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Essen-Retten-Gesetz

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat im letzten Jahr eine Studie veröffentlicht – mit der Erkenntnis, dass jährlich 12 Mio Tonnen Lebensmittel im Müll landen. Das ist erst einmal eine recht hohe Hausnummer. Bei 80 Mio Menschen wären das je Nase und Jahr 150 Kilogramm. Dieser Tage mehren sich Protestaktionen, die auf dieses Thema aufmerksam machen, allen voran die Initiative “Aufstand der Letzten Generation” – mit der konkreten Forderung nach einem sogenannten “Essen-Retten-Gesetz”.

Über die Aktionen selbst bin ich gespalten – und habe Zweifel, dass das Mittel der Protestform, das permanente Besetzen von Autobahnausfahrten, in irgendeiner Weise zum Erfolg und zum Umdenken führt. Aber das klammere ich hier aus: es geht um eine Gesetzesidee.

Die BMEL-Studie

Was insbesondere durch Aktivisten häufig falsch vermittelt wird: diese 12 Mio Tonnen gehen nicht alleine auf die Lebensmittelhändler zurück. In dieser Größenordnung würde ja auch erheblich die Gewinnmarge geschmälert sein, weil diejenigen Händler, die ihre Warenumläufe besser in den Griff bekommen, dann weitaus günstiger anbieten bzw. Gewinn einstreichen könnten. Wir leben ja schließlich im Kapitalismus.

Deshalb werfe ich zunächst einen Blick in diese Studie:

  • Mehr als die Hälfte der Lebensmittel geht auf private Haushalte zurück (also je Nase 75kg. Jeden Tag 200gr. Und da ist der sogenannte “Außer-Haus-Verzehr”, also was man im Restaurant zurück gibt, noch gar nicht enthalten)
  • Der Handel insgesamt macht nur 4% aus, also ca. 0,5 Mio Tonnen. Der Einzelhandel ist da nur ein Teil davon.
  • Im Rahmen der Lebensmittelverarbeitung gibt es auch unverwertbare Teile (wie Schalen oder Knochen)

Die Studie selbst unterscheidet zwischen vermeidbaren und nicht vermeidbaren Abfällen. Knapp die Hälfte wird als vermeidbar eingestuft.

Das zur Debatte stehende Gesetz regelt also nur einen kleinen Teil dieser gesamten Problematik. Das soll aber kein Grund gegen das Gesetz sein, im Gegenteil. Aber man sollte die Wirkung eines möglichen Gesetzes auch realistisch einordnen. Und auch zum Anfassen der eigenen Nase bzw. Selbstreflexion.

Das Essen-Retten-Gesetz

Kommen wir zum Gesetzentwurf der Initiative. Vorbild ist ein französisches Gesetz, wo das schon seit 2016 praktiziert wird. Dieser Entwurf soll das Kreislaufwirtschaftsgesetz dahingehend verändern, dass Lebensmittelhändler ab 400qm Verkaufsfläche verpflichtet werden, mit einem sogenannten Nahrungsmittelhilfsverein eine Kooperation abzuschließen.

Lebensmittelhändler mit einer Verkaufsfläche ab 400 m² sind dazu verpflichtet, die insbesondere unter Anhang II dieses Gesetzes fallenden, noch genußtauglichen Lebensmittel im Sinne von Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 einem Nahrungsmittelhilfsverein oder einer ähnlichen Einrichtung unentgeltlich zu überlassen.

Dabei soll alles, was bestimmten Kriterien noch entspricht, aber nicht für den Verkauf vorgesehen ist, entsprechend gespendet werden. Ordnungswidrigkeit bis 20.000 Euro Geldbuße, wer unverkaufte Lebensmittel für den Spendenbetrieb untauglich macht bzw. vorsätzlich und fahrlässig gegen die Spendenpflicht verstößt.

Soweit in Kürze der Gesetzentwurf zusammengefasst. Im Vorwort werden noch weitere Maßnahmen erörtert. Als Anlage gibt es eine Mustervereinbarung zwischen Lebensmittelhändler und dem Verein.

Meine Gedanken und Impulse

Warum zwingend Vereine?

Deutschland regelt scheinbar alles über Vereine. Aber genau diese Notwendigkeit erschließt sich mir nicht. Das edle Ziel ist, dass solche Lebensmittel noch in irgendeinen hungrigen Magen führen. Mir würde es also reichen, wenn der Händler selbst – nachdem die Waren schon nicht im Krabbeltischen zum halben Preis weggingen – diese in einer Kiste am (wettergeschützten) Hintereingang bereitstellt wird. Oder das Personal sich fleißig bedient. Oder der Händler selbst diese Waren zu einem Fair-Teiler und in die nächste Obdachlosenunterkunft bringt. Das Problem ist dann allenfalls ein fehlender Beleg bzw. Nachweis.

Im Gesetz taucht der Begriff “Lebensmittelhilfsverein oder einer ähnlichen Einrichtung” auf, der nicht juristisch definiert ist bzw. wird. Bei den Begriffsbestimmungen wird Lebensmittelhilfsorganisation definiert. Hier wird herausgestellt, dass es lediglich eine Gesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht ist.

Steuerliche Absetzbarkeit

Im Vorkommentar zum Gesetz ist zu entnehmen, dass in Frankreich 60% des Einkaufspreises von der Steuer absetzbar seien. Nun kenne ich mich im französischen Steuerrecht nicht aus, aber in Deutschland wird jeder Beschaffungsvorgang von der Steuer abgesetzt. Es müsste also dann explizit ausgeschlossen werden. Das wäre aber eine weiterführende Debatte, die wohl viele Fragen noch aufwerfen dürfte.

MHD und Haftung

Ein zentrales Problem ist heute, dass Lebensmittel über das Haltbarkeitsdatum nicht mehr verkauft werden dürfen. Es gibt viele Produktkategorien, die auch Jahre nach diesem Datum noch sorgenfrei genießbar sind. Alles, was irgendwie trocken ist oder in Konservendosen verschlossen wird. Manches schmeckt dann vielleicht nicht mehr so gut. Für viele Kategorien könnten wir das Datum als Empfehlung ansehen – die wirklich kritischen Lebensmittel haben ein “Zu-Verbrauchen-Bis”-Datum (was auch wirklich ernst genommen werden sollte – und dem trägt auch der Entwurf mittels einer 48h-Regelung Rechnung).

Kleine Anekdote: Ich fragte erst kürzlich in einer Kaufhalle nach bereits abgelaufenen Delikatessen, ob ich diese zum rabattierten Preis erhalten könne. Mir wurde es förmlich aus der Hand gerissen, dass es aufgrund der Produkthaftung entsorgt werden muss. Schade. Das nächste Mal werde ich meinen Rucksack hinhalten: “Betrachten sie es als Mülleimer. Ich spare Ihne Entsorgungskosten!”

Eine Frage steht dabei im Raum: reformieren wir die Haftung oder das Mindesthaltbarkeitsdatum? Vermutlich ist das auch keine ganze einfache Frage – und ich tendiere zur Haftung: Wer Waren unentgeltlich zur Verfügung steht, sollte von jeglicher Produkthaftung befreit sein (Vorsätzliche Falschlabelung mal ausgenommen). Im Gegenzug muss diese Ware ja auch nicht angenommen werden – und diese sogenannten Lebensmittelhilfsvereine wissen ja auch, was sie tun.

Kritischer als das Mindesthaltbarkeitsdatum sind meldepflichtige Allergene: Fehlt das Etikett mit einem solchen Hinweis, so darf die Ware auch nach diesem Gesetzentwurf nicht abgegeben werden. Das ist schade und nicht nachvollziehbar: Jeder Mensch kennt seine Inkompatibilitäten (oder sollte es). Und wenn ich welche habe, dann kann ich im Zweifel ein Produkt ohne Etikett nicht annehmen. Dann freut sich halt jemand anderes, der keine Unverträglichkeiten hat.

Warum nur auf Händler beschränken?

All diese Regelungen müssen nicht auf Lebensmittelhändler beschränkt sein, sie könnten auch für Bauernhöfe, verarbeitende Unternehmen und Zwischenhändler gelten. Es wird nicht ersichtlich, warum sich das Gesetz nur auf diese Bereiche beschränkt.

Organisatorische Fragen

Der Gesetzentwurf wirft bei mir noch einige organisatorische Fragen auf:

  • Was passiert mit einem Händler, der keinen solchen Verein findet? Ich denke da an Provinznester. Daher sollte der Entwurf auch Alternativen zulassen.
  • Was passiert, wenn der Lebensmittelverein unzuverlässig ist? Als Händler will ich die unverkäufliche Ware auch nicht ewig an der Lagerpforte stehen haben. Bei Waren mit Verbrauchsdatum nennt das Gesetz 48 Stunden Vorlauf – da muss die Organisation auch entsprechend schnell agieren. In der Mustervereinbarung gibt es da keine Formulierungsvorschlag – den sollten die Akteure aber treffen.
  • Darf der Hilfeverein mit dem Händler in einem Verhältnis stehen? (Z.B. gründet der Händler seine eigene Lebensmittelhilfsstiftung und spendet dieser)

Entkriminalisieren von Containern

Die Initiative hat die Entkriminalisierung des sogenannten Containern (also das Entnehmen von verwertbaren Lebensmitteln aus Mülltonnen von Kaufhallen) außen vor gelassen. Sie merken an, dass mit den Gesetzesänderungen dies nicht mehr nötig sei. Ich verstehe ihr Ansinnen, folge dieser Argumentation nur teilweise. Zum einen wäre das Containern eine mögliche Kontrollinstanz, zum anderen würde ja mit diesem Entwurf Lebensmittel ohne Etikett (wegen Allergene) im Müll landen. Ich würde diese Fragestellung aber auch zunächst ausklammern, nicht zuletzt da hier mehr politische Brisanz steckt.

Fazit

Auch wenn ich hier und da noch etwas Ausbesserungsbedarf sehe (Hey, es ist nur ein Entwurf einer Initiative), so ist der Gesetzentwurf ein guter Aufschlag – und sollte im Bundestag in die Debatte gehen.

Anmerkung Ich kaufte reduzierte Lebensmittel mit einem -50% Aufkleber. Die Kassieren war verstutzt und meinte, der Aufkleber sei falsch. Es dürfte maximal um 30% reduziert werden. Woher diese Vorgabe stamme, habe ich nicht verstanden und auch nicht finden können.

Anmerkung 2: Bisher mussten Rabatte für ablaufende Lebensmittel mit End- und Grundpreis ausgewiesen werden. Ab Mai 2022 entfällt diese Pflicht – dann reicht ein Auskleber mit “-30%” aus. In der Praxis ändert sich praktisch nichts, denn es wurde bereits gelebt. Ich wusste bis eben nicht, dass diese Form bisher eigentlich unzulässig ist.

Anmerkung 3: Ich betrachte das Thema nur aus Sicht der Vermeidung von Müll und der Verwertung der Lebensmittel, nicht aus sozialen Aspekten.

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