelle gegeneinander gestellt wie Tag und Nacht (oben links gegen unten rechts):
Während der französische Nutri-Score sämtliche Nährwerte auf einen von fünf Buchstaben herunterbricht, so stellt Modell des Max-Rubner-Institute (MRI) in einer wesentlich dezenteren Darstellung wesentlich mehr Daten dar. Frage ich nun, was schneller erfassbar ist, so ist ein farbiger, einzelner Buchstabe immer verständlicher als sechs Einzelwerte. Was sind das für knapp 25%, die das anders sehen?
Doch erleichtert es wirklich die Auswahl? Da habe ich viel größere Zweifel. Denn hinter dem Nutri-Score steckt ein Algorithmus. Genauso wie hinter den Sternen beim MRI-Modell. Die werden mit Sicherheit kein Geheimnis sein, schließlich sollen ja genug Firmen danach ihre Lebensmittel ausweisen müssen. Ob Hinz und Kunz diese verstehen wird? Mit Sicherheit nicht. Viele Verbraucher sollen also diesem Algorithmus vertrauen.
Und was macht die Lebensmittelindustrie? Sie wird ihre Lebensmittel optimieren. Mit Sicherheit. Kein Hersteller wird seine Produkte mit C kennzeichnen wollen, wenn er auf ein winziges Müh Zucker oder Fett verzichten kann, um dann doch ein B zu bekommen. Sozusagen Grenzwertoptimierung.
Sehr hilfreich ist die Datenbank OpenFoodFacts, in der die Nutri-Scores verschiedener Lebensmittel aufgeführt werden. Das mache ich – und hier zwei Beispiele:
- Seeberger Mandeln (Also reine Nüsse ohne weitere Zutaten) würde ein D bekommen. Also schlecht.
- Danone Fruchtzwerge (Frischkäse mit mind. 6% Zuckerzusatz) bekommt ein B. Also gut.
Der NutriScore sagt also, dass unnötig gezuckerte Lebensmittel deutlich gesünder sind als reine Nüsse. Wirklich?
Nun könnte man mir vorhalten, ich würde sprichwörtlich Äpfel mit Birnen vergleichen. Also vergleiche ich zwei Lebensmittel der gleichen Art Frischkäse:
- Danone Fruchtzwerge (Frischkäse mit mind. 6% Zuckerzusatz) bekommt ein B. Also gut.
- Penny Frischkäse (Ohne Zucker, nur Käse, Salz und Johannisbrotkernmehl) bekommt auch ein B. Also auch gut.
Die unnötige Beimengung von mehr als 6% Zucker (zusätzlich zum Zucker aus den Früchten) ändert hier nichts am Nutri-Score.
Ich werfe die These in den Raum, dass dieser Nutri-Score mehr Schaden als Nutzen für die Verbraucher bringen könnte. Eben weil Leute glauben, dass dieser Wert einem gesunde Dinge suggeriert.
Zum Vergleich noch eine Darstellung aus dem Vereinigten Königreich:
Während der Nutri-Score keine weiteren Angaben macht, werden beim RMI-Modell und im Vereinigten Königreich auch einzelne Nährwerte dargestellt und mit Farben deutlich gemacht. Der Unterschied: Beim RMI wird pro 100g, im Vereinigten Königreich die Packungs-/Portionsgröße. Das mag für so eine kleine Tüte ganz passend sein, am Ende stehen diese Farben und Zahlen auch in der Nährwerttabelle auf der Rückseite. Mir fehlen aber bei beiden Darstellungen die Kohlenhydrate. Bekanntermaßen wandelt der Körper Stärke in Zucker um, so dass der Zuckerwert alleine nur bedingt hilfreich ist.
Mein Fazit: Vertraue keinem Algorithmus, sondern lerne mit der Nährwerttabelle umzugehen.
Anmerkung: In der OpenFoodFacts-Datenbank gibt es noch den Nova-Wert, der den Verarbeitungsprozess und die Zutaten beleuchtet. Da bekommen die Mandeln die grüne 1 (= Unverarbeitete oder minimal verarbeitete Lebensmittel), die Fruchtzwerge eine hellrote 3 (= Verarbeitete Lebensmittel). Dieser Wert könnte, erster Eindruck, tatsächlich etwas mehr Einblick bringen. Er beleuchtet bspw. auch bestimmte Zutaten wie Invertzucker oder Maltodextrin (Automatisch Kategorie 4, rot).
Anmerkung, die 2.: Nachdem ich mich mit Nutri-Score beschäftigt habe, verstehe die Abwehrhaltung der Nahrungsindustrie nicht. Höchstens die Bürokratie bei der Ermittlung der Werte?
Bisherige Kommentare (2)
Kommentar von IS
Ich werfe mal folgendes mit ein:
Algorithmen können hilfreich sein, wenn sie auf die Komplexität einer Sache eingehen und nach dem Ausdifferenzieren vereinfachen. Das ist beim Nutriscore offensichtlich nicht der Fall. Ich habe mir auch vor Augen geführt, wie das z.B. mit verarbeiteten Lebensmitteln ist, bei denen Fett, Kohlehydrate oder Zucker im grünen Bereich liegen, die aber mit so vielen Zusatzstoffen versehen sind, dass man von grünem Bereich nicht mehr sprechen kann. Die bleiben hier ebenfalls völlig außen vor.
Wenn man sich die Frage anders herum stellt, also was ist gesund, dann komme ich immer wieder auf die gleiche Antwort: Eine ausgewogene Ernährung, die möglichst auf verarbeitete Lebensmittel verzichtet. Hilft uns jetzt aber auch nicht weiter …
Nehme ich alle Informationen, durch die ich mich durchgetankt habe, entsteht ein Mischbild aus Nutriscore und Waben-Sterne-Modell. Die Farben und Buchstaben haben bei den einzelnen Bestandteilen wie Fett, Zucker, Kohlehydrate die Rolle einer Einzelbewertung, während das Verhältnis aller Bestandteile dann mit der entsprechenden Anzahl von Sternen ausgedrückt wird.
Nun kann ich nicht sagen, was ein Algorithmus daraus macht, dazu muss es erstmal einen wissenschaftlichen Konsens geben, der eben auch dein Beispiel in die Waagschale wirft.
Kommentar von René
Der NutriScore wurde aktualisiert: die Mandeln erhalten nun auch Stufe B. Also sind nun genauso gut wie Frischkäse mit mind. 6% zugesetztem Zucker.
Ändert nichts an meiner grundsätzlichen Kritik!
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