Bremsende Patente den Impfstoff?
Die dramatische Meldung dieser Tage: Es gibt einen Impfstoff gegen Covid19 – aber viel zu wenig Dosen. Viele Impfzentren laufen trocken und vergeben kaum noch Termine. Die Tagesschau stellt die Frage Bremsen Patente die Impfstoffproduktion?. Die zentrale These daraus:
Experten und Regierungen fordern deshalb, Patente auszusetzen. Doch die Pharmaindustrie wehrt sich.
Diese Fragestellung stellte ich mir auch. Neben der eigentlichen Frage stellte ich dabei auch das Programm der Piratenpartei auf den Prüfstand. Denn diese Forderung ist, selbstkritisch, unzureichend:
Wir fordern, dass das Patentsystem reformiert oder durch sinnvollere Regelungen ersetzt wird. Keinesfalls darf es durch innovationsfeindliche Regelungen ergänzt werden.
Es wurde teilweise auch über Enteignungen diskutiert. Ich versuche hier meine Sicht der Dinge darzustellen:
1. Die Idee hinter Patenten ist, dass ein Erfinder seine Idee “veröffentlicht” – und im Gegenzug eine zeitlich befristete Exklusivität (in der Regel 20 Jahre) an der Nutzung dieser Idee erhält. Nach Ablauf dieser Schutzfrist ist diese Idee frei für alle. Deshalb kann heute jeder – aus patentrechtlicher Sicht – Aspirin herstellen – und ist eben kein Geschäftsgeheimnis mehr. Und an diesem Grundsatz sehe ich wenig Bedarf zu rütteln.
2. Das exklusive Nutzungsrecht muss nicht in jedem Fall von Vorteil des Erfinders sein. Ein deutscher Elektrotechnik-Hersteller wurde für seine Klemmen erst nach Ablauf der Patente bekannter, weil plötzlich alle es nachbauen konnten.
3. Patente sind natürlich eine Form des geistigen Eigentums – und unterliegen daher auch dem Grundgesetz-Artikel 14 (“Eigentum verpflichtet”). Die ebenso da erwähnte Enteignung sehe ich nur als Ultima Ratio – und dafür wären dann Entschädigungsleistungen zu zahlen.
4. Viel entscheidender ist hier allerdings die staatliche Förderung der Forschung bzw. des Patentes. BioNTech selbst schreibt von bis zu 375 Mio Euro Förderung. Ich weiß nicht, was die Firma selbst investierte, aber der Jahresumsatz 2019 lag laut Wikipedia bei 121,5 Mio Euro. Allerdings ist Pfitzer ebenso beteiligt und bedeutend größer.
Wenn der Staat also in nicht unerheblichen Anteil eine Erfindung mitfinanziert, so sollte das Ergebnis entweder gemeinfrei werden – oder zumindest Nutzungsrechte am Patent erhalten. Die zweite Option ist vor allem im Kontext anderer Länder wichtig. In einer Debatte schlug auch jemand die Adaption der OpenSource-Idee auf Patent, was sicherlich auch einen gewissen Charme hat – nur deren rechtliche Tragweite ich nicht abschätzen kann1.
Wir müssen uns vor Augen halten: wir finanzieren erst als Staat diese Erfindung mit – und bezahlen dann auch noch für viel Geld diese Dosen. Und dann bekommt es der Hersteller nicht geregelt, pünktlich zu liefern – und selbst bei pünktlicher Lieferung der Bestellung ist der Umfang noch zu gering. Und dabei will ich den Hersteller jetzt gar nicht verurteilen. Die haben vorher Krebspräparate hergestellt und sind Massengeschäft nicht gewohnt.
Dieses Risiko nennt Single Point Of Failure, die eine Stelle deren Scheitern immense Folgen hat. Und bei der wir alle nur schauen und hoffen können, dass alles gut geht und die eine Firma es gestemmt bekommt. Dieses Problem könnte mit dem Aussetzen der Patente gelöst werden, es hätte aber auch schon gereicht, wenn der Staat sich durch die Förderung ein Nutzungsrecht gesichert hätte. Und dann braucht man zum Wohle der Gesellschaft nicht Aussetzen oder Enteignen.
1 Die OpenSource-Idee könnte bei Patenten wohl dazu führen, dass darauf aufbauende Patente ebenso OpenSource wären, woraufhin diese Forschung dann ausbleiben würde – zumindest bis zum Auslaufen der Patente.