Wahl-o-Mat BTW 2025
Ich habe den Wahl-o-mat für die Bundestagswahl gemacht. Zunächst großes Lob an die Entwickler. Wenn ich es mit früheren Versionen vergleiche, sind die heutigen Ergebnisdarstellungen wesentlich besser.
Bei den Fragen habe ich den subjektiven Eindruck, dass auch diese leicht besser geworden sind. Aber noch immer scheint man keinen vernünftigen Filter zu haben, wann eine Frage wohl ungeeignet erscheint. Ein typisches Indiz ist, wenn viele Parteien eine Begründung mitliefern, die keinen Bezug zur Frage mehr haben. Oder mehrere Parteien die selbe Begründung abliefern, aber unterschiedlich votieren.
Über das Ergebnis kann ich wahrlich erfreut sind: die Piraten sind nach wie vor Platz 1, gefolgt von den Humanisten und der Tierschutzpartei. Am unteren Ende der Übereinstimmung ist der braune Bodensatz der Gesellschaft: AfD, Bündnis Deutschland und WerteUnion. In soweit ist mein Weltbild also noch in Ordnung.
Entgegen früherer Beiträge zum Wahl-o-Maten (z.B. HH 2020) will ich mich dieses Mal vor allem auf die Unterschiede der progressiven Kräfte fokussieren. Denn das gibt auch mal ein wenig Einblick, wo Unterschiede zwischen Volt, Piraten, Humanisten und Co liegen. Und auch das seltene Thema der Übereinstimmung mit dem braunen Bodensatz.
4. Generelles Tempolimit
Auf allen Autobahnen soll ein generelles Tempolimit gelten.
Die Piratenpartei hat hierzu bisher keine Beschlusslage – obwohl diese Frage bisher in jedem Wahl-o-Mat vorkam. Ich nahm diese Frage aber auch sehr umstritten innerhalb der Piraten war. Wir reden nicht über Lärmschutz oder Unfallgefahren (es geht nicht um örtliche begrenzte Limits), sondern vor allem um Reisegeschwindigkeit und Energieverbrauch bzw. anderer Nebenwirkungen wie Reifenabrieb. Und mal ein Blick in die Zukunft: wenn es uns gelingt, immer mehr Energie mit Wind und Solar abzugreifen, verschieden sich auch Argumente.
8. Energieintensive Unternehmen
Energieintensive Unternehmen sollen vom Staat einen finanziellen Ausgleich für ihre Stromkosten erhalten
Hier stimmen Piraten beispielsweise zu, Volt dagegen. In der Begründung liefern die Piraten, dass dies nur zur kurzfristigen Sicherung von Arbeitsplätzen dienen kann und jährlich zu evaluieren gilt. Volt betont die Förderung klimaneutraler Produktionsprozesse. Allein diese Begründungen zeigen, dass diese Frage im Wahl-o-Mat unqualifiziert ist, da die kurzfristige Betrachtung und die strategische Betrachtung vollkommen auseinander gehen können.
Nun steigen in Folge Ukrainekrise oder anderer Ergebnisse die Energiepreise – so schnell ist auch nicht jedes Unternehmen umgebaut. Nun kann man sich dann schwerlich hinstellen und sagen: “Ja, hättet ihr mal eher investiert.”
Aber beim braunen Bodensatz sind die Begründungen dagegen abenteuerlich: die träumen hier wieder von Kernkraft und wollen die Stromsteuern etc. abschaffen.
9. Rente nach 40 Beitragsjahren
Alle Beschäftigten sollen bereits nach 40 Beitragsjahren ohne Abschläge in Rente gehen können
Ich stehe zu der Frage neutral. Volt ist dafür – und liefert im Grunde genau mein Argument, warum ich neutral votierte:
Volts Lösung ist ein dynamisches Renteneintrittsalter, um ein faires Verhältnis zwischen Anspar- und Rentenberechnung zu schaffen.
Auch wenn das ganze wie Kaugummi klingt und wenig konkret ist: die Rente sollte kein starres Gebilde sein. Allein schon wegen der gestiegenen Lebenserwartung braucht es Korrekturen, sonst tritt automatisch das Defizit ein. Und – es mag makaber klingen – allein der gesundheitliche Fortschritt ist für die Rente ein unkalkulierbares Risiko. Jedes Mal, wenn ein Politiker das Renteneintrittsalter erwähnt, tobt der Bär.
Ein anderes Problem sprechen die Piraten dabei an: Differenzierung nach Berufsgruppen.
In vielen Berufsfeldern (Pflege, Bauhandwerk, Straßenbau und anderen körperlich fordernden Tätigkeiten) sind 40 Beitragsjahre schon die Ausnahme.
Ich weiß, es ist schwer, verschiedene Tätigkeiten zu vergleichen. Das mag nobel gedacht sein: aber wenn du einmal diese Tür aufmachst, erklärt die jeder Berufsverband, warum gerade dieser mit dazu gehören muss.
Etwas rätselnd lässt mich die neutrale Haltung der Humanisten zurück:
Die Rentenhöhe sollte wie bei kapitalbasierten Alterssicherungen mithilfe anerkannter mathematischer Methoden des Versicherungswesens berechnet werden.
11. Anwerbung von Fachkräften
Deutschland soll weiterhin die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland fördern.
Es mag überraschen, aber ich stehe nicht hinter dieser Forderung. Es soll jeder hier arbeiten können, der will. Aber aktives Anwerben von Fachkräften bedeutet im Grunde, dass wir anderen Ländern eben diese Arbeitskräfte wegnehmen.
Hier hat – ausnahmsweise – die Basis mal eine vernünftige Begründung abgegeben:
Ausländische Fachkräfte werden gerade dort abgezogen, wo sie dringend gebraucht werden, was besonders die ärmeren Länder schwer trifft.
Die Piraten machen es sich hier einfach und begründen nur den Bedarf an Fachkräften:
Durch die Überalterung unserer Gesellschaft benötigten wir Arbeitskräfte aus anderen Ländern, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Und bei Volt könnte man sagen: Thema verfehlt. Setzen. Die Rahmenbedingungen scheinen konsent zu sein, auch wenn die One-Stop-Shops vermutlich einer näheren Erklärung bedürfen.
Volts Lösungen sind digitale Plattformen zur Vernetzung von Betrieben und Arbeiter*innen, eine Arbeitserlaubnis ab Tag 1 und die beschleunigte Anerkennung von Abschlüssen. Das alles soll unkompliziert und unbürokratisch in One-Stop-Shops, ein Kontakt und Beratung für alles, abgewickelt werden können.
17. Abschaffung der Frauenquote
Die gesetzliche Frauenquote in Vorständen und Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen soll abgeschafft werden.
Ich stehe hinter der Post-Gender-Idee – und daher sollte das Geschlecht keine Rolle spielen. Hier ist die Begründung der Piraten auch sehr treffend:
Gegen Diskriminierungen jeglicher Art sind gezielt Maßnahmen zu ergreifen. Statt einseitig bei Verhalten und Befähigungen der Benachteiligten anzusetzen, müssen diskriminierende Strukturen aufgedeckt, reflektiert und wirksam bekämpft werden. Das Ziel muss sein, das eine Frauenquote nicht notwendig ist!
Allgemein gehen hier die progressiven Parteien auseinander. Die Humanisten stimmen der These mit ähnlicher Begründung zu. Volt lehnt hier ab:
Volt sieht die Quote als ein Mittel, die Gleichstellung zu verbessern.
Soweit wäre das ja noch eine geeignete Frage für den Wahl-o-mat. Nun gibt es noch das rückschrittliche Lager, die der These zuzustimmen (und es ist eine der wenigen Fragen, wo ich Übereinstimmung mit Braun außerhalb von Neutral habe). Und die argumentieren alle nur mit Kompetenz. Und das ist völliger Bullshit.
25. 35-Stunden-Woche
In Deutschland soll die 35-Stunden-Woche als gesetzliche Regelarbeitszeit für alle Beschäftigten festgelegt werden.
Ich stehe zu der Frage neutral. Allein weil die Regelarbeitszeit quasi egal ist. Für irgendeinen Stundenumfang wird das Normalgehalt bestimmt – und dann möge jeder voll oder anteilig arbeiten. Das geht heute schon. Würde man nun diese Regelarbeitszeit senken, wäre anzunehmen, dass die Gehälter im selben Umfang sinken. Alles andere wäre dann eine verdeckte Lohnerhöhung, die man aber auch so benennen sollte. Und lese ich die Statements der Parteien, so hege ich die Vermutung, dass in dem Konstrukt jeder das sieht, was er sehen will. Und damit ist die Frage für die Tonne.
Volt stimmt zu:
Volts Lösung ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit, um individuelle Modelle zu ermöglichen und ausschließlich eine Wochenobergrenze beizubehalten. So kann jeder und jede Wochenende machen, wann er oder sie will.
In der Begründung volle Kanne dafür. Die Piraten lehnen ab:
Eine freiheitliche, liberale und mündige Gesellschaft ist wichtig. Es liegt in der Aufgabe der Tarifparteien. Der Staat hat sich nicht in die Tarifautonomie einzumischen.
Und auch das stimmt.
Zum Vergleich: der braune Bodensatz hat die Frage schon mal nicht verstanden:
Deutschland gehört zu den Ländern mit der geringsten Wochenarbeitszeit pro Beschäftigten.
26. Schwangerschaftsabbruch nach Beratung
Schwangerschaftsabbrüche sollen in den ersten drei Monaten weiterhin nur nach Beratung straffrei sein.
Hilfe: bei einem so grundliegenden Thema diskutieren wir nun ernsthaft über ne Bagatelle eines Beratungsgespräches? Jeder medizinische Eingriff braucht ein Vorgespräch und Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen. Offensichtlich kommt diese Formulierung von der ÖDP, denn hier lese ich es in der Begründung sehr deutlich:
Wir treten für die Entscheidungsfreiheit für Frauen bei grundsätzlicher Straffreiheit nach einer Beratung ein.
Die AfD eiert hier um und spricht von einer “einfühlsamen Beratung”. Hilfe. Achja, auf die Straffreiheit gehen die nicht ein.
Die Piraten prägnant:
Schwangerschaftsabbrüche müssen vollständig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden.
Und Volt:
Volts Lösungen sind die Streichung des §218 und die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen [..]
Hier gehe ich aber nicht mit. § 218 regelt in Absatz 2 auch den Abbruch gegen den Willen der werdenden Mutter. Das kann zwar auch als Körperverletzung geahndet werden – ein eigener höher zu bewertender Straftatbestand halte ich aber für angemessen.
30. Umlegung der Grundsteuer
Die Grundsteuer soll weiterhin auf Mieterinnen und Mieter umgelegt werden dürfen.
Nebendebatte. Wenn sie nicht über die Nebenkosten umgelegt werden darf, wird sie in der Miete mit einkalkuliert. Damit ändert sich doch quasi – nach Anpassung der Miete – nichts. Es sind halt betriebswirtschaftliche Kosten, die im Rahmen der Vermietung anstehen.
Lese ich die Kommentare der Parteien, so findet sich ein Sammelsurium, was sich alles an der Grundsteuer doch ändern mag. Exemplarisch Volt:
Volts Lösung ist ein Bodenpreis, der nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten bewertet wird.
Mag ja alles toll und richtig sein. Nur eben Thema verfehlt. Nicht eine einzige Antwort geht richtig auf diese Frage ein.
Bei der AfD könnte man noch zu gute halten, dass sie diese Debatte obsolet machen möchte und daher die Antwort zumindest zur Frage passt:
Die Grundsteuer soll abgeschafft und den Gemeinden aus Bundesmitteln ein Ausgleich gezahlt werden.
Dass ist Wunschdenken. Und woher soll der Bund diese nicht unerheblichen Beträge zahlen?
38. Erhöhung des Mindestlohns
Der gesetzliche Mindestlohn soll spätestens 2026 auf 15 Euro erhöht werden.
Ich stehe hier neutral. Auch vor dem Hinblick der BGE-Idee. Volt und Piraten sind dafür. Hier haben aber die Humanisten die TOP-Antwort:
Die angemessene Höhe des Mindestlohns sollte durch die Mindestlohnkommission sachlich und unabhängig festgelegt werden – nicht durch in Wahlkämpfen populäre Versprechen. Niedrige Nettoeinkommen trotz Vollzeitjob schränken Arbeitnehmer in ihren Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung ein. Als Mittel zur sozialen Grundsicherung fordern wir die schrittweise Einführung eines Grundeinkommens.
Fazit
Soweit mein kleiner Überblick.
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