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Aiwanger und das Flugblatt

Zugegeben: wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich häufiger bloggen. So bleibt in der Regel nur die Spitze des Eisberges über. Und die ist dieser Tage die bayrische Ulknudel Aiwanger.

Als er vor zwei Jahren mit seiner Biergarten-Kumpel-Rede auf sich aufmerksam machte, wirkte er wie ein Shooting-Star am bayrischen Kabarett-Himmel in den Fußstapfen von Stoiber:

Auch das Duett mit Gerlach zu Faxen und Online-Zugangs-Gesetz wäre weniger lustig, wenn das nur ein Sketch der Heute-Show gewesen wäre:

Zuletzt fiel er allerdings nur noch durch verwirrte Sätze auf:

Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss

Ein Minister leugnet die demokratischen Prozesse und nimmt sich heraus, für eine wie auch immer geartete schweigende Mehrheit zu sprechen (Sarah Bosetti stellte bei extra3 diesen Satz in Kontext zu Gaulands Auswüchsen.)

Nun ist es aber doch ein wenig ernster geworden: ein Flugblatt als Gewinnspiel für einen Freiflug nach Dachau ins KZ. Man mag sicherlich diskutieren, wie ernst oder überspitzt so ein Zettel sein soll, in jedem Fall überstieg es nicht nur die Grenzen des Geschmacks.

Beeindruckend ist allerdings, wie unsouverän er damit umgeht. Anstelle dieses Pamphlet als eine Jugendsünde hinzustellen, von der er sich heute aufs Schärfste distanziert (oder wenigstens die Autorenschaft glaubhaft leugnet), kommen tagtäglich Puzzlesteine dazu, die kein klares Bild abgeben. Erst scholzt er herum und kann sich nicht erinnern. Dann war es der Bruder und er hat die Dinger nur eingesammelt. Es soll ein einschneidendes Erlebnis für ihn gewesen sein – und trotzdem die Erinnerungslücken? Die Tagesschau fasste es sehr gut zusammen

Und auch mit der Entschuldigung macht er alles falsch, was man in diese Moment hätte falsch machen können:

Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe.

Er bereut verletzte Gefühle. Und nicht eine Jugendsünde. Und weist damit die Verantwortung von sich ab. Um im selben Atemzug noch eine Kampagne gegen ihn und seine Partei zu wittern. Es mag sein, dass die SPD in diesem Fall nicht unbeteiligt war und den Stein ins Rollen brachte – und dabei auch den Zeitpunkt nicht dem Zufall überlies. Aber macht es deshalb dieses Flugblatt weniger schlimm?

Ebenso wurde es in Frage gestellt, ob solche Dokumente aus der Schulzeit überhaupt bzw. nach so langer Zeit relevant sein dürfte. Nun, als Minister ist er Person öffentlichen Interesses. Da gelten andere Maßstäbe. Würde er seiner inneren Berufung als Blödelbarde für bayrische Provinzbierzelte nachgehen, wäre das Argument stichhaltig.

Nun musste Söder sich mit der Frage der Entlassung beschäftigten. Und hier gibt es in der bayrischen Verfassung einige Sonderlocken, allen voran dass der Landtag der Ernennung und Entlassung von Ministern zustimmen muss. Bei der Abwahl könnte er sich auf die Opposition verlasen, doch bei der anschließenden Neuwahl könnte es schwierig werden. Aber all das hätte man wenige Wochen vor der Wahl auch hinnehmen können.

Und ohne Pause oder Zeichen der Reue tritt die Ulknudel erneut auf. Ins Deutsche transkribiert sagte er:

In 3 Stunden garantiere ich ihnen, dass wir jedem Ukrainer und Syrer erklären können: Das ist der Wurstsalat und den trägst Du dort an den Tisch – und das Geld, das holt der Andere. Da brauch ich keinen Deutschgrammatikkurs

Mal jenseits der Frage, dass auch Ukrainer und Syrer mit qualifizierten Berufsabschlüssen hier um Asyl suchen, wäre es jedenfalls wünschenswert, wenn der bayrische Wirtschaftsminister wenigstens die aktuellen Regelungen zum Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete kennen würde.

In den ersten drei Monaten nach der Asylantragstellung darf keine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden, bei Personen die in einem ANKER-Zentrum wohnen, gilt dies für die ersten neun Monate.

Wie auch immer: es ist nicht so sehr entscheidend, was Aiwanger in seinen Jugendtagen getan hat, es ist viel entscheidender, wie er damit heute umgeht. Für die bevorstehenden Wahlen kann ich nur hoffen, dass die Wählerinnen und Wähler ihm die Chance geben, seiner Passion zum Beruf zu machen: als Blödelbarde in bayrischen Provinzbierzelten. In einem Ministerium hat er jedenfalls nichts verloren.

Monstertunnel

Hamburg braucht dringend neue Schieneninfrastruktur, denn der Norden Deutschlands hängt komplett an wenigen Fäden. Es gibt viele Nadelöhre in und rund um Hamburg. Viele Punkte, die im Falle von Störungen auch den kompletten Norden zum Erliegen bringen können. Und es gibt ebenso viele Hinderungsgründe, damit der Deutschlandtakt im Norden errichtet werden kann.

Das merkt auch der Bund – und treibt gerade vor allem ein einzelnes Schienenprojekt voran: die S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Altona bzw. Diebsteich soll in einen Tunnel verlegt werden, damit auf der sogenannten Verbindungsbahn (das ist die Hauptstrecke zwischen Hauptbahnhof und Altona) künftig vier Gleise für Regional- und Fernverkehr verlaufen. Der derzeitige Projektname des Tunnelprojektes ist der Verbindungsbahn-Entlastungstunnel (kurz VET).

Ich selbst habe noch keine abschließende Meinung, bin dem Vorhaben allgemein offen eingestellt. Ich sehe es als ein Puzzlestein von vielen, damit die Defizite des Nordens gelöst werden. Nun gab es dieser Tage eine Pressemeldung seitens der Initiative Prellbock Altona. In der Taz ist dann folgende Schlagzeile geworden:

„Monster-Tunnel“ ohne Nutzen

Man hätte der Verkehrswende keinen größeren Bärendienst erweisen können. Zerlegen wir aber zunächst diese Headline in ihre beiden Kernaussagen: “Monster-Tunnel” und “ohne Nutzen”.

Monster-Tunnel

Was ist dem Schöpfer dieser Metapher hier in den Sinn gekommen? Wenn man von den Arbeiterpalästen der Moskauer U-Bahn und der einen oder anderen Berliner und Wiener U-Bahn-Station absieht: die meisten Tunnelstationen werden keinen Wettbewerb in Schönheit gewinnen. Aber wir sind froh, dass wir U-Bahnen haben. Nicht weil da immer erst Leute in den Untergrund müssen oder Mobilitätsbeeinträchtigte auf einen Fahrstuhl angewiesen sind: wir haben im Untergrund andere Flexibilitäten gerade im urbanen, dichten Bereich. Wenn etwas im Untergrund im Weg ist, dann wird es über- oder unterbaut. Der Schall ist besser als auf aufgeständerten Trassen. Vor allem haben wir da Platz, den wir oberirdisch nicht haben. Richtig ist aber auch: es ist aufwändiger und ressourcenintensiver.

Warum nun genau diese Trasse ein “Monster-Tunnel” sein soll, und nicht etwa der schon bestehende S-Bahn-Tunnel, der Harburger S-Bahn-Tunnel oder die auch von Prellbock gewünschte zweite Elbquerung in unterirdischer Ausführung? Es erschließt sich mir nicht. Allenfalls die räumliche Nähe zum geplanten Ersatzneubau der Sternbrücke, die einige zur “Monster-Brücke” erklärt haben.

Im Artikel kommt dann ein wirklich bahnbrechendes Argument:

Der neue Tunnel ist für Hamburg-Fans schon ästhetisch ein Problem. Soll doch mit ihm die schönste S-Bahn-Strecke, die aus Altona über Dammtor direkt über die Alster führt, 30 Meter tief unter die Erde gelegt werden.

Aua! Was haben diese Hamburg-Fans in den 70er Jahre bluten müssen, als einige S-Bahnen plötzlich im Tunnel verschwanden und ganz andere Stationen anbanden? Und ehrlich: wer fährt für diese Stationen extra nach Hamburg? Da macht zum einen die Berliner Stadtbahn mehr her, und auch in Hamburg werden wohl wesentlich mehr Fans die U3 nutzen. Und zum anderen können diese Hamburg-Fans dann die Regionalbahn doch nutzen.

Ohne Nutzen

Aber jenseits der Ästhetik von Tunnelbauwerken, wird der Nutzen in Gänze in Frage gestellt. Also nicht die Frage, ob der Aufwand den Nutzen rechtfertigt oder ob die Prioritäten stimmen, sondern der Nutzen als solches. Dies wird auch im Text noch einmal unterstrichen:

“Wir halten das Gesamtprojekt für schädlich.”

Für diese scharfe Formulierung halte ich die Argumente zu schwach. Viele Argumente betrachte ich auch nicht wirklich als Argumente:

An der Überfüllung der beiden S-Bahn-Bahnsteige am Hauptbahnhof mit ihren vier Gleisen zum Beispiel wird sich gar nichts ändern, da die heutigen Gleise 3 und 4 lediglich verlagert würden.

Das ist auf jeden Fall zutreffend. Aber es ist ja auch gar nicht das Ziel der Maßnahme. Für den Regional- und Fernverkehr sollen zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden.

Gegenvorschläge: Zweite Elbquerung und Ring

Im Teaser werden zwei Gegenvorschläge gemacht:

Besser wäre eine zweite Elbquerung und eine Ring-Bahn, die den Hauptbahnhof entlastet.

Unbestritten brauchen wir auch die beiden Gegenvorschläge – es sind auch piratige Forderungen. Aber doch nicht als Entweder-Oder, sondern zusätzlich. Auch mit den zusätzlichen Gleisen zwischen Altona und Hauptbahnhof besteht immer noch das Risiko des Single-Point-of-Failures. Auch wenn ich vier Regionalbahngleise dann habe, reicht ein schräger Typ aus, der sich auf die Gleise legt.

So könnte die zweigleisige Strecke auf der Verbindungsbahn mit moderner Signaltechnik so aufgerüstet werden, dass dort problemlos die Fern- und Regionalbahn im engeren Deutschlandtakt fahren. Auch wäre der Ausbau des Dammtorbahnhofs von vier auf sechs Gleisen sinnvoll, damit die dort haltenden Regionalzüge die Strecken nicht verstopfen.

Es sind und bleiben zwei Gleise. Unbestritten ist wohl, dass man mit einigen Maßnahmen wie ETCS noch etwas mehr herausholen kann.

Klimabilanz

Auch fürs Klima sei der Bau schädlich. So werden nach Schätzung der Initiative für die insgesamt 16 Kilometer Tunnelröhre und die Bahnhöfe weit über eine Million Kubikmeter Stahlbeton verbaut und etwa 1,35 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt, was vom Klimaeffekt her erst nach 250 bis 300 Jahren Bahnverkehr ausgeglichen wäre.

Ich kenne diese konkrete Prognosen nicht. Ich kenne sie für die U5. Wenn diese genauso sind, dann sind sie für die Tonne. Vor allem darf ich dann auch nicht mehr über die zweite Elbquerung reden, wenn ich dieses Argument ernst nehme. Zugegeben: eine seriöse Rechnung wird in so einem komplexen Geflecht nur schwer möglich sein, da sich viele Effekte dann auch auf anderen Strecken wiederfinden. Andererseits muss man sich auch nichts vormachen: es braucht ohne Zweifel jede Menge Beton, allein schon für die Tübbinge.

Kosten

Eine Vorgänger-Studie schätzte 2020 die Kosten auf drei Milliarden Euro. Jung prognostiziert eine ähnliche Steigerung wie in München.

Ja, klar: das wird Milliarden kosten. Aber es sollte uns das wert sein. Jedes Bauprojekt wird erst sehr optimistisch gerechnet, dann wird es teurer. Etwas mehr Ehrlichkeit im Vorfeld wäre immer von Vorteil. Aber wenn es hilft, dann sagen wir eben 20 Mrd.? Dann lasst es uns tun. Die Frage ist immer, was das nichts tun uns kostet. Die Defizite des Nordens lösen sich ja nicht mit Fingerschnipsen.

Profitieren würden vor allem Tunnelbauunternehmen.

Es mag einige überraschen, aber bei jedem Bauvorhaben gibt es Branchen, die davon profitieren. Was sind das für Argumente?

Bauphase

Die ganze östliche Seite des Hauptbahnhofs werde vom Stadtteil St. Georg aus gar nicht mehr zugänglich sein, prophezeit Jung. „Der Hachmannplatz ist zehn Jahre dicht“.

Ein weiteres Argument, was bei mir gar nicht zieht: jede Baumaßnahme hat eben Beeinträchtigungen zu Folge. Es ist eine Frage des Geldes, wieviel man kaschieren möchte und wie die Logistik beim Bau gestaltet wird.

Fazit

Die Debatte, ob wir dieses Verkehrsprojekt brauchen oder nicht, sollten wir führen. Die Argumente, die Prellbock hier ausführen, überzeugen mich leider nicht – vor allem weil sie überspitzt und überzogen sind.

Ich erkenne zweifelsfrei einen Nutzen dieser Maßnahme, bin aber noch nicht überzeugt, ob hier Aufwand und Nutzen im Verhältnis stehen, oder ob andere Lösungen zielführender sind. Teilweise fehlt mir dazu aber auch das Wissen, was exakt hier nötig ist, damit wir ein bestimmtes Niveau dann haben, was für die nächsten Jahrzehnte ausreicht. Das macht es beispielsweise auch schwierig für Bürgerbeteiligung: du kannst eine Umfrage machen, ob mehr Züge von Hamburg in den Norden fahren sollen – oder ob eben diese durch den sogenannten Monster-Tunnel fahren sollen. Die Ergebnisse werden konträr ausfallen.

Neben der Verlegung der S-Bahn könnten aber auch zwei Regionalbahngleise in den Untergrund gelegt werden – vielleicht ist das eine günstigere Maßnahme (da dann bspw. keine Bahnhöfe festgelegt werden müssen).

Allgemein bin ich Freund von konstruktiven Vorschlägen. Also lehne das Vorhaben nicht ab, sondern stelle Anforderungen so, dass du mit dem Ergebnis besser leben kannst oder manchen Kritikpunkt zum Pluspunkt umwandeln kannst. Und Vorschläge zur Stationsgestaltung sind Willkommen, aber beispielsweise auch, wie am Dammtor die künftigen Umstiege verbessert werden können.

Das Werden einer Wohnstadt

Ein Hoch auf das Ende des Urheberrechts 70 Jahre nach dem Tod – so ist nämlich folgende Perle nun gemeinfrei:

Es zeigt, wie einige Gebiete in Hamburg (Jarrestadt, Dulsberg, …) in den 20er Jahren geplant worden sind. Und vor allem, wie sie sich von den Altbauten unterschieden. Im Fokus war damals – wie auch heute – auf einer überschaubaren Fläche möglichst viele Wohneinheiten zu schaffen. Und dabei auch Aspekte wie Licht nicht vernachlässigen. Im Buch sind viele Karten, die das Entstehen einiger Ortsteile besser erklären.

Mehr zur Historie der Jarrestadt

Benachrichtung bei der Bahn

Eine einfache Fahrt von Hamburg nach Frankfurt mit dem ICE, anschließend Weiterfahrt mit S-Bahn. Abfahrt in Hamburg 07:23, Ankunft in Frankfurt gegen 11:00 Uhr, dort ca. 15 Minuten Umstieg zur S-Bahn.

Ich erhielt in Summe 13 (!) Benachrichtigungen über zeitliche Verzögerungen, die Hälfte noch bevor ich überhaupt in den Zug einstieg. In dieser Form ist es einfach nur nervig und unnütz.

  • 06:25: Anschluss (voraussichtlich) nicht erreichbar (+2 Minuten in Hamburg, +3 in Frankfurt)
  • 06:31: Anschluss wieder erreichbar (+2 in HH, +2 in F)
  • 06:36: Anschluss (voraussichtlich) nicht erreichbar (+2 Minuten in Hamburg, +3 in Frankfurt)
  • 06:46: Anschluss wieder erreichbar (+3 in HH, +2 in F)

Ich finde es so schön, wie präzise die Bahn ihre Prognosen im Minutentakt einige Stunden im Voraus aktualisieren kann. Aber dann:

  • 06:52: Änderung der Abfahrt: +12 Minuten (in Frankfurt: +8)
  • 06:52: Anschluss (voraussichtlich) nicht erreichbar (+12 Minuten in Hamburg, +8 in Frankfurt)
  • 06:54: Änderung der Abfahrt: +7 Minuten (in Frankfurt: +3)

Vor der eigentlichen Abfahrt habe ich schon 7 Meldungen erhalten.

  • 07:22: Änderung der Abfahrt: +18 Minuten (in F: +14)
  • 07:46: Änderung der Abfahrt: +19 Minuten (in F: +19. Und ganz wichtig: die einst geplante S-Bahn wäre dann schon pünktlich abgefahren. Als ob die Bahn nicht gleich eine neue Verbindung hätte ausgeben können)
  • 08:37: Änderung der Ankunft: +30 in F
  • 11:42: Änderung der Ankunft: +45 in F (und ganz wichtig: die nicht mehr erreichbare S-Bahn hat auch 4 Minuten Verspätung)
  • 11:44: Änderung der Ankunft: +45 in F (identische Mail)
  • 11:53: Änderung der Ankunft mit S-Bahn: +7 Minuten (also die S-Bahn, in die ich ohnehin nicht mehr einsteigen kann)

Wenn die Bahn eine dreiviertel Stunde Verzug hat, so interessiert mich die Verspätung einer nicht mehr erreichbaren Verbindung gar nicht mehr. Teilweise zeigt die Verbindungssuche pünktliche Ankunft an, wenn der nicht erreichbare Anschlusszug pünktlich ist. Mir würde viel mehr nützen, welche Verbindungen sich nun ergeben. Ob ich das noch im Jahre 2023 erleben kann?

Kurz vor Erfindung des Stadtplanes

Ich habe das Gefühl, Hamburg steht kurz vor einer wichtigen Erfindung. Was könnte es wohl sein?

Hier in der Nähe wird eine Straße saniert. Dazu sind Sperrungen und Umleitungen nötig. Umliegende Gebiete wurden nun informiert, im Briefkasten fanden wir folgenden Zettel:

Zwei DIN-A4-Seiten voll mit Fließtext, die messerscharf genau erklären, wann wie wo an welchem Tag eine Straße oder Kreuzung nicht passierbar ist. Und das in einem Gebiet, wo die Straßennamen nicht den Hauptstraßen folgen und die Hauptstraßen alle paar Meter den Namen ändern. Wer nicht die genauen Hausnummern der Straßen im Blick hat, sollte also die Straßen mal bei Gelegenheit ablaufen.

Wenige Tage später entdecke ich an einer Bushaltestelle folgenden Zettel:

Die Verkehrsbetriebe untermauern die Umleitungen immerhin mit Bildern. Wenngleich der Text maximal unverständlich ist. Was meinen sie mit “Zurück”? Und wo finde ich eine verlegte Haltestelle? Und welchen Zweifel hegen die Verkehrsbetriebe, wenn sie “voraussichtlich” vier Tage schreiben?

Man könnte also sagen: Wir stehen in Hamburg kurz vor der bahnbrechenden Erfindung: der Stadtplan.

Im Studium bläute man mir schon im ersten Semester ein, dass ein Bild mehr sagt, als Tausend Worte. Bei einem Stadtplanausschnitt lassen sich Pfeile einzeichnen, an denen Zeiträume und Besonderheiten beschrieben sind. Und vor allem habe ich auf einem Blick, wann genau mich welcher Teil dann betrifft.

Diese Umbaumaßnahme scheint aber auch andere typische Hamburger Besonderheiten zu haben:

  • Der Landesbetrieb für Straßen fühlt sich nicht zuständig, die Busumleitungen abzuklären und mit anzukündigen. “Es wird rechtzeitig auf Änderungen im Busbetrieb hingewiesen.”
  • Ergeben sich beim Lesen der zwei Seiten Fließtext Fragen, so gibt es vorderseitig eine E-Mail-Adresse. Eine Antwort scheint es da nicht zu geben. Wozu auch?
  • Die Fahrbahndecken entsprechen nicht mehr dem heutigen Verkehrsaufkommen – die Radwege entsprechen dem auch nicht. Da passiert aber nichts.
  • Durch Straßensperrungen ist ein Abschnitt entstanden, der in Gänze zur Sackgasse wurde – ohne Warnhinweis.

Wer immer Berlin als Failed State bezeichnen mag: Hamburg steht dem in Nichts nach!

Die Standleitung zu Porsche

Da hat also Christian Lindner in den Koalitionsverhandlungen mit dem Porsche-Chef direkt geschnackt und das Mysterium eFuels in den Koalitionsvertrag schreiben lassen. Nun regen sich alle über die FDP auf. Ich nicht. Ich rege mich eher über die Leute auf, die die FDP wählten. Oder das vielleicht künftig wieder tun.

Wir erinnern uns vor ein paar Jahren, als die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen in den ermäßigten Mehrwertsteuer-Tarif wechselte. In Fachkreisen auch die Mövenpick-Regelung genannt. Sorry: dieses Geklüngel steckt in der DNA dieser Partei. Das ist hinreichend bekannt. Wenn 12% die FDP wählen, dann wollen diese Menschen das Geklüngel – oder nehmen es wenigstens tolerierend in Kauf. Wer ein Transparenzgesetz und ein Lobbyregister lieber will, der würde die Stimme besser bei der Piratenpartei setzen.

Das wirklich spannende aber ist: wie ist es dazu gekommen? Wieso hat der Porsche-Chef ohne Not mehr köpfe als nötig eingeweiht? Wieso hat er das Risiko des Publikwerdens erhöht? In seiner Gehaltsklasse sind selten Amateure unterwegs. Gab es etwa Meinungsverschiedenheiten mit Christian Lindner oder anderen aus der FDP? Oder wollten sie gar weitere Forderungen?

Die wirklich spannende Frage ist: Welche Agenda verfolgte Porsche?

Nichtwählen

Am Sonntag, den 15.05., wählten die Menschen in Nordrhein-Westfalen einen neuen Landtag. Aber es wählten nicht alle mit: lediglich 55,54% der wahlberechtigten Menschen haben tatsächlich ihre Stimmen abgeben. Das ist der Tiefstwert in der Geschichte des Landes.

Sofort gibt es fragwürdige Meldungen: die niedrige Wahlbeteiligung hätte der SPD geschadet. Marius Sixtus rechnet aus, wie mit einer höheren Wahlbeteiligung weniger Parteien im Parlament vertreten wären:

55 Prozent Wahlbeteiligung in #NRW. Shame in you! Mit fünf Prozent mehr hätte man die beiden FD-Parteien aus dem Landtag werfen und Rot-Grün klarmachen können.

Und laut einer Bertelsmann-Studie soll ein Großteil der Aufassung sein, die Parteien und Politiker würden doch machen, was sie wollen. Immerhin unterscheidet der Artikel vier Arten von Nichtwählern:

  • aus Krankheits- oder anderen Hinderungsgründen

  • aus bildungsfernen und einkommensschwachen Schichten, die sich bisweilen auch gar kein politisches Urteilsvermögen zutrauen.
  • die je nach Wahl entscheiden, ob sie ihnen wichtig genug ist, um teilzunehmen.
  • politisch interessiert, wählt aber aus Protest nicht.

Wir haben keine Wahlpflicht, aber aus meiner Sicht gibt es kein wirkliches Nichtwählen. Jede Person, die bei einer Wahl keinen gültigen Stimmzettel ausfüllt, delegiert automatisch das eigene Stimmgewicht an die jeweilige Mehrheit. Das ist in einer Demokratie ein legitimes Mittel – und wer genau das tun wollte, hat zumindest diese Option richtig eingesetzt. Das wären vor allem die oben zitierten Gruppen No. 2 und 3. Mir wäre dieses blinde Vertrauen jedoch zu gefährlich, insbesondere wenn demokratiefeindlich gestimmte Parteien zu starken Zulauf erfahren könnten.

Kommen wir aber zur vierten Gruppe: wer aus Protest, Frust oder Politikverdrossenheit der Wahl fern bleibt, schneidet sich im Grunde ins eigene Fleisch und liefert selbst den Nährboden für künftige Unzufriedenheit. Denn damit werden die offensichtlich starken Parteien weiter bestätigt. Und wenn in den letzten Wahlen die Stimmen für CDU/CSU, SPD und FDP jeweils eine Mehrheit erfährt – warum soll sich dann in diesem Land etwas zum Positiven verändern? (Und nein, braune Parteien verändern auch nichts zum Positiven)

Wenn diese Politikverdrossenen eine Hoffnungswahl machen – und ein Kreuz bei einer beliebigen (nichtbraunen) sonstigen Partei macht, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Stimme durch die Demokratieverstümmelung. (So nannten die Grünen einst die Sperrklausel) zwar nicht zu Mandaten führt. Aber es hat mehrere positive Nebeneffekte:

  • die Balken für die Sonstigen Parteien wächst. Das allein ist eine Botschaft. Die Regierungsbildende Koalition vertritt keine Mehrheit.
  • die etablierten Parteien haben Angst – nämlich, dass eine dieser Parteien den Einzug schaffen könnte. Was waren damals alle aus dem Häuschen, als die Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus einzog? So ein Quatsch wie die Chatkontrolle wäre im Jahre 2012 undenkbar gewesen.
  • bei der Parteienfinanzierung auch die kleineren Parteien etwas bekommen (ab 1% auf Landesebene, 0,5% Bundesebene)
  • und wenn die Sonstigen so stark ansteigen, ist es auch ein gutes Argument, dass diese Sperrklausel zu Fall gebracht wird.

In soweit kann ich nur ermutigen, zur Wahl zu gehen.

Tramophobie

Es gibt Zitate, die manchmal sehr ungünstig altern. Und es gibt Zitate, die bereits mit ihrem Aussprechen schon veraltet sind. Zu letzterem gehört eine Aussage von Hamburgs Bürgermeister Tschentscher, die er heute hinter eine Bezahlschranke im Hamburger Abendblatt von sich gibt:

Auf Nachfrage wies Bürgermeister Tschentscher erneut und energisch die Idee zurück, eine Stadtbahn könne den Verkehr in Hamburg entlasten. Solche Bahnen seien “altmodische Stahlungetüme”, die ganze Verkehrsräume zerschnitten, so der Bürgermeister. Sie seien nicht mehr zeitgemäß, keine Metropolen baue solche Bahnen in ihr Zentrum. In Hamburg habe aufgrund der “empörten Proteste” kein Kilometer einer neuen Stadtbahn gebaut werden können.

Die Angst der Hamburger SPD vor Straßenbahnen nenne ich liebevoll Tramophomie. Als die SPD im Jahre 2011 mit dem Cum-Ex-Spezialist Olaf Scholz Bürgermeister wurde, wurde als erste Amtshandlung die Straßenbahnpläne eingestellt. Damals wollte er den Spurbus einführen, eine wirklich gescheiterte Verkehrsidee. Seitdem hat sich Hamburg ein trauriges Alleinstellungsmerkmal erarbeitet: es ist die einzige Mio-Stadt der Europäischen Union ohne Straßenbahn… geworden! Alle anderen Metropolen haben diese wieder eingeführt. Oder gar erweitert.

Es gibt Metropolen, die diese nicht im Zentrum haben, richtig. Zum Beispiel Paris oder London. Das hängt aber nicht mit “altmodischen Stahlungetümen” zusammen, sondern weil die U-Bahn-Netze im Zentrum so dicht und engmaschig sind, dass eine Tram nur bedingt Mehrwert liefert. Andere Metropolen wie Wien, Prag oder Barcelona lassen diese sehr wohl im Zentrum fahren.

Wie die SPD und das Abendblatt mit dieser Aussage zum Titel kommt, es sei eine klare Absage an die autozentrierte Politik sei, ist wirklich unbegreiflich.

Lastenradförderung

Eine wunderbare Alibi-Maßnahme zur Verkehrswende ist die Lastenradförderung: Wer ein Lastenfahrrad kauft, bekommt (je nach Zeitpunkt, Ort und Förderprogramm) einen Zuschuss. Das Thema taucht immer wieder mal regional auf, derzeit in Bremen. Hier gibt es einen Zuschuss von bis zu 1.250 €. Am 20. April ging es los, binnen weniger Stunden sei der Top wohl schon erschöpft

Die Nachfrage nach Zuschüssen für Lastenräder und Fahrradanhänger war so hoch, dass in den ersten 15 Minuten die Internetseite zusammengebrochen war. Innerhalb der ersten zwei Stunden sind nach Angaben der zuständigen Behörde 1.300 Anträge eingegangen. Zu Beginn sollen es zehn Anfragen pro Sekunde gewesen sein. [..] Insgesamt investiert Bremen eine halbe Millionen Euro für das Projekt. Die Behörde geht davon aus, dass sie damit rund 600 bis 800 Anhänger und Lastenräder fördern kann.

Solche Maßnahmen gab es auch in anderen Städten. Sie sind sehr einfach: mit einer überschaubaren Menge Geld kann man so tun, als würde man die Verkehrswende voranbringen. Und das schöne ist: es tut ja keinem weh.

Denn überlicherweise tun Maßnahmen der Verkehrswende weh: entweder durch die Umwandlung von Fahrspuren, durch den Wegfall von PKW-Stellplätzen oder die Veränderung von Ampelschaltungen. Wenn ich Menschen raus aus den Autos locken will, braucht es vor allem eines: eine gute und komfortable Fahrradinfrastruktur.

Wen erreiche ich denn mit dem Zuschuss zum Fahrradkauf? Überwiegend diejenigen Menschen, die ohnehin schon Fahrrad fahren. Vor allem auch die Menschen, die sich ein Lastenfahrrad grundsätzlich leisten können – und das betrifft nicht nur den restlichen Kaufpreis, sondern auch den dafür benötigten Platz (vor allem wenn man das Rad ungern im Straßenraum zurücklassen möchte). Und die auch die Möglichkeit haben, pünktlich um 12 Uhr so einen Antrag stellen zu können (weil sie bspw. nicht im Schichtdienst gerade arbeiten müssen).

Es ist vor allem ein Geschenk für Besserverdienende.

Glaubt wirklich jemand, dass man mit der Aktion auch nur einen Autofahrer davon bekehrt? Und vor allem, dass diese Lastenfahrräder dann rege in Benutzung sein werden?

Wesentlich zielführender als so eine Personenförderung wäre es, wenn die Stadt diese Lastenfahrräder selbst anschafft und sie den Bewohnern der Stadt zur Verfügung stellt. Entweder direkt oder bspw. über Stadtteilvereine. Dann können sie auch alle nutzen, vor allem werden die Lastenräder dann intensiver genutzt.

(Ich halte auch Förderungen zum Kauf von PKWs für falsch. Egal, mit welchem Antrieb.)

Mit Umweltverschmutzung die Umwelt retten?

Anfang Februar berichtete ich über die Forderung nach einem Essen-Retten-Gesetz der Initiative Letzte Generation. Damals waren sie vor allem mit Sitzblockaden an Autobahnauffahrten aufgefallen.

Das machen sie immer noch – und haben eindeutig den Bogen überspannt. Ich zitiere einen Tweet der Initiative:

Unser höchstes Ziel ist der Schutz des Lebens. Beim Verschütten von Öl beachten wir stets, dass der Verkehr steht und keine Gefahr entsteht. Leider gelang es uns heute nicht, eine Radfahrerin rechtzeitig auf das Öl hinzuweisen und sie stürzte. Das tut uns leid.

In einem anderen Beitrag ist zu sehen, wie ein Aktivist Öl auf die Fahrbahn verteilt:

Wie dumm muss ein Mensch sein, absichtlich Öl auf die Fahrbahn zu kippen? Sorry, dafür habe ich keine anderen Worte mehr.