Sampeln erlaubt!
Steht der künstlerischen Entfaltungsfreiheit ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht gegenüber, der die Verwertungsmöglichkeiten nur geringfügig beschränkt, können die Verwertungsinteressen des Tonträgerherstellers zugunsten der Freiheit der künstlerischen Auseinandersetzung zurückzutreten haben.
Mit diesen Worten hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Urteils das Sampeln kurzer Segmente in neue Lieder erlaubt. Dies ist klar zu begrüßen!
Oder anders: ich hätte mir so einen Impuls lieber vom Gesetzgeber und nicht von den Gerichten gewünscht!
Das umstrittene Lied von Sabrina Setlur stammt aus dem Jahr 1997. Die erste Klage wurde 2004 beim Landgericht Hamburg eingereicht (Wo sonst?). Obwohl ich beide Titel damals kannte, ist mir der Zusammenhang des Sampels erst durch die Medienberichte aufgefallen. Vielleicht nicht nur mir, sondern auch den Urhebern. Denn selbst wenn zuvor eine außergerichtliche Klärung stattgefunden hätte – 7 Jahre bei einem Chart-Hit sind beachtlich. Ebenso die 12 Jahre des gesamten Verfahrens über alle Instanzen hinweg. Durch das Hamburger Fehlurteil werden die Auslagen der Kläger hälftig zu Lasten der Stadtkasse beglichen.
Das Urteil stellt allerdings keinen Freifahrtschein für jegliches Sampeln aus. Viel mehr ist es eine Einzelfallbetrachtung:
Eine Gefahr von Absatzrückgängen [..] durch die Übernahme der Sequenz in [..] „Nur mir“ ist nicht ersichtlich. Eine solche Gefahr könnte im Einzelfall allenfalls dann entstehen, wenn das neu geschaffene Werk eine so große Nähe zu dem Tonträger mit der Originalsequenz aufwiese, dass realistischerweise davon auszugehen wäre, dass das neue Werk mit dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz treten werde. Dabei sind der künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk, die Signifikanz der entlehnten Sequenz, die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber des Ausgangswerks sowie dessen Bekanntheit einzubeziehen.
Mit anderen Worten: Kein Kraftwerk-Fan wird wegen dieses Zwei-Sekunden-Samples auf den Kauf des Trans Europa Express verzichten und zur neuen S-Klasse greifen. Die beiden Musikstile tangieren nicht einmal im Entferntesten. Zwischen beiden Veröffentlichungen liegen zwei Jahrzehnte. Das Sample ist prägend im Kraftwerk-Titel, dagegen untergeordnet im Setlur-Titel.
Sprich: Die Abwägung in diesem Einzelfall schien offensichtlich. Ich befürchte weniger eindeutige Streitfälle.
Nichts desto trotz: ein längst überfälliges Urteil!
Update: Die Piratenpartei weist korrekterweise darauf hin, dass dieses Urteil nicht unmittelbar auf die Gegenwart angewendet werden kann, da Ende 2002 die europäische Richtlinie zum Urheberrecht in Kraft trat und dieser Fall auf Basis des alten Rechts beurteilt wurde.