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Warum Hamburg nicht diesen Radentscheid braucht

Im ersten Teil schrieb ich, warum Hamburg einen Radentscheid (und vor allem ein Mobilitätsgesetz) braucht, in diesem Teil beschreibe ich, warum es nicht diesen benötigt.

Nach gut eineinhalb Jahren Arbeit habe ich mich aus dem Team zurückgezogen. Als einstiger Gründer spricht so eine Entscheidung durchaus Bände. Ich war auch nicht der Erste, der sich zurückgezogen hat. Auch andere in der Hamburger Fahrradszene aktive zogen sich zurück. Während ich letztes Jahr auf Weltreise war, nutzte ich die Gelegenheit, von außen auf das Team zu blicken.

Warum Hamburg einen Radentscheid braucht

(Radentscheid = Volksentscheid zur Verbesserung des Radverkehrs)

Dies ist der erste Teil. Der zweite Artikel trägt den Titel: Warum Hamburg nicht diesen Radentscheid braucht. Und im Dritten erläutere ich die Ziele.

Vielleicht hat es der eine oder andere schon mitbekommen: meine Wege führten mich Ende 2016 nach Hamburg. Daher endete auch meine aktive Mitarbeit beim Volksentscheid Fahrrad in Berlin. Allerdings war in meinem Koffer die Idee, so einen auch in Hamburg anzustoßen. Aus Gründen! Mit dem Beitrag möchte ich einiges zur Motivation sagen, zu meiner bisherigen Einschätzung und was ich aus Berlin mitgenommen habe.

Brillenversicherung

Bei einem Besuch beim Optiker Brillen Joseph in Hamburg-Harburg. In der Tischmitte liegen Flyer für eine sogenannte Brillenversicherung herum. Im Verkaufsgespräch war es auch ein zentrales Thema.

Die Tarife klangen zunächst verlockend. Und wann immer das passiert, sollten Alarmglocken läuten. Die Grundregel unseres Wirtschaftssystems lautet nun mal: Niemand hat etwas zu verschenken.

Das Angebot setzt sich zusammen aus einer Brillenbonusversicherung (monatlich 7,90 Euro) und einer Brillenbonuskarte (einmalig 7,90 Euro). In Kombinationen umfasst dies:

  • Bei Brillendefekt (unabhängig vom Schadenseintritt außer Vorsatz): Ersatzbrille
  • Nach 2 Jahren: Zuschuss bei Brillenneukauf von 280 Euro
  • Bei Sehstärkenänderung 75% des Rechnungsbetrages, maximal 210 Euro

Im Gespräch stellte sich der gegenüber als derjenige dar, der diesen Versicherungsdeal vor zwei Jahren angestoßen habe. Das Gespräch war durchaus sehr interessant. Kleingedrucktes haben sie nicht in der Filiale vorrätig, die bekäme man ohnehin dann mit der Vertragsannahme zugeschickt (Vertragsabschluss via App in der Geschäftsstelle). Auf Nachfrage bekam ich noch einmal ein altes Formular, doch auch dieses enthielt nicht die Klauseln. Lediglich einige Punkte zu Datenschutz- bzw. Schweigepflichtentbindung.

Zunächst war es bemerkenswert, dass die Brillenbranche allgemein degradiert wurde: die Brillen würden heute generell nicht mehr so halten wie früher. Alles würde nur noch so hergestellt werden, dass es eben an die 2 Jahre hält. Würde es wesentlich länger halten, würden ja kaum noch Brillen verkauft. Tränendrüse, jaja.

Diese Aussage bestätigte aber mein Gefühl, dass dieser Anbieter fast nur noch Kunststoffgestelle in Angebot hat. Und die sind allesamt etwas labriger als meine letzte Brille aus Metall, die ich bereits deutlich länger als zwei Jahre habe.

Auf der Webseite klingt es dann etwas schöner formuliert:

Trend! Alle zwei Jahre wieder im Trend sein.

Im Grunde genommen wird das Ziel dieser sogenannten Versicherung klar: Es geht nur nebensächlich um eine Versicherung, es geht vor allem um die Frage, wo und wann du deine nächste Brille kaufen wirst. Denn rechnerisch hast du nach knapp 2 Jahren knapp 190 Euro einbezahlt. Dieser Betrag ist dann etwa auch der Zuschuss, der dann eben bei diesem Optiker (bzw. dessen Kette) gilt. Vor allem geht es aber auch darum, dass du möglichst nach diesen zwei Jahren eine neue Brille kaufst. Denn wenn du drei Jahre einzahlst, erhöht sich der Zuschussanteil nur noch geringfügig. Danach gar nicht mehr.

(Wie ich der FAQ entnehme, kann man diese Versicherung nach zwei Jahren jeweils jährlich kündigen. Der Brillenbonus käme also erst im dritten Versicherungsjahr. Wenn du also im Juli 2018 den Vertrag abschließt, würde der Bonus im Juli 2020 zur Verfügung stehen. Würde die Versicherung danach gekündigt werden, wurden für 2,5 Jahre diese Beiträge bezahlt (Anzahl also 237 Euro)).

Nun stellte ich die Frage, was im Falle einer Firmenpleite passieren würde. Ich wurde belächelt, nein ich wurde vom Verkaufspersonal ausgelacht. So eine Frage hatte noch keiner gestellt. Und er sei auch weit genug entfernt, sich darüber Gedanken machen zu müssen. Ja, bescheuerte Antwort, bei der ich mich als Kunde nicht ernst genommen fühlte. Mit „Nee, sorry. Muss ich mal prüfen” hätte man eine wesentlich elegantere Antwort mit ähnlichem Aussagegehalt. Aber auch hier gibt es eine interessante Antwort in der FAQ:

Ein zusätzliches Kündigungsrecht haben Sie, wenn der nächste angeschlossene Optiker mehr als 30 km von Ihrem Wohnort entfernt liegt. In diesem Fall besteht auch die Möglichkeit, in den leistungsähnlichen Tarif SuH umzustellen.

Wenn der Optiker also pleite geht, kann man diesen optikergebundenen Zuschuss in einen optikerneutralen umwandeln, kostet halt im Zweifel dann mehr Prämie (Eine genaue Höhe fand ich nirgends).

Neben der Zuschusskomponente gibt es noch die Risiko-Komponente. Verlust war nicht abgedeckt, Defekte schon. Auch zum Teil selbstverursachte Defekte. Ich hatte teilweise den Eindruck, dass das Gespräch die Grenze des Legalen bereits verlassen hatte und Vorschläge zum Vorsatzin locker-flapsiger Art im Raum standen.

Am Ende des Tages frage ich mich schon, ob man so einem Deal eingehen kann. Am Ende kann ich – auch aus Mangel des Kleingedruckten – diese Frage nur verneinen. Und lieber eine zuverlässige Brille, die länger als 2 Jahre hält. Wenn nicht hier, dann woanders.

Bytheway: Den Text habe ich im August 2018 geschrieben, aber noch nicht veröffentlicht. Als ich diesen im Mai 2019 nun vervollständigte, entdeckte ich, dass es Brillen Joseph bereits aufgekauft wurde – und auf deren Nachfolgerseite keine Silbe mehr von Brillenversicherung steht. Offensichtlich traf ich doch einen wunden Punkt. Der Versicherungskonzept selber scheint weiter um sich zu greifen. Mit wurde es zwischenzeitlich auch für Fahrräder angeboten.