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Politik im Wandel der Zeit: Doppelmitgliedschaften

Ausgangspunkt: Über Doppelmitgliedschaften – oder: Wozu gibt’s Parteien?

Ausgangspunkt waren zwei Mitglieder der Grünen, die ohne Parteiaustritt Mitglied der Piraten geworden sind. Das geschah zwar vor einigen Monaten, die Brisanz des Themas ist aber nach wie vor da.

Die Diskussion um das Für und Wider dieser Doppelmitgliedschaften macht vor allem eins deutlich: die Kluft zwischen einer bereits etablierten Politiklandschaft, die vor einer Reform steht, deren Ende heute noch keiner absehen kann!

Nehmen wir die klassische Welt. Sie war gekennzeichnet von

  1. Parteien mit einem vollumfänglichen Profil (liberal, ewiggestrig, sozial, grün, Hauptsache dagegen ...), aus dem sich ein komplettes Parteiprogramm ableiten läßt.
  2. Wahlen, bei denen jeder Bürger dann genau ein Kreuz machen darf (ich lasse die Direktkandidaten mal weg)
  3. Regierungen, die von einer oder mehrere Parteien gewählt worden, die sich damit gleichzeitig einen Fraktions- und Koalitionszwang unterwarfen.

Und jetzt wird diese Weltordnung verändert.

Ein erstes Indiz gab es dazu aus Hamburg: mit der Reform des Wahlrechts darf jeder Bürger nicht nur ein Kreuz machen, sondern fünf. Und er darf die Kreuze wahlweise den Parteien zuordnen oder auch einzelnen Mitgliedern dieser Liste. Die fünf Stimmen können auch an fünf verschiedene Parteien (bzw. deren Mitgliedern) gehen. Der Bürger hat somit nicht nur Einfluss, wieviele Sitze eine Partei am Ende belegt, sondern auch welche Personen daraus gewählt werden. Anstelle eines Wahlscheines gibt es nun Wahlhefte. Und durch das (zumindest deutschlandweite) Novum waren bei der ersten Wahl viele überfordert gewesen, ihre insgesamt 20 Stimmen in Hamburg zu verteilen. Zudem müssen sich die Bürger daran gewöhnen, künftig nicht mehr auf jeden Populisten hereinzufallen. Das sind Anfangsschmerzen. Die Zeichen sind aber deutlich.

Die Piraten sind nun gefühlt die ersten, die nun dieses »Rund-rum-Sorglos-Paket« nicht mehr anbieten — und damit Erfolg haben. Und da man eben nicht zu jedem Thema etwas sagen kann, ist es auch überhaupt nicht kritisch, wenn jemand nebenbei noch bei einer anderen Partei Mitglied ist. »Mut zur Lücke«, sagen die einen, ich sage viel eher: »Wenn eine Partei ein Thema nicht behandelt, dann hat sie mit dem Status Quo auch kein Problem. Sonst würde sie ja das Thema angehen.«. Neben den Piraten erlaubt die Doppelmitgliedschaft bisher m.E. nur die PARTEI.

Wenn nun mehr Parteien in den Bundestag drängen (die Freien Wählen wollen auch), so wird es künftig nahezu unmöglich, Regierungskoalitionen aus nur zwei Mitgliedern zu stellen. Das birgt die Gefahr Weimarer (oder zuletzt Belgischer) Verhältnisse — aber nur in der klassischen Welt.

In der neuen Welt können mehrere Parteien, die unterschiedliche Schwerpunktthemen haben, sehr wohl miteinander koalieren. Die Piraten in Schweden hatten eine einfache Formel: koaliere stets mit dem, der am weitesten deine eigenen Ziele mitträgt. In Deutschland hat sich bei den Piraten ein anderer Begriff etabliert: Themenbündnisse. Warum nicht die Bündnisfrage für jedes Thema neu auswürfeln? Ist es überhaupt noch zeitgemäß, wenn am Anfang einer Legislaturperiode ein Vier- bzw. Fünf-Jahres-Plan ausgehandelt wird? Die aktuelle Regierung zeigte schon sehr eindrucksvoll, wie man auch trotz dieser festgesetzten Pläne Kehrtwenden einlegen kann.

Wohin diese Reise am Ende noch gehen wird, lässt sich schwer absehen. Aber die Tatsache, dass es Menschen gibt, die neben den Piraten Mitglied der Grünen sind, zeugt davon, dass sich Menschen eben mit den Kernen beider Parteien identifizieren können.

Bisherige Kommentare (2)

Kommentar von Das Trio

Themenbündnis. Warum nicht die Bündnisfrage für jedes Thema neu auswürfeln? Ist es überhaupt noch zeitgemäß, wenn am Anfang einer Legislaturperiode der Vier/Fünf-Jahres-Plan ausgehandelt wird?

Richtig! Nichts ist unsinniger als als dieses immer dafür oder dagegen sein, nur weil man in der Opposition oder Regierungskoalition ist, verstärkt noch durch den Fraktionszwang, der den einzelnen Abgeordneten auferlegt wird.

Kommentar von Nini

<2 cent> Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass Koalitionen mit vielen Partnern besser funktionieren würden, als bisher. Das ist mir alles zu idealistisch. ;-)

Je mehr Interessengruppen du zusammenfügst, umso schwieriger wird es, eine gemeinsame Position auszuhandeln. Das kann man doch schon im normalen Miteinander beobachten.

Es wird sich doch niemand zurückhalten, nur weil er keine Meinung hat. Macht und Gestaltungsspielraum verführen. </2 cent>

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