Wie weiter mit Großveranstaltungen in Berlin?
Lollapalooza 2016 ist vorbei. Ich eröffne die Debatte: Wie geht man mit künftigen größeren Veranstaltungen in dieser Stadt um? Und noch viel weiter gefragt:
In was für einer Stadt wollen wir leben?
Als Lollapalooza am 24.08.2016 genehmigt wurde, erklärte Bezirksbürgermeister Oliver Igel in der Pressemitteilung des Bezirks:
Solange die gesetzliche Möglichkeit im Grünanlagengesetz besteht, können jederzeit weitere Veranstaltungen im Treptower Park und in anderen Gartendenkmalen Berlins beantragt werden. Wünschenswert wäre dies nicht.
Er schürt Angst – und möchte Verantwortung abgeben. Doch selbst Oliver Igel dürfte wissen, dass diese Forderung so in der Form nicht durchsetzbar ist. Denn dann dürfte auch das Hafenfest nie wieder zum Treptower Park zurückkehren, die Fete de la musique müsste um die Parks einen Bogen machen und Veranstaltungen wie „Sommer im Park” (Körnerpark) oder radioeins Parkfest (Gleisdreieck) wären dann auch verboten oder müssten auf Straßenland ausweichen.
Die Petition gegen Lollapalooza im Treptower Park formulierte es wie folgt:
Da die Veranstaltung nicht mehr auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof stattfinden kann, sollte sie auf die für Großveranstaltungen reservierte Fläche des Zentralen Festplatzes in der Nähe des Flughafens Tegel oder eine anderen geeigneten Platz verlegt werden.
Der zentrale Festplatz (übrigens in Mitte, nicht Tegel) ist nur etwa 1/3 so groß wie die Fläche beim Lollapalooza und dessen Verkehrsanbindung ist bescheiden. Aber wir halten fest: es wird ein „anderer geeigneter Platz” benötigt.
Heute wird über die Petition zu einer Versammlung am Donnerstag aufgerufen, neben Auswertung steht folgender Punkt auf der Agenda:
Des weiteren stellt sich die Frage, wie ähnliche Großveranstaltungen in Zukunft verhindert werden können.
Ich bekam während des Festivals von einem Anwohner aus dem Kungerkiez eine E-Mail mit den Worten:
Innerstädtische Festivals sofort verbieten.
Wenn ich die Anwohner nach Gründen gefragt habe, warum sie das Lollapalooza im Treptower Park ablehnten, so waren häufige Antworten folgende:
- Treptower Park ist ein Gartendenkmal
- Nähe zu Wohngebäuden in Verbindung mit Lautstärke
- Pietätslos, weil nebenan ein Friedhof / Kriegsgräberstätte
- Sanierung des Parks
Wenn ich dann nach anderen Orten frage, so traf nicht selten eins der Kriterien auch auf diesen zu. Häufig fiel die Straße des 17. Juni (u.a. auch von Grüne), da war ja auch einst der Ort der LoveParade. Doch auch dort liegt ein Sowjetisches Ehrenmal. Ferner steht jede zweite größere Grünanlage unter Denkmalschutz, auch Anwohner befinden sich oftmals im Umfeld.
(Und die Sanierung betraf Wege, Parkplätze, Sondergärten und die Kronenschnitt der Platanen, die Wiese nur da, wo alte Wege abgerissen worden sind.)
Die Grünen stellten einen wichtigen Antrag in der BVV: Schutz der öffentlichen Erholungs- und Grünanlagen bei Großveranstaltungen. Ich berichtete schon mal vor einigen Monaten darüber, damals war Lollapalooza noch kein Thema, aber 2015 gab es das Berlin Festival im Schlesischen Busch:
Das Bezirksamt wird ersucht, bei der Genehmigung von Großveranstaltungen in öffentlichen Erholungs- und Grünanlagen gemäß § 6 (5) Grünanlagengesetz (GrünanlG) die Auflagen für Genehmigungen zu verstärken. Bei der Definition des Begriffs „Großveranstaltung“ soll es neben dem Kriterium „Anzahl der Besucher“ auch um die Relation der Besucher zu der vorhandenen Infrastruktur gehen.
Es folgen fünf Anstriche mit konkreten Forderungen. All diese Punkte hätten auch ein Lollapalooza nicht verhindert, aber es hätte das Bewusstsein und mitunter die Auflagen verschärft. Außer Grüne und Piraten steht aber keiner Partei hinter diesem Antrag. Selbst die Linken, die lautstark bei Lollapalooza polterten, waren bisher nicht in der Lage, in der einjährigen Debatte einen Änderungsvorschlag einzubringen und enthielen sich im Umweltausschuss schweigend.
Dafür werden die Linken nicht müde, die Staatsform am Treptower Park klären zu wollen: Hilfe, Kommerz.
Ich möchte in keiner sterilen Metropole leben.
Berlin ist eine lebendige Stadt (auch wenn uns die SPD mit ihrer „Berlin bleibt”-Kampagne Stillstand verkaufen möchte). Und dazu gehören auch Musikveranstaltungen. Eine Stadt ist nicht nur zum arbeiten, einkaufen, schlafen und erholen da: auch Spaß und Unterhaltung gehören dazu. Und selbstverständlich auch Open Airs!
Von daher kann ich mich den Wünschen, wie man so etwas gänzlich verhindert, nicht anschließen.
Viel lieber würde ich die Diskussion über Auflagen, Bedingungen und Abwägungen (gerade in Hinblick Lärmschutz) führen.
Von Mitgliedern der Initiative Stralau gegen Lärm nehme ich die Kritik wahr, dass nicht die eine oder andere Veranstaltung das Problem darstellt, sondern die Häufung. Und diese kombiniert mit illegalen Veranstaltungen sowie regelmäßig wiederkehrenden. Nicht zuletzt auch durch die schwimmenden Diskos in der Spree. Zudem würden sich die Bezirke (Gebiet zwischen drei Bezirken) nur unzureichend bei den Terminen abstimmen. Auch das sind durchaus Punkte, die mit einfließen müssen.
Der schon erwähnte Antrag der Grünen ist ein guter Aspekt in Richtung Nutzung der Grünanlage.
Ich habe vor einigen Tagen schon mal drei Forderungen für eine Reform des Grünanlagengesetzes aufgestellt
- Für die Entscheidung ist die Bezirksverordnetenversammlung anzuhören.
- Beim Genehmigungsverfahren darf jeder alles wissen
- Die Entscheidung über das Verfahren muss so rechtzeitig erfolgen, dass eine unverzügliche gerichtliche Prüfung möglich ist.
Auf Abgeordnetenwatch bekam ich letztens dazu eine Frage, in dessen Antwort ich skizzierte, wie die Bürgerbeteiligung und -information aussehen könnte: Nicht gegen die Anwohner arbeiten, sondern diese in den Genehmigungsprozess integrieren. Oder mehr noch: in das Konzept zu integrieren.
Nicht unwesentlich ist dann auch die Frage, ob das ein fester Ort werden soll, der für Veranstaltungen dieser Art festgelegt wird – oder wandelnde Orte. Ein fester Ort könnte Infrastruktur vorrätig haben, dafür werden jedes Mal die selben Anwohner belastet. Genau aus diesem Grund glaube ich, dass diese Suche leichter gefordert werden kann, als ein Ort gefunden wird: eine Fläche über 30ha zusammenhängend frei von Bebauung, möglichst keine Anwohner im Umfeld und mit ÖPNV gut erschlossen? Selbst am Flughafen Tegel, der so eine Option darstellen könnte, fehlt es an U-Bahn. Allenfalls noch Olympiastadion (aber auch hier: Gartendenkmal).
Eins muss in jedem Fall Konsens sein: wenn Menschen durch Veranstaltungslärm in dieser Größenordnung beeinträchtigt werden, so haben sie – ohne Diskussion – Anspruch auf Entschädigung. Und das betrifft nicht nur Hotel.
Ich würde gerne diese Debatte weiterführen, denn sie ist wichtig!
Bisherige Kommentare (4)
Kommentar von LaHaine
Der „Zentrale Festplatz” ist tatsächlich in Mitte, trotzdem liegt er näher am Flughafen Tegel als am Alexanderplatz.
Ich wusste gar nicht, dass das Olympiagelände auch als Gartendenkmal gilt. Im Unterschied zum Treptower Park ist das Maifeld zumindest nicht bewaldet. Es gibt wohl auch weniger direkte Anwohner.
Die Anwohner der Zitadelle Spandau haben sich ihren Lärmschutz erstritten, darum gibt es jetzt weniger Veranstaltungen dort als früher. Sie müssen außerdem pünktlich im 22 Uhr beendet sein.
Kommentar von René
@LaHaine: Ja, das Beispiel aus Spandau ist da mitunter ebenso spannend. Gut ist es, wenn diese Ergebnisse nicht durch Gerichte entschieden werden, sondern im Einvernehmen der Beteiligten.
Kommentar von Ni.Ni
Guter, reflektierter Text. Und ja, eine Stadt muss lebendig sein – wer will schon einer wohlgeordneten Stadt ohne Unordnung, Lärm und schlicht Patina leben? Und auch für diese Leute gibt es ja ruhigere Bezirke, Randlagen oder das Umland. Der Treptower Park liegt noch am Ring!
Im Sinne einer stärkeren Bürgerbeteiligung wäre es wünschenswert, die Betroffenen rechtzeitig mitzunehmen. Ich hoffe aber, dass dies nicht bedeutet, dass künftig jede Großveranstaltung abgesagt werden muss… Man muss also auch diskutieren, was in einer Großstadt eigentlich erträglich sein sollte (eigentlich gibt es dafür ja schon die Lärmschutzauflagen).
Von deinen Forderungen kann ich diesem Punkt nicht ganz folgen:
„Die Entscheidung über das Verfahren muss so rechtzeitig erfolgen, dass eine unverzügliche gerichtliche Prüfung möglich ist.”
Klingt erstmal gut, ist aber sehr schwammig formuliert. Ein Festival hat eine lange Vorlaufzeit und kann nicht mal eben abgesagt werden, bzw. auch das wird für die Kommune sehr teuer. Ohne Planung aber keine Entscheidungsgrundlage. Gerichte kennen auch Eilverfahren.
Kommentar von René
In diesem Verfahren war die Genehmigung so kurzfristig erteilt worden, dass kein Gericht der Welt die Möglichkeit hatte, auch nur angemessen zu einer Entscheidung zu kommen. Hier war die Genehmigung am 24.08. erteilt worden. Bis dann die potentiell Klagenden den Bescheid kennen und eine Klage einreichen, verbleibt dem Gericht kaum noch Zeit.
In was für einer Stadt willst Du leben?
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