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Die Waldschlößchenbrücke

oder: Warum ist Demokratie eigentlich so schwer?

Ich bin Freund von der direkten Demokratie. Sie ist die einzige Form, den Willen des Volkes wirklich zu repräsentieren. Aus diesem Grund finde ich Bürgerentscheide eine willkommene Abwechslung zum öden und tristen Parteienknatsch.

Doch leider sind die Hürden, damit so ein Entscheid entsteht, sehr hoch. 15% der betroffenen Bevölkerung sind derzeit notwendig — in Bezug auf Dresden sind das knapp 60.000 Einwohner. Zur Landtagswahl stand in einigen Wahlprogrammen, daß sie die Anzahl der notwendigen Unterschriften für solche Bürgerentscheide reduzieren wollen. Nur leider nicht bei der wählerstärksten Partei.

Fraglich ist allerdings auch, warum Politiker, die die Interessen der Wähler vertreten soll(t)en, nicht von selbst auf die Idee kommen, die Bevölkerung zu fragen, wenn sie merken, daß die Meinung sehr gespalten ist. Das es das ist, ist sicher kein Geheimnis — und es ist auch kein Aufwand, diesen Unmut festzustellen. Das Kapitel Waldschlößchenbrücke geht schließlich schon einige Jahre. Stattdessen wird an Parteiideologien festgehalten: CDU/FDP pro — SPD/Grüne/PDS contra.

Aber nun ist es endlich so weit: der zweite Bürgerbescheid in Dresden findet am 27.02.2005 statt. Der erste Bürgerentscheid war übrigens am 5.11.1996 gewesen. Damals ging es um die stadtnahe oder stadtferne Autobahnvariante.

Die Stadt Dresden hat dazu ein Heftchen verteilt, daß beide Seiten gegenüberstellt. Zuerst einmal von den Befürwortern:

Die Waldschlößchenbrücke ist notwendig, sie ist seit 1859 an dieser Stelle vorgesehen und ist der längst Lückenschluss im innerstädtischen Verkehrsnetz

Anders ausgedrückt: wir sind 146 Jahre auch ohne ausgekommen.

Genau diese Fahrzeuge belegen jetzt die Königsbrücker Straße, biegen am Albertplatz links ab und fahren dann über Glacisstraße und Albertbrücke

Die Königsbrücker ist wahrhaftig eine Staufalle — zumindest südlich der Staufenbergallee. Vielleicht könnte auch ein Ausbau vor Ort helfen.

Mit der Waldschlößchenbrücke kann im Haverie-Fall der Albertbrücke und/oder des Blauen Wunders der Verkehr über die Elbe im Osten Dresdens aufrecht erhalten werden.

Albertbrücke vielleicht — aber Blaues Wunder keinesfalls! Über welche Umwege soll man dann nach Pillnitz / Niederpoyritz kommen? Alle über Schillerstraße? Das wird bestimmt lustig!

Das schönste Baurecht nützt nichts, wenn die Stadtratsmehrheit gegen den Bürgerwillen einfach den Geldhahn abdreht.

Wie kann man vor dem Bürgerentscheid schon wissen, was der Bürgerwille ist?

All die Gutachten, Planungen, ja sogar die begonnen Arbeiten zur Ertüchtigung angrenzender Verkehrszüge [..] sollen nun nichts mehr wert sein. Diese Verschwendung von Steuermitteln wäre unverantwortlich.

Hätten die Politiker 1996 sich den Bürgerwillen eingeholt, hätte es diese Verschwendung nie gegeben. Es ist doch lächerlich, erst auf Krampf Vorarbeiten zu leisten — um dann damit das Hauptprojekt zu begründen.

9 Mio Euro [Anmerkung: als Baukostenanteil für Dresden im Jahr 2006] wären mithin 1,52 % (!) aller Ausgaben, die Dresden in einem Jahr hat

Erst legt man sich die Zahlen schön — dann teilt man diese auf Jahre auf. Und zum Schluß macht man Prozentrechnung. Mit Zahlen herumexperimentieren ist toll. Ich finde, man sollte die Summen gleich auf den Tag herunterbrechen! 24.688 Euro je Tag ist doch kein Geld für einen Brückenbau! Sind ja nur reichlich 1000 Euro je Stunde.

Der Löwenanteil der Baukosten wird ohnehin nicht durch die Stadt Dresden getragen [..]

Genau! Fremdes Geld gibt sich immer leichter aus als eigenes!

Sorgen sie mit ihrer Stimme dafür [..], daß sie es Leid sind, von »Verkehrsexperten« vorgeschrieben zu bekommen, wie sie sich in ihrer Heimatstadt fortzubewegen haben.

Warum finde ich diesen Satz auf der Pro-Seite? Diese argumentieren viel mehr damit, wieviele Autos dann auf jeder Brücke wegfallen.

Dann gibt es noch eine Tabelle, wie die Verkehrsbelastung der einzelnen Elbbrücken im Jahre 2015 aussieht — mit und ohne der umstrittenen Brücke. Da drinne taucht die Brücke »Erfurter Straße« auf. Wo befindet sich eigentlich diese Brücke?

Und nun zu den Gegnern:

Die Waldschlößchenbrücke schafft eine Querverbindung zwischen A4 und der A17.

Die Stadtautobahn gibt es bereits: das ist die B170/E55. Ggf. auch weiter über B172. Warum sollte ich erst so einen großen Bogen fahren, um dann auf eher kleinen und schlechter ausgebauten Straßen den Südosten zu erreichen?

... mit Folgekosten ohne Ende!

Dazu äußert sich die Pro-Seite nicht.

Und nun Meine Gedanken: Ich bin kein Verkehrsexperte — dennoch habe ich bei dieser Brücke meine Bedenken! Jenseits von Baukosten, Folgekosten sowie die Bebauung der elbnahen Grünflächen frage ich mich nach der Erfolgsaussicht des ganzen Projektes.

Wenn ich den Zahlen glauben darf, befahren dann 45500 Autos diese Brücke. Auf der Stauffenbergallee kein Problem. Nur wie soll das auf der Fetcherstraße funktionieren? Mit der vierten großen Kreuzung (Kollwitzufer, Blasewitzer Straße, Fetcherplatz, Comeniusplatz) endet die Straße am großen Garten.

Angenommen es fahren dann wirklich 45500 Autos. Das wären im Schnitt 31,7 Autos je Minute. Stellen wir uns die Rush-Hour mit doppelt so vielen Fahrzeugen vor. Stellen wir uns nun vor, wie diese 60 Autos jede Minute innerhalb von vier Kreuzungen alle abbiegen müssen. Stellen wir und nun vor, wie die Mehrheit davon nach links abbiegen will!

Des weiteren kann man die ganzen Prognosen unter Ulk verbuchen. Wie kann es sein, daß die St. Petersburger Straße einen Zuwachs um 2500 Autos bekommt — und die anschließende Carolabrücke 7500 Elbüberquerungen weniger? Fahren nun 10.000 Autos vom Pirnaischen Platz bis zum Comeniusplatz, um da dann über die noble Brücke fahren zu können?

Auf der Webseite der Befürworter wird Stellung zu häufigen Fragen genommen:

Durch den Bau des Verkehrszuges Waldschlößchenbrücke kommt es insgesamt zu ca. 17.000 Elbquerungen mehr pro Tag als ohne den Verkehrszug. Das sind jedoch nicht alles wirklich neue Fahrten. So verändern sich durch den Bau des Verkehrszuges bestimmte Wegebziehungen, so dass Fahrten, die bisher nur auf einer Elbseite durchgeführt wurden nun über die Elbe erfolgen.

Das Märchen wird spätestens dann lächerlich, wenn man sich einen Stadtplan einmal zur Hand nimmt. Ein Autofahrer kommt von Bühlau, fährt über die Brücke nach Johannstadt, um wieder über die Albertbrücke in die Neustadt zu kommen. Oder wie muß ich mir das vorstellen?

Was mich am Bürgerentscheid stört: es geht nicht um die Frage, ob man eine Brücke baut oder nicht — sondern ob man eine Brücke mit dem Tunnel und dem ganzen Zubehör baut — und zwar in dieser Dimension. Und die passende Antwort dafür sollte lauten: NEIN. Alternativen gerne!

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Bisherige Kommentare (6)

Kommentar von Dirk

zu deinen Fragen: Die 45500 Autos fallen nicht vom Himmel, das sind die Fahrzeuge, die innerhalb der Stadt keine anderweitigen Umwege (wie bisher) fahren müssen, um von A nach B zu kommen.

Andererseits, stell Dir die Verkehrszunahme vor, ohne der neuen Brücke. Was meinst Du in welchem Berufsverkehrsstau sich die alle anstellen werden?

»Wie kann es sein, daß die St. Petersburger Straße einen Zuwachs um 2500 Autos bekommt – und die anschließende Carolabrücke 7500 Elbüberquerungen weniger? Fahren nun 10.000 Autos vom Pirnaischen Platz bis zum Comeniusplatz, um da dann über die noble Brücke fahren zu können?«

Vermutlich weil die Masse der Fahrzeuge aus den südlichen Stadtvierteln gar nich unbedingt zur verstopften Königsbrücker und Bautzner will, sondern ein Fernziel (vielleicht am Stadtrand) hat, was sie möglichst schnell erreichen wollen.

Das Blaue Wunder ist nicht nur Elbquerung für die Bewohner der Pillnitzer Landstraße. Schonmal die täglichen Massen von Pendlern auf der B6 gesehen? Jetzt stell Dir vor, das Blaue Wunder hält auch nicht ewig (und schon gar nicht zukünftigen Verkehrsbelastungen stand). Wie soll die Albertbrücke hier Entlastung schaffen? Sie liegt mitten in der Stadt. Alle Pendler von und zur B6 müssten quer durch den Innenstadtkern — genau wie alle anderen.

Es ist sicherlich nicht einfach, sich durch die Argumente und Gegenargumente zu arbeiten. Verkehrsprognosen sind kein Ulk aber sie sind für eine Großstadt sehr komplex und daher nicht immer leicht zu verstehen. Sie erfassen alle Verkehrsströme, die in die Stadt führen und deren Wege hindurch. Und ein Großteil der Autos in der Stadt will nicht nur vom Schiller- zum Körnerplatz oder vom Pirnaischen zum Albertplatz.

Nur ein paar Gedanken von mir. Beste Grüße.

Kommentar von René

Andererseits, stell Dir die Verkehrszunahme vor, ohne der neuen Brücke. Was meinst Du in welchem Berufsverkehrsstau sich die alle anstellen werden?

das klassische Grundregel: wer Straßen säht, wird Verkehr ernten. Sprich: ohne eine Brücke in dieser Dimension würde der Verkehr auch nicht zunehmen. Wir sehen ja in der Prognose, daß es — unabhängig von der sonstigen Entwicklung — 17500 mehr Fahrzeuge täglich die Elbseiten wechseln.

Für die Anwohner im Süden wird wohl WSB nichts bringen. Der Osten hätte schon eher was. Klar, eine Entlastung ist da — das bestreite ich gar nicht. Ich finde es nur mystisch, wie aufgrund einer Brücke auf einer durchgehenden Straße plötzlich 10.000 Autos / Tag verschwinden können.

Kommentar von Marika

Ich habe gehört, dass das blaue Wunder nicht mehr lange mitmachen wird. Für diese Brücke bräuchte man dann einen Ersatz.
Allerdings erscheinen mir die Baukosten von 156Mio Eur doch ziemlich happig.
Man sollte versuchen ne preisgünstigere Lösung zu finden.
Mein Fazit also: notwendig wird sie werden, spätestens wenn das Blaue Wunder total ramponiert ist, aber nicht zu solchen Preisen. Lieber da etwas Geld einsparen und noch die Königsbrücker 4spurig + 2 Straba-Spuren ausbauen.

Kommentar von Dirk

klassische Grundregel: wer Straßen säht, wird Verkehr ernten.

Eben dies halte ich für gefährlichen Populismus. Klar, keine Straßen — kein Verkehr. Aber gewinne ich etwas mit dieser Denkweise? Kann sich eine wachsende Großstadt  soeine Denkweise leisten?

Falls ja, warum wurden dann viele Straßen, seit der Wende nicht einfach nur erneuert sondern auch gleich verbreitert, Kreuzungen ausgebaut? Die Flügelwegbrücke wäre 4-streifig sicherlich um einiges billiger gewesen und vor der Wende hat's doch auch gereicht. Die Stadt muss sich der heutigen und vor allem zukünftigen Verkehrssituation stellen. Es kann niemand ernsthaft glaubhaft machen, dass der Verkehr seit den 90er Jahren nicht angestiegen ist!

Auch das Thema »hohe« Baukosten sollte man zumindest hinterfragen ehe man pauschal schimpft. Die Brücke selbst kostet 37 Mio EUR (kaum mehr als Pirna oder Meißen). Auch die Brücken in Pirna und Meißen wären ohne Straßenanschlüsse nicht nutzbar, nur rechnet diese Kosten beim Vergleich niemand mit — und nur wenige Dresdner scheinen das zu wissen. Oder gab's die S177 in Pirna als Geschenk zur Brücke dazu? Auch das Argument »Ja, aber nicht an dieser Stelle und dafür billiger!« greift nicht wirklich. Wo wird die neue Brücke denn gebraucht? Stromaufwärts der Albertbrücke. Der Elbhang erstreckt sich aber über Kilometer und erzwingt nicht nur am Waldschlösschen eine entsprechend aufwendige Anbindung an die B6. Ich vermute eher, die Kosten liegen im vertretbaren Rahmen denn wie soll man sonst begründen, dass der Freistaat das Projekt fördert. Offensichtliche Geldverheizung im zweistelligen Millionenbereich kann sich auch keine noch so große Bürokratie leisten. Im Umkehrschluss müsste man auch diesen Fachleuten jegliches Feingefühl und die Kompetenz absprechen.

Der Verkehrszug ist wichtig. Und in seinem Umfeld die Brücke. Nicht: Wir bauen hier einfach so eine Brücke und damit das Sinn ergibt, bauen wir für teures Geld noch ein paar Straßen drumherum.

In Relation: Der Dresdner Hauptbahnhof wird derzeit für eine Gesamtsumme von ca. 600 Mio. EUR ausgebaut (Flut-unabhängig) und hat nachher nicht etwa mehr Gleise als jetzt.

Egal wie es kommt. Durch den Bürgerentscheid sind die Leute hoffentlich angeregt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich zu informieren. Und vor allen Dingen, teilzunehmen. Und damit hat das Thema dann auch endlich ein Ende.

Kommentar von René

Bis jetzt konnte mir aber noch keiner erklären, wo so richtig der ganze Verkehr auf Altstädterseite hin soll.

So eine richtig große Straße Richtung Osten gibt es da eigentlich nicht mehr ... verglichen mit der Carola/Albertbrücke und der Anschluß an die B172.

Ich hoffe jedensfalls auch auf eine hohe Teilnahme.

Kommentar von Sebastian

Ich bin zwar kein Dresdner, sondern Freiberger, habe die Diskussion dennoch mit großem Interesse verfolgt. Am Sonntag ist es nun soweit! Bin gespannt, wer mit seinen Argumenten die meisten Dresnder überzeugen konnte!!!

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