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Corona-Explosion in Greiz

Heute geht es um den Landkreis Greiz in Thüringen. Der Landkreis und die dortige Landrätin Schweinsburg waren am Ende der ersten Welle Mai 2020 in den Medien, als dort Hotspots aufköchelten und die Landrätin schon eifrig herumeierte. Die zweite Welle überstand der Kreis der Statistik nach zumindest so, dass er weder positiv noch negativ herausragte – da führten ja einige Landkreise in Sachsen wochenlang die traurigen Corona-Charts. Nun schoss dieser Kreis aus dem Nichts auf Platz 1 dieser Liste: mit aktuell 555 Inzidenzen je 100.000 Menschen in den letzten 7 Tagen.

Die Landrätin gab dazu eine Pressekonferenz – und stellte in knapp 9 Minuten ihre Sichtweise dar:

Mit einigen erschreckenden Statements und Annahmen. Mich macht das gesamte Video in gewisser Weise fassungslos – vermutlich war die gute Frau auch nur ein Dreiviertel Jahr im Dornröschenschlaf, wer weiß? Nur um das Ergebnis schon mal mal vorweg zu verraten: Wer konkret Konsequenzen erwartet, wird leider enttäuscht werden. Dazu geht sie absolut nicht ein.

Bei ca. 0:50 sagt sie:

Bis vor ca. 14 Tagen / 3 Wochen hatten wir die geringste Inzidenz im ostthüringer Raum. Schlicht und einfach: wir wissen nicht warum. Vielleicht, weil wir vorheriges Jahr schon mal sehr hohe Inzidenzen hatten [..] aber vielleicht haben wir aus dieser Zeit noch eine gute immunologische Grundlage in der Bevölkerung.

Es mag ehrlich sein, dass sie es nicht weiß, ok. Und sie räumte selber auch ein, dass viele keine Ahnung haben, woher sie sich infizieren. Nur ihre Vermutung, es könne irgendeinen Zusammenhang mit der Greizer Peak vom Mai 2020 geben, ist dann schon absurd. Nicht nur, dass die Inzidenz damals bei knapp 80 lag und zu Weihnachten bei 325. Die “immunologischen Grundlage” mag vielleicht nicht bierernst gemeint gewesen sein, trotzdem ist dieser Punkt völliger Quatsch. Zum einen weil der Kreis Greiz mit bisher knapp 5000 Fällen insgesamt nur ca. 5% der Bevölkerung zumindest nachweisbar betroffen war (und Herdenimmunität erst deutlich über 50% eintritt), zum anderen weil immer wieder Fälle gemeldet werden, wo Leute bereits ein zweites Mal die Tortur durchmachen mussten und dank der schönen Mutanten auch eine vielleicht tatsächlich eintretende Immunität kein Indiz für die Dauer ist.

Uns ist aufgefallen vor ca. 4 Wochen, 5 Wochen, dass es besondere Häufungen an pädagogischen Personal, an Erziehern und Lehrern im Kindergartenbereich und im (Grund-)Schulbereich, gab. Und haben dann gesagt, wir müssen jetzt anfangen, jetzt auch mal dort zu testen, auch wenn das RKI sagt, dass Kinder, Kleinkinder vor allen, weder infiziert werden können, noch erkranken, noch Übertrager sein können.

Vor drei Wochen wussten sie noch nicht warum, aber vor vier Wochen hatten sie schon eine Vermutung. Und dann das Märchen mit Kindergarten- und Schulkindern. Wie lange müssen Virologen denn eigentlich noch verklickern, dass es keinerlei Anhaltspunkte für die These gibt, dass Kinder sich nicht infizieren bzw. das Virus übertragen können?

Bei 03:30 formulierte sie es noch krasser:

Bis jetzt galt es nach den offiziellen Richtlinien, dass Kinder und Jugendliche nicht infiziert werden können, dass sie nicht als Überträger dastehen können.

Hach wie blöd, dass das Virus sich nicht an die Richtlinien hält. Wenn es doch nur deutsche Bürokraten-Mutante gäbe – mit 9-5-Job, dann könnte man wenigstens abends ungestört feiern. Dieses Mantra muss langsam mal aus den Köpfen raus – doch allein in diesen 9 Minuten hörte ich dieses Argument insgesamt vier Mal.

Nun muss ich fairerweise sagen, dass das RKI hier auch eine konkretere Sprache sprechen könnte. Mit Stand 19.03. finde ich bspw. noch immer einen solchen Satz auf der Homepage:

Die Infektiosität im Kindesalter wurde bisher selten untersucht und kann daher nicht abschließend bewertet werden (220-222). Insgesamt scheinen Kinder weniger infektiös zu sein als Erwachsene.

Weniger ist nicht Null zum Einen. Zum anderen sind gerade die Kinder in Schulen und Kindergärten den ganzen Tag beieinander und auch einer viel intensiveren Virenbelastung ausgesetzt. Zudem in geschlossenen Räumen. Und auch das Öffnen von Fenstern und anderer Alibi-Maßnahmen zeigte uns im Herbst schon recht eindeutig den Anstieg der Zahlen. Auch in Greiz.

Manche Regelungen befördern zugegebenermaßen noch diese Annahme. Ich verstehe bis heute die Politik nicht, warum die Maskenpflicht erst ab 6 Jahren gilt. Und ich verstehe nicht, wie manche Eltern dann noch freudestrahlend ihre Kinder ohne Masken in den Konsumtempeln herumrennen lassen.

Aber zurück zu dieser Pressekonferenz:

In einer Kindergartengruppe zwischen 4 und 6 Jahren wurden alle 17 Kinder positiv getestet, ohne auch nur annähernd symptomatisch zu sein. [..] Wir haben von den Kindern die Eltern mit getestet. Und haben in anderen Einrichtungen, wo Lehrer oder Erzieher positiv waren, die dazugehörigen Gruppen auch mit getestet – und haben dort eine ziemlich hohe Trefferquote gehabt. [..] Wir haben vom Landratsamt [also ohne Arztpraxen etc] 935 Abstriche von Kontaktpersonen von positiv Getesteten gemacht, davon waren 306 positiv, also über 1/3. Die Trefferquote ist sonst 1/10. [..] Von diesen 306 positiven sind 151 Personen unter 18 Jahren gewesen, also die Hälfte. Plus 41 Lehrer und Erzieher. Macht zusammen 192 von 306 positiven. [..] Und dadurch, dass wir jetzt ganz gezielt in diese Alters-/Berufsgruppen hineingehen und testen, haben wir natürlich auch eine hohe Trefferquote.

Nun macht der Landkreis also endlich seine Hausaufgaben. Und welch Wunder: sie stochern in einem Wespennest. Aber anstelle diese Funde für sich Sacken zu lassen – oder gar einen Appell an die anderen Landkreise zu richten, wird im nächsten Schritt der Inzidenz-Wert als solcher in Frage gestellt:

Für mich ist das ein Zeichen, dass Inzidenz häufig ein Zufallsprodukt ist. Wo teste ich? Welche Trefferquote habe ich? Und dass man die Inzidenz [..] allein als Maßstab nicht heranziehen kann.

Ja, man kann diesen Wert nicht alleine heranziehen. Die einzige Gewissheit, die er gibt: die Realität kann nicht niedriger ausfallen. Aber es gibt eine Dunkelziffer. Man hätte jetzt auch andere Parameter ermitteln und präsentieren können – aber vermutlich hatte dies nur einen Grund: um möglichst keine Konsequenzen ziehen zu müssen. Denn ich höre nichts dazu, was sich nun für Schulen und Kindergärten ändern soll. Stattdessen erfolgt ein Schwenk zu den Krankenhäusern:

Wir haben in der normalen COVID-Station, in der Intensiv-Station und auch bei den Beatmungskapazitäten noch genug Kapazitäten, um jeder Zeit Patienten aufnehmen zu können. Da ist nichts am Limit. Da hat sich nichts verändert.

Und das ist der Moment, wo ich schreien möchte. Zum einen hatten einige Landkreise schon Kapazitätsengpässe gehabt – und wir müssen Krankenhäuser auch nicht ans Limit fahren
Zum anderen sind ja nun überwiegend symptomlose Infizierte ermittelt worden. Sprich: Personen, die derzeit keine medizinische Unterstützung brauchen, werden sie vermutlich auch nach deren positiven Befund nicht brauchen. Aber auch jene Personen bergen das Risiko, dies wieder zu übertragen – eine Erkenntnis, die man in Greiz ja nun gemacht hatte. Mal vollkommen losgelöst von LongCovid-Folgen.

Und während diese Zeilen entstehen, nimmt auch der benachbarte Vogtlandkreis gerade so richtig wieder Fahrt auf – und reiht sich auf Platz 2.

(Ich habe versucht, aus ihren Worten vollständige Sätze zum besseren Verständnis zu bilden. Sie hat eine Vorliebe für verschachtelte Sätze mit vielen erklärenden Einschüben)

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